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Damals, als… Tomb Raider uns den Schrecken unseres Lebens versetzte

Man sagt, wenn du dich nicht bewegst, kann er dich nicht sehen…

Mein persönliches Spiel der Generation PlayStation ist eines voller stiller Höhepunkte. Das erste Tomb Raider lebte von einer wahrhaft einzigartigen Stimmung, war ein melancholisches Stillleben der Vergänglichkeit, aber auch des Überdauerns menschlichen Schaffens. Es war geradezu inspirierend, auf dem Kopf einer unterirdischen Sphinx zu stehen und sich zu fragen, wie die Größenwahnsinnigen Pharaonen das vor ein paar tausend Jahren wohl bewerkstelligt hatten. Nun, hatten sie nicht, diese Orte waren allesamt ein paar Geistern bei Core Design entsprungen.

Es war Tomb Raiders Verdienst, dass man diese Tatsache häufig vergaß und sich immer nur noch tiefer in die Katakomben buddeln wollte, die einem gleichzeitig fremd, aber auch vertraut vorkamen. Wer sich damals auch nur ein bisschen mit Archäologie befasste, kam nicht umhin, die gelungene Verabenteuerung alter Mythen und Sagen zu bewundern. Bis heute erinnert sich jeder, der Tomb Raider damals spielte, an die Hand des Midas oder die brillante Damokles-Halle, die vom Design her auch aus einem Dark Souls stammen könnte. Es ist aber der lauteste und überraschendste Moment Tomb Raiders, der den meisten Eindruck schindete: das Zusammentreffen mit dem T-Rex in dem Level Das Verlorene Tal.

Alex erinnert sich an das Verlorene Tal aus Tomb Raider 1.Auf YouTube ansehen

Das Spiel hatte einen bis dahin eine ganze Weile in relativer Sicherheit gewogen, ab und an sprangen Wölfe Lara an oder ruinierten Vampirfledermäuse ihre perfekte Frisur. Am schlimmsten erwischte noch ein Bär die blaublütige Grabräuberin, der sich an einer Stelle von hinten angeschlichen hatte. Und dann das: Nach ein paar Metern im Verlorenen Tal, einer gigantischen unterirdischen Höhle mit etwas ausgedörrtem Pflanzenleben - von wo dringt eigentlich Licht in diese Gruften? -, stapft da das schönste und gleichzeitig schrecklichste Tier um die Ecke, als wäre es vom Set des zweiten Jurassic Park in dieses Videospiel gestolpert.

Wer das heute nacherlebt, sei es selbst am Controller oder in unserem Video oben, stellt schnell fest, dass dieser spezielle Level-Einfall in der Theorie reizvoller ist als in der spielerischen Tatsächlichkeit von 1996. Die Steuerung war auf langsames Erkunden ausgelegt und schnellen, panischen Verfolgungen nicht gewachsen. Es ist ein Spiel planvollen Kletterns und Springens und in der Regel keines, in dem man in sekundenschnelle Entscheidungen über Leben und Tod über einen Sprung nach links oder rechts definiert. Ich fand Argumente der Marke "Die Steuerung muss so schlecht sein, so ist es gruseliger" immer fürchterlich, aber in diesem Moment stimmte es einfach und spiegelte die Überforderung der sonst so hartgesottenen Forscherin perfekt.

Geringere Spiele als dieses hätten diesen Feind als Endgegner ans Ende eines Levels gestellt, ihm drei verschiedene Angriffsphasen und eine Energieleiste spendiert, die man langsam aber stetig abfrühstückt. Tomb Raider Anniversary, das 2006 erschien, ist eines davon, alleine schon weil es den Lost-Valley-Level mit einem Quick-Time-Event-T-Rex in einen schlechten Scherz verwandelt. Hier aber, im Spiel von 1996, ist er ein Tier wie jedes andere. Nur sehr viel größer, hungriger und - nicht nur mit den Augen eines Kindes gesehen - schöner. Nie zuvor hatte man in derart aufwendigem 3D dieser Kreatur gegenübergestanden, von der man seit Steven Spielbergs Dino-Wiederbelebung ein paar Jahre zuvor wusste, dass sie das beste Tier aller Zeiten war.

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Unter die Panik mischte sich eine Dinosaurierportion Ehrfurcht und eine Schubkarre Unwillen, auf diesen Fressfeind überhaupt zu schießen. Wer war man denn, dass man dem Überleben eines längst ausgestorben gewähnten Wesens ein Ende setzen sollte? Wenn ich die Entscheidung zwischen einer verwöhnten Adligen und zwei Tigerfamilien, einem Gorillastamm, der letzten überlebenden Dino-WG sowie dem ganzen Rest der Fauna treffen müsste, die Frau Croft während ihres Abenteuers noch auslöschen sollte, tut es mir leid: Dann muss eigentlich Madame Hochwohlgeboren daran glauben. In diesem Fall war das aber ich, sodass ich mich damals für die zweitbeste Möglichkeit entschied, nämlich die gewaltfreie Lösung der "Causa Rex". Es hat mehrere Nachmittage gedauert, bis ich einsah, dass ich entweder die Waffen sprechen ließ oder das Spiel beiseite legte.

Bis heute rennt nicht nur Tomb Raider, sondern auch ich Momenten wie diesem hinterher. Schön, schrecklich und irgendwie traurig ist Lost Valley eine der besten Erinnerungen der Ära PlayStation.

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Alexander Bohn-Elias Avatar
Alexander Bohn-Elias: Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
In diesem artikel

Tomb Raider II

PS1, PC

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