Dark ist ein Stealth-Puzzle und als solches muss man es nehmen.
Das lässt sich sogar der schlechte Vampir-Grufti-Kitsch-Club ganz gut ertragen.
Was ist „Stealth" eigentlich? Oder das Stealth-Genre? Je nachdem, wen man da fragt, oder welche Posts im Internet man so gerade liest, ist es tot und wird erst mit Thief 4 vielleicht wieder ausgegraben, weil nur Thief und vielleicht noch die ersten Splinter Cells Stealth waren. Woanders gilt schon das neue Tom Raider als Stealth, weil Lara sich gelegentlich mal verstecken muss und nicht schießen darf. Oder darf man im Stealth eigentlich nie schießen? Wenn es nach dem „Nicht-schießen-dürfen" geht, müsste Dark dann das Super-Stealth schlechthin sein. Ihr dürft nie schießen. Aber das heißt nicht, dass ihr als Vampir wehrlos seid.
I wear my sunglasses at night
Das Szenario kennt man inzwischen und gerade seit den 90ern zur Genüge. Es ist unsere Welt, aber Vampire sind echt und führen ein Schattendasein, in dem sie überkandidelte Goth-Clubs leiten, die je nach Tagesform voll authentisch Nine Inch Nails oder Stabbing Westward laufen lassen, während alle abwechselnd das Blut williger Helferlein trinken oder an teuren Weinen schnüffeln. Die der Pubertät nie ganz entwachsenen Grufti-Träume der späten 90er sind in Dark ganz nah. Es fehlt nur noch Techno im Schlachthof.
In einer in ihrem Tempo irgendwie drolligen Einleitung - euer Alter Ego scheint von Entwicklungen wie Amnesie, neues Halb-Vampir-Dasein und drohender Zombifizierung komplett unberührt zu sein - werdet ihr in dieser wohlvertraute „neue" Welt geworfen, lernt ein paar andere Vampire kennen und erfahrt, dass ihr den Vampir finden müsst, der euch in den Zustand des Halbvampirs verwandelte. In dieser Auslegung des alten Mythos muss der werdende Vampo nämlich das Blut seines Schöpfers trinken, ansonsten verwandelt sich der neue Vampir in einen Ghoul und das ist nach Aussage eurer neuen Freunde ein Zustand, den es zu vermeiden gilt. Dummerweise hinterließ der, der euch schuf, keine Visitenkarte, ihr selbst habt keinerlei Erinnerung und auch sonst scheint alles verloren. Zeit also für Aufträge, die Wahrheit wird sich schon finden lassen.
Und hier endlich beginnt Dark, interessant zu werden. Nach einem etwas halbherzigen Tutorial, in dem die Mechaniken noch etwas zusammenhangslos wirkten, sollt ihr in ein Museum einbrechen, das bewacht wird. Gut bewacht. Der Vorhof ist dabei noch ein Auftakt und zeigt euch, wie praktisch die Vampirsicht sein kann. Jedes Spiel scheint heutzutage die eine oder andere Variante des Röntgenblicks zu haben und hier sind es die Blutkreisläufe lebender Wesen, die sich zeigen. Ich bin gespannt, wie diese im späteren Spiel dann bei anderen Vampiren aussehen. Oder ob sie überhaupt zu sehen sind.
Die der menschlichen Wachen zeigen sich jedoch deutlich und so scheint es die ersten drei oder so Wachen das übliche Wartespielchen, wann ihr in Deckung bleiben müsst und wann ihr euch raustraut. Dann soßt ihr vor der Tür auf den ersten Viererpack und spätestens auf dem hohen Schwierigkeitsgrad ist ein Frontalangriff keine Option mehr. Sie zielen zu gut und verursachen sehr viel Schaden. Halbvampire sind also keineswegs unsterblich. Wären es nur einer oder zwei, könntet ihr vorstürmen und sie mit einer Spezialattacke oder ein paar Schlägen ausschalten. Vier? Keine Chance, hab es ein paar Mal versucht. Zwei von ihnen drehen ein paar Runden, bleiben aber immer in der Nähe der anderen beiden, die sich gegenseitig ansehen. Es scheint keinen Ansatzpunkt zu geben.
Eine Möglichkeit war es, sie gar nicht anzugreifen und ungesehen vorbeizukommen. Es geht. Glaube ich. Nur ist es höllisch schwer. Sie zu alarmieren, ausschwärmen zu lassen und dann einen nach dem anderen herauszupicken, war weit einfacher, zumal Fertigkeiten wie Vampir-Beherrschung, die den Gegner für ein paar Sekunden wehrlos herumstehen lassen, dabei ungemein hilfreich sind. Der Einsatz dieser Fertigkeiten hat aber seinen Preis und Spezies-gemäß heißt er Blut. Um also die ganze Vielfalt nutzen zu können, müsst ihr die Wachen nicht nur niederstrecken, was sehr schnell und unauffällig geht, sondern aussaugen. Das dauert ein paar Sekunden und lässt euch kurz wehrlos mit eurem Opfer in der Gegend herumstehen. Die Balance des Einsatzes der Fertigkeiten scheint damit fast automatisch gegeben, vor allem, wenn sich spätere Bereiche dann so entwickeln, wie das Innere des Museums.
Ein verschachtelter, riesiger Raum ohne tote Winkel, dafür mit vielen Glasgängen und Vitrinen. Und natürlich über ein Dutzend brav ihre Runden drehender Wachen. Hier beginnt das große Spiel aus Beobachten, die Zeitfenster einschätzen, schnell zuschlagen und hoffentlich noch rechtzeitig die Körper irgendwo verstecken, sodass sie keiner sieht. Wird in diesem engen Areal erst mal Alarm geschlagen, war es das schnell. Da helfen dann auch keine Vampirkräfte mehr.
Hier machte Dark plötzlich richtig Spaß! Es war nicht wirklich neu, aber die Muster der Wachen waren nicht sofort offensichtlich, die rein vom inhaltlichen Verständnis seltsame Regelung, dass ihr im ganzen Spiel nie eine Pistole oder andere Schusswaffe bekommen werdet - die Erklärungen, die sich seitens der Entwickler bekam, reichten von einem eher faulen „ist halt so" über ein nicht ganz wahres „wenn die eine Waffe haben, ballern die doch nur" bis zum seltsamen „Batman schießt ja auch nicht" ... - machte spielerisch absolut Sinn. So war ich gezwungen, stets nah heranzuschleichen, denn der „Vampir-Teleport", den ihr in gewissen Abständen immer wieder einsetzen könnt, hat nur eine relativ kurze Reichweite und verursacht auch noch ein verdächtiges Geräusch, solange ihr diese Fertigkeit nicht hochlevelt. Das gilt überhaupt für praktisch jede der Kräfte und somit wird ihr Einsatz weiter eingeschränkt. Zumindest in der Anspielrunde habe ich keinen billigen Weg durch den Raum gefunden und das machte diese Museumstour zu einem echten Vergnügen.
Die große Frage ist, wie sich diese Balance später entwickelt und ob neue Fertigkeiten und Gegner sich geschickt die Waage halten. Der Reiz zum Anfang bestand in erster Linie darin eben nicht zu übermächtig zu sein, und somit zum leisen Spiel gezwungen zu sein. Vielleicht haben die Entwickler recht, vielleicht hätte ich wirklich angefangen zu ballern, wenn man mir eine Waffe gegeben hätte, aber so hatte ich definitiv mehr Freude am Versteckspiel.
Dark wird von seiner technischen Umsetzung nicht in der Oberliga mitspielen und ich habe noch keine Ahnung, ob das abgestandene Vampir-Geheimbund-im-Nachtclub-Szenario noch an interessante Orte und Wendungspunkte führt. Aber ehrlich gesagt spielt das beides in diesem Falle für mich eine sehr untergeordnete Rolle. Nach dieser Anspiel-Runde betrachte ich Dark weniger als ein handlungsgetriebenes Action-Adventure, in dem ich mich über die eine oder andere Unlogik echauffiere, sondern als Stealth-Puzzle-Spiel mit vielen Möglichkeiten. Als solches hatte ich damit eine großartige Zeit. Sicher, hier und da muss noch ein wenig gefeilt werden, aber selbst wenn es am Ende noch ein paar Kanten und erzählerische Schlaglöcher bleiben sollten: Dark hat Potenzial, und zwar spielerisch weit mehr als im Bereich des interaktiven Erzähl-Kinos. Ungewohnt, aber erfreulich.