Darksiders 2 - Hands On
Ich seh' den Wald vor lauter Äxten nicht - oder: Wie viel Loot tut gut?
Was auch immer man von Vigil Games Darksiders-Universum halten mag, dazu, für einen Nachfolger nicht einfach am letzten Level des ersten Teils anzuknüpfen, ja, sogar den Hauptcharakter auszutauschen, gehört eine Menge Mut. Es ist ein riskantes Unterfangen, nicht nur den Namen und das Aussehen der Figur im Vordergrund dieser ätherischen Endzeit- und Zwischenwelten zu verändern, sondern gleich das komplette Spielgefühl dazu. Wie das hier auch ausgeht, dafür allein haben Entwickler und Geldgeber den allergrößten Respekt verdient.
So stellen Vigil Games und THQ nämlich sehr elegant sicher, dass sich dieses Universum nicht so schnell abnutzt, als selbstverständlich und bekannt empfunden wird. Dadurch, dass an derart zentralen Variablen wie Protagonist und dem Blick auf ein und dieselbe Geschichte geschraubt wird, bleibt das Erlebnis jedes Mal aufs neue frisch, ohne achtlos die Identität abzustreifen, die sich der Vorgänger so beflissen und routiniert erarbeitet hat. Man ist gespannt, wie Tods Seite der Geschichte aussieht, und was er gegen den Abspann von Darksiders 1 zu sagen hat. Nachfolgende Spiele die vorhergegangenen ergänzen zu lassen, anstatt sie einfach nur zu verlängern, ist einer der interessantesten Ansätze aller namhaften Franchises dieses Business. So etwas sähe ich gerne häufiger.
Eine Tradition, die Darksiders 2 unbeirrt vom Seriendebüt übernimmt, ist die, sich die besten Elemente aller artverwandten Spiele zu eigen zu machen. Nachdem der erste Teil schon die fließenden Kombos eines God of War mit den Schlüssel-und-Schloss-Dungeon-Designs eines Zelda zu einem ebenso zielstrebigen wie halbwegs offenen Abenteuer verband, kommen nun verstärkt Zutaten aus dem Rollenspielbereich hinzu, um die Charakterbildung facettenreicher zu gestalten. Eigentlich ein schöner Gedanke, der dem Titel eine zusätzliche Portion Spieltiefe verleihen könnte. Bei meiner letzten Begegnung mit dem Spiel auf THQs Event in London, wo ich die einleitende Mission spielen durfte, warf Vigils Willen, den Spieler mit Loot geradezu totzuschmeißen, jedoch ein paar Fragen auf.
Und die sind nicht zuletzt dem jüngst veröffentlichten Diablo 3 geschuldet. Eine digitale Skinner-Box wie das Blizzard-Spiel hat nicht ohne Grund zufallsgenerierte Dungeons. Hier wird ganz bewusst auf alles verzichtet, was vom einzig wahren Spielinhalt, dem ewigen Beutezug, ablenkt. Platz für ausgefuchste Kletterpassagen, Rätsel und Set-Pieces, die einem den Mund offen stehen lassen, ist hier keiner. In Darksiders 2 jedoch spuckt jeder zweite Gegner hübsch klimpernd Gold, Tränke oder eine der Sekundärwaffen aus - Hämmer und Äxte, die Tods schnelle Doppelsensen durch eine schwere Attacke auf der Y-Taste ergänzen. Alle paar Meter geht man ins Menü, um einen neuen Prügel mit dem alten zu vergleichen und irgendwie hatte ich ein bisschen das Gefühl, als würde das Loot in Konkurrenz mit den auf Erkundung und Spektakel ausgelegten Spielumgebungen stehen, um Aufmerksamkeit betteln, die ich eigentlich der Welt und der Geschichte widmen wollte.
Ich habe binnen einer Viertelstunde aber ungefähr ein halbes Dutzend Zweihänder gefunden, die zehn bis zwanzig Schadenspunkte unter dem lagen, der mir nach zwei Minuten in die Hände fiel. Irgendwann schaute ich nur noch aus Pflichtbewusstsein nach, ob das neue Stück Ausrüstung noch Besserung versprach, nur aus Angst, etwas zu verpassen, nicht aus Neugierde oder dem Drang heraus, den bestmöglichen Sensenmann zu erschaffen. Bis der Titel im August herauskommt, hat Vigil natürlich noch ein bisschen Zeit, für die Beutedusche ein Maß zu finden, das den Spielfluss nicht bremst und vielleicht wurde das Loot hier auch nur zu Vorführzwecken ein wenig übertrieben großzügig ausgeschüttet. Tods "nacktes" Design zu Beginn lässt zumindest in der Theorie massig Raum, ihm seinen eigenen Anstrich zu verpassen, was ich letzten Endes durchaus begrüße. In dem Umfang, wie diese Rollenspiel-Leihgabe in der Demo passierte, war sie aber zu sehr aufgeblasen.
Wie schon im ersten Teil sind nämlich die Welt und ihre Bewohner die Stars von Darksiders. Hatte man beim Erstling aber noch ein wenig das Gefühl, deren martialische Designs aus den Stiften von Joe Madureira sähen in erster Linie so aus, wie sie aussahen, um Actionfiguren zu verkaufen, besteht mit dem Nachfolger kein Zweifel mehr daran: Vigil Games hat mittlerweile eine ziemlich genaue Vorstellung von seiner eigenen, reichhaltigen Welt mit einer lebendigen Geschichte. Teil Zwei fügt sich organisch in den Ersten ein und wertet diesen dadurch nachträglich auf. Tods einleitende Mission auf der Suche nach dem sagenhaften Crowfather, der um ein dunkles Geheimnis weiß, macht wenig Zugeständnisse an Spieler, die neu in die Reihe stoßen. Viel mehr als ein vorausgeschicktes Intro, dass die Geschehnisse kurz Revue passieren lässt, gibt es nicht. Sofort ist man mittendrin, reitet den eisigen Hang zur verschneiten Festung hinauf und wird hier in einem schmalen, aber schönen Korridor mit der Bewegung und ersten Kampfmanövern vertraut gemacht.
Einmal mehr fällt auf, wie präzise, flink und mühelos sich Tod im Vergleich zu Krieg steuert, was sich ebenso auf die schnellen Klettereinlagen auswirkt, wie auf die Schlägereien mit den Kältemonstern, die sich aus einem eisigen Schlaf schälen, um euch den Weg zum Rabenvater zu verwehren. In dieser Sorte Spiel steht ein Entwickler immer vor dem Problem, dass sich die Figur schon zu Anfang mächtig genug anfühlen muss, bei gleichzeitig möglichst großem Entwicklungspotenzial für die kommenden Stunden. Vigil löst das Dilemma mit einem Basiskampfsystem, das satt, dynamisch und fließend daherkommt, und auch ohne de zahlreichen zusätzlichen Gadgets und Sonderwaffen gefällt, die im Laufe der Kampagne noch hinzukommen.
Bei der abschließenden Begegnung mit dem Crowfather bemerkt man wieder Vigils Fähigkeit, markante Charaktere zu gestalten. Vor allem aber auch die Stimmen begeistern. Hier wurde definitiv toll gecastet. Michael Wincott, bekannt aus The Crow oder Alien 4, gibt den Sensenmann mit einem jenseitigen Timbre ein schauderhaftes Organ und auch der Crowfather überzeugt mit einer theatralisch-verzweifelten Darbietung, die weit abseits von dem ist, was man normalerweise als Videospiel-Bösewicht vorgesetzt bekommt. Das hier spielt in der gleichen Liga, wie die Vertonung eines Arkham City. Ein schön in Szene gesetzter Bosskampf später, den ich gleich mehrfach versuchen musste, bis mir klar war, dass ohne behände Ausweichmanöver nichts zu gewinnen war, war die Demo auch schon wieder vorbei - viel zu kurz, was in diesem Fall weniger Beschwerde als ein Kompliment an die Macher ist. Nur zu gerne hätte ich weitergespielt.
Abgesehen von dem Loot-Dilemma, vor das mich die allzu großzügigen Belohnungsmechanismen vor jeder Wegbiegung stellten, war diese einleitende Mission ein wunderbar atmosphärischer Aufmacher für dieses zweite Abenteuer hinter dem Ende der Welt. Die Abkehr von der üblichen Fortsetzungs-Manie kann man Vigil Games und THQ nicht hoch genug anrechnen, es ist ein keineswegs selbstverständliches Risiko, das hier eingegangen wird. Hoffentlich hat dieser Ansatz für andere Spielereihen irgendwann Modellcharakter. So schön es auch ist, in mehreren Episoden um ein und dieselbe Figur mehr über diese zu erfahren, so wenig hat diese doch irgendwann noch zu erzählen.
Dadurch, dass wir nun aus anderer Perspektive auf dieses Universum blicken, bleibt es neu, mysteriös und wirkt angemessen "Larger-than-life" - ein schöner, passender Gedanke für ein Spiel, in dem man Gevatter Tod höchstpersönlich verkörpert.