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Dante's Inferno

Zur Hölle mit euch!

Als die Plattform im Knochenturm hochfährt, wird dahinter eine riesige, halbnackte Frau sichtbar. Größer als King Kong, größer als Godzilla, überhaupt größer als die meisten Endgegner in Videospielen. Doch obwohl der Gedanke an entblößte Brüste in Körbchengröße "Bierzelt" möglicherweise die Testosteron-Produktion manches Pubertierenden anregt, ist die Frau so sexy wie ein toter Fisch. Und ein bisschen sieht sie so mit ihrer bläulich verfärbten Haut und den Verwesungserscheinungen im Gesicht auch aus. "Das ist Kleopatra", verrät mir der Ausführende Produzent Jonathan Knight, während ich mich moralisch auf den bevorstehenden Kampf einstelle. "Sie wurde wegen ihres ausschweifenden Lebens in die Unterwelt verbannt." So sieht er also aus: "Lust", der zweite Kreis der Hölle.

Ich gebe zu, vor meiner Probepartie auf dem EA Winter Showcase in London war das Spiel Dante's Inferno ein wenig an mir vorbei gegangen. Sicher, da gab es die getürkte Demonstration vor der Spielemesse E3 im Juni und auch mal einen Bericht auf Eurogamer, doch viel mehr ist nicht hängen geblieben. Verflixte selektive Wahrnehmung! Aber vielleicht war das alles auch gut so, denn jetzt sind es nur noch drei Monate, bis das Spiel erscheinen soll. Ein Zeitraum, über den sich die Vorfreude auf ein offenbar erstklassiges Action-Adventure ertragen lässt. Denn genau das scheint Dante's Inferno zu werden: Ein unverschämt gutes und abgefahren aussehendes Abenteuer im Stil von God of War.

Dantes Spezialsense hält unter den Schergen von Endgegnerin Kleopatra Ernte.

Auf die offensichtlichen Ähnlichkeiten zum Spiel mit Kriegsgott Kratos angesprochen, reagiert Knight etwas zickig. "Ich möchte hier nicht die Spiele anderer Entwickler kommentieren, sondern über Dante's Inferno sprechen." Aber wessen Fehler ist es, wenn sich die Probepartie mit seinem Spiel genauso anfühlt wie ein Match God of War? Und ist es überhaupt ein Fehler? Offensichtlich nicht, denn der neue Abschnitt spielt sich fantastisch.

Mit einer Sense bewaffnet, wirbelt Dante genauso ungestüm durch die Gegnermassen wie Kratos. Auf Knopfdruck lassen sich rabiate Todesstöße auslösen. Doch obwohl virtuelles Blut spritzt, scheint das Spiel von der überzogenen Brutalität eines God of War 3 noch ein wenig entfernt. Dante's Inferno bietet andere, für Liebhaber des Widernatürlichen attraktive Widerlichkeiten.

Aus der ausgeleierten, rechten Brustwarze der Monster-Kleopatra krabbeln plötzlich mehrere kleine Monsterkinder mit um den Bauch gewickelten Nabelschnüren und Klingen statt Händen. Spätestens jetzt sollte die gefallene Pharaonin aus all euren Sexphantasien getilgt sein. Die Szene ist wirklich eklig. "Das sind ungetaufte Kinder", erläutert Knight das Geschehen. Und diese Kreaturen greifen an! Sie wollen verhindern, dass der Spieler die brüchigen, gelben Fingernägel von Kleopatras linker Hand trifft, mit der sie seine Plattform herunterdrückt.

Ein ähnliches Rätsel gab es schon vorher zu lösen, allerdings ohne eine wütende Endgegnerin und ihre Schergen im Nacken. Ihr musstet die Fangzähne einer Schlangenskulptur zerschlagen, eine Statue in einen Vorsprung klemmen, mit Hebeln ein Plateau in Bewegung setzten.

Teilsieg für Dante: Dieser Teufel erliegt der Macht von Kreuz und Sense.

Kleopatra lässt sich ähnlich außer Gefecht setzen. Sobald die Hand der Riesin die Plattform loslässt, hebt sich der Boden und ihr erreicht per Doppelsprung einen Hebel. Mit dem dreht ihr einen Schlangenkopf in Richtung der Dame. Ein zweiter Hebel lässt Flammen aus dessen Maul schlagen: ein beeindruckendes Schauspiel. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Teufel mit Hörnern, halbnackte Frauen und besagte Monsterkinder heizen euch ordentlich ein. Mit jedem eurer Treffer steigt der eingeblendete Kombo-Zähler und füllt das rote "Redemption Meter", zu deutsch den "Erlösungs-Zähler". Aktiviert ihr diese Hilfe, agiert Spielfigur Dante doppelt so schnell - ein echtes Schlachtfest. Im Laufe eures Abenteuers dürft ihr zudem die zwei Kampfsysteme eures Helden verbessern, die die Entwickler in "Heilig" und "Unheilig" unterteilen. "Unheilig steht für alles was brutal ist, die Nahkampftechniken mit der Sense", so Knight. "Heilig steht für Magie und Gesundheit." Ja, zaubern kann Dante auch. Mit seinem Kreuz schießt er auf die Höllenkreaturen oder setzt sie unter Strom.

Rund 15 Minuten dauerte für mich die entscheidende Kraftprobe zwischen Dante und Kleopatra. 15 Minuten, in denen ich mich in das Spiel verliebt habe. Visceral Games, die Macher von Dead Space, erschaffen offenbar gerade das nächste Stück großer Abendunterhaltung für das erwachsene Publikum. Ganz so originell wie ihr Horror-Abstecher in den Weltraum scheint der Höllenritt in Anbetracht des offensichtlichen Vorbilds God of War zwar nicht zu werden, doch das Potential für ein Meisterwerk abseits des Durchschnittsgeschmacks ist gegeben. Wer auf der Landstraße bei überfahrenen Tieren nicht wegsieht, wird auch an den wüsten Höllenvisionen in Dante's Inferno Geschmack finden.

Dante's Inferno erscheint voraussichtlich am 9. Februar 2010 für Xbox 360, PlayStation 3 und PSP.

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