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Darum sitzt Darkest Dungeon auf Platz 1 der Steam-Charts

Stress ist der größte Killer…

Ich weiß nicht, wie es mit euch steht, aber an mir ging Darkest Dungeon bis vor Kurzem noch unbemerkt vorüber. Auch an die Kickstarter-Kampagne vom vergangenen Februar, die ihr Ziel immerhin um mehr als das Vierfache übertraf, habe ich keine Erinnerung. Und jetzt ist es da. Dominiert seit einigen Tagen die Steam-Charts von oben herab und ist selbst auf Twitch locker unter den Top 20 der gestreamten Spiele. Was also ist Darkest Dungeon und wieso trifft ausgerechnet dieses eine unter vielen Indie-Rollenspielen so sehr einen Nerv?

Viel davon ist wohl dem außerordentlich stimmigen Stil zuzuordnen. Stellt euch vor, H.P. Lovecraft fällt in einer in einer in einer Dunkelkammer voller Pinsel, Füller und Wasserfarben die 3rd Edition von Dungeons & Dragons auf den Kopf, woraufhin er mit dem Gesicht zuerst in einen Stapel von Joe Hills grandioser "Locke & Key"-Comics stürzt. Kräftige Konturlinien umreißen die detaillierten und stets aus der Seitenansicht gezeigten Charaktere und Gegner, harte, fast grundsätzlich tiefschwarze Schatten dominieren das Bild und die Gemütslage. Es sieht aus wie eigentlich nichts anderes. Lediglich, dass Klei Entertainment (Mark of the Ninja, Don't Starve) im Intro-Bildschirm gedankt wird, ergibt im Kontext Sinn, weil Darkest Dungeons Animationen deren Spielen ähneln.

Überhaupt ist die Stimmung einzigartig düster. Besonders, weil die geisterhafte Stimme eures Ahnen, der auf dem Grundstück eurer Familie offenbar ein Tor zur Hölle oder sonst-wohin geöffnet hatte, mit ächzendem Alter-Mann-Bariton das unheilvolle Prozedere aus dem Off kommentiert. Zu schade, dass er sich ob der Grauen, die sich ihm dort eröffneten, die Kugel gab. Sonst hätte er den selbst angerichteten Tentakelschlamassel selbst bereinigen können, anstatt euch damit zu beauftragen. Aber dann hätten wir jetzt vermutlich auch nicht einen der fesselndsten Dungeon-Crawler der letzten Jahre unter den Fingern.

Hier geht alles los, im Dorf unterhalb des verfallenen Herrenhauses.

Abseits des verlockend gruftigen Augenaufschlags packt Darkest Dungeon nämlich auch übliche RPG-Regelwerke von einer ungewohnten Seite. Habt ihr im Stadt-Hub unterhalb eures verfallenen Anwesens mindestens vier Helden rekrutiert, kann es ohne großen Story-Ballast oder Ausrüstungsmanagement schon in den ersten Dungeon gehen. Hier erwischt es einen zunächst auf dem falschen Fuß, dass ihr euch nicht frei durch die Umgebungen bewegt, sondern in einem Netzwerk von Räumen den wählt, zu dem es als Nächstes gehen soll. In der Seitenansicht geht es dann durch den folgenden Verbindungskorridor - nur vorwärts oder zurück durch Loot-Gelegenheiten, Fallen und Kämpfe.

Schnell wird klar, dass Erkundung nicht das ist, wofür sich Darkest Dungeon interessiert, denn im Herzen ist es ein Taktikspiel. Das Kampfsystem legt außerordentliches Augenmerk auf die Reihenfolge, in der sich eure Söldner aufgestellt haben. Alle Aktionen und Angriffe können nur aus bestimmter Position erfolgen, und auch, welchen der Feinde man damit treffen kann, ist fest definiert. Die Ladung Schrot, mit der euer Wegelagerer drei Gegnern auf einmal geringen bis mittelmäßigen Schaden zufügt, kommt immer aus zweiter oder dritter Reihe und trifft immer - wenn sie trifft - die ersten drei Kreaturen. Und so zieht sich das durch jede der 15 Klassen und ihre vielen Talente, selbst Heilzauber sind davon betroffen.

So arbeitet ihr lange an eurer perfekten Reihenfolge und Zusammenstellung eurer Party, aktiviert und deaktiviert bestimmte Skills, die ihr nicht braucht, und versucht so, auf jede Spielsituation eingestellt zu sein. In eurer langen Reihe an rekrutierten Abenteurern findet ihr schnell einige Lieblinge. Das Problem ist dabei nur, dass ihr euch nie wirklich auf ihre Dienste verlassen könnt und deshalb rotieren müsst. Hier werdet ihr euch also nicht auf vier Strahlemänner einigen, die ihr das ganze Spiel hindurch verwendet. Denn ein Gemetzel gegen Höllenkreaturen in einem stockfinsteren Gemäuer hinterlässt so seine Spuren. Statt der Steigerung von Fähigkeiten und Ausrüstung ist in Darkest Dungeon demnach vor allem der Stresslevel eurer Leute die Variable, um die ihr euch kümmert.

Manchmal, aber nur manchmal, leisten eure Helden unter Stress Herausragendes, anstatt die komplette Partie in den Ruin zu treiben.

Als wohl ungewohnteste Facette dieses Titels kommen also schon bald psychologische Ticks und andere Effekte zum Tragen, während ihr eure gar nicht so unerschrockenen Helden durch eine Serie immer aussichtsloserer Kämpfe schickt. Je dunkler es in dem Dungeon ist, je mehr Treffer ihr kassiert und je mehr Unglück euch widerfährt, desto höher auch der Stresslevel eurer Untergebenen. Und wenn der bei 100 steht, gibt es so einige fast immer unangenehme Nebeneffekte. Manches Mal wird einer eurer Mannen zum Masochisten und verweigert Heilung, ein anderes Mal wird er selbstsüchtig und handelt auf eigene Faust, etwa indem er sich nach hinten zurückzieht. Wenn es sich dabei um euren kreuzritternden Tank handelt, auf dessen wuchtige Nahkampfattacke ihr unbedingt angewiesen seid, habt ihr ein Problem. Mit einem manuellen Positionswechsel verschenkt ihr euren Zug. Aber aus solchen Situationen lernt ihr schnell und entwickelt für zukünftige Expeditionen einen Plan B.

Ist der volle Stresslevel erreicht, solltet ihr nach getaner Arbeit im Dorf die Taverne oder die Kathedrale aufsuchen. Hier spannen eure Charaktere auf verschiedene Arten aus, um ihre schlimmsten Persönlichkeitsfehler vorerst zu kitten. Das kostet nicht nur Geld, sondern auch Zeit. Den nächsten Dungeon geht ihr ohne diejenigen Figuren an, die sich in der Kapelle gerade selbst geißeln oder bei einem Spielchen ihre Sorgen vergessen. Auch die mit jedem bestandenen Dungeon hinzugewonnenen positiven und negativen dauerhaften Charaktereigenschaften - vom Kleptomanen bis hin zum "bekannten Betrüger" - lassen sich entfernen, wenn ihr etwas Geld investiert und den Kandidaten für ein Weilchen in ein Sanatorium einweist. Zu Felde ist die Stresslinderung etwas komplizierter. Erst ab mittlerer Dungeon-Größe dürft ihr in einem Raum eurer Wahl campieren, um einige stresslindernde und heilende Rastfertigkeiten eurer Leute einzusetzen. Gut, dass eure Untertanen nach und nach eine bessere Resistenz gegen Stress entwickeln.

Ein weiteres tolles Feature ist, dass man selbst in der Hand hat, wie dunkel es sein soll. Lasst ihr eure Fackeln immer sehr weit herunterbrennen - signalisiert durch die Lichtleiste am oberen Bildrand -, leidet die Psyche eurer Leute stärker, die Gegner landen mehr kritische Treffer und allgemein wird das Spiel deutlich schwieriger. Dafür findet ihr auch deutlich mehr Loot. Es lohnt sich also, seinen Schwierigkeitsgrad eigenhändig ein wenig zu skalieren, wenn ihr gerade einen guten Lauf habt. Zwar besteht immer das Risiko, dass einen eurer wichtigsten Leute ein permanenter Tod ereilt, aber gerade weil die Gefahr stets mitspielt, ist Darkest Dungeon so fesselnd.

Dynamische Kamerazooms und wuchtige Soundeffekte heben ein technisch im Grunde primitives Spiel auf einen höchst ansprechenden Level.

Kaum ein Jahr haben die sieben Leute von Red Hook Games gebraucht, um das Spiel in dieser Form im Early-Access-Programm zu veröffentlichen. Seit letzter Woche konnte ich nicht einmal meinen Rechner neu starten, ohne dass Steam ein frisches Update herunterlud, das irgendetwas an Darkest Dungeon verbesserte. Es ist schon jetzt sehr viel ausgereifter als so manches Vollpreisspiel, das im letzten Jahr als fertig verkauft wurde. Und das ist neben den unbestreitbaren Qualitäten als hartes, überraschendes und eigenwilliges Taktik-Rollenspiel wohl ein weiterer triftiger Grund, warum Darkest Dungeon auf Steam gerade ganz oben steht. Warum warten, wenn schon jetzt so viele Leute dermaßen Spaß haben? Beim Bibbern, Bitten, Bangen im wohl finstersten RPG-Keller der letzten Jahre.

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