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Darum wird Dragon’s Dogma 2 der ultimative Fantasy-Welt-Simulator

Drei Stunden Endgame-Klassen und ein Talk mit Hideaki Itsuno. Alex' Weihnachten kam dieses Jahr früher.

Es ist die Größe, oder? Nicht der vordergründige Detailgrad ist das, was an Dragon’s Dogma 2 heraussticht, sondern wie gewaltig alles wirkt. Die ersten Schritte durch die Befestigungen im Grenzland zu Batthal, dem Reich der löwengesichtigen Beastren, führen mich eine breite Wendeltreppe zum Tor hinauf, das vor Jahrhunderten ins blanke Felsmassiv geschlagen wurde. Der Blick den rohen Stein hoch gebietet jedenfalls Ehrfurcht und für einen Moment wusste ich nicht so genau, warum. Erst als ich stehenbleibe und genau hinsehe, erkenne ich es.

Wie oft werden Felsformationen, Gebäude und Kreaturen, die angeblich riesig sein sollen, in Videospielen mit Texturtapeten überzogen, die zwar die Stofflichkeit halbwegs überzeugend vermitteln, das Objekt, das sie kleiden, aber optisch schrumpfen lassen? Die Gestaltungsabteilung von Dragon’s Dogma 2 sprenkelt das Gestein, das beim Übergang vom eher mitteleuropäisch geprägten Vermund nach Batthal fließend und natürlich vom kalten Grau in einen sonnengehärteten, gelben Sandstein übergeht, mit so vielen Mikrodetails – Moos, Risse, Noppen –, dass es die Größenverhältnisse automatisch richtigstellt.

Der Teufel liegt im (Mikro-)Detail

Das setzt sich bei den Kreaturen fort: Als ich es später mit einem Greifen zu tun habe, wirkt auch er einfach gigantisch. Von der Hautstruktur an seinen Hühnerfüßen über die vielen individuellen Federn, die der Wind im Flug erzittern lässt, hin zu den trägeren, aber unermesslich kraftvollen Animationen steckt auch hier eine Dimension drin, die den Spieler bewusst schrumpfen lässt. Der Gewinn fürs Spielgefühl: Ich komme mir klein und unbedeutend vor, habe exakt das richtige Format für eine Welt wie diese – und spüre deshalb, dass ich ein fest verankerter natürlicher Teil dieser Welt bin.

Es ergibt maximalen Sinn, dass Dragon’s Dogmas Game Director Hideaki Itsuno (“Devil May Cry”, “Power Stone”) sein Spiel im Gespräch ein paar Tage nach der Hamburger Demo-Session nicht als bloßes “Action-Rollenspiel“ beschreibt. Er nennt es lieber einen Fantasy-Welt-Simulator. Das trifft es gut, vor allem, da mir gleich die erste Quest, bei der ich nach Batthal gelangen soll, mehrere Lösungsansätze offeriert. So habe ich im Inventar zwar einen Passierschein. Aber erst als mich der Beastren am Eingang abblitzen lässt, sehe ich, dass der nur für einen dieser Löwenmenschen gilt.

Neue Bilder aus Dragon's Dogma 2

Laut anwesendem Capcom-Mitarbeiter gibt es einen geheimen Zugang, der mit einem Umweg verbunden ist, die Möglichkeit, sich an Bord einer der Kutschen zu verstecken, die regelmäßig durchs Tor gewunken werden, oder den Erwerb einer Beastren-Maske. Ich entschied mich für die letztere Option und musste direkt erkennen, dass ich trotz der Anweisungen Capcoms Probleme hatte, in der geschäftigen Festung den halbseidenen Händler zu finden, der mir die Tarnung andrehen würde. Dragon’s Dogma bleibt also auch im zweiten Teil fest entschlossen, euch die Lösungen nicht vorzukauen. Mich hat das sehr beruhigt.

Was ich noch nicht beurteilen kann, ist, wie aufdringlich die Bittsteller auf die gesamte Länge des Spiels sind, die mich gleich zu Beginn ein wenig überrennen und den Fokus der Kamera automatisch auf sich ziehen. Ich mag es, dass NPCs nicht nur passiv herumstehen, sondern mich proaktiv als Helden in spe erkennen und mich um Hilfe bitten. Aber ich kann mir vorstellen, dass man so manches Mal anderes im Sinn hat, als sich die Sorgen eines dahergelaufenen Wanderhändlers anzuhören. Gut möglich allerdings, dass das auch der Demo geschuldet ist. Zugleich gilt: Ohne NPC-Kakofonie wäre es vermutlich kein Dragon’s Dogma mehr.

Pack eine Stulle ein, der Weg wird hart!

Irgendwann fand ich den Hehler mit der Löwenmaske und betrat kurz darauf das erste Mal Batthal. Dragon’s Dogma 2 stellte direkt hinter dem Tor klar, dass wie schon im Vorgänger der Weg ein großer Teil des Ziels ist. Alle paar Meter wird man überfallen oder stolpert in eine spazieren gehende Bestie. Sich seine Gesundheits- und Ausdauerreserven gut einzuteilen, ist auf den beschwerlichen Trips, die Dragon’s Dogma für euch vorgesehen hat, das A und O. Ihr müsst selbst erkennen, wann ihr euch auf einen Kampf einlassen könnt und wann nicht – und nehmt eure sympathisch dauerplappernden KI-Begleiter, wenn nötig, an die Leine, um nicht von einem Gefecht ins nächste zu stolpern.

Das Kampfsystem ist einmal mehr sehr vielschichtig und auf mehreren Ebenen involvierend. Selten bedient sich Capcom der Fire-and-forget-Philosophie. Das ist alles sehr viel verspielter. Zu Beginn der Demo spielte ich die Endgame-Klasse Mystical Spearhand: Einen Magieanwender mit mächtiger Speerwaffe. Mit dem rechten Bumper verschießt der einen magischen Bolzen, der zwar keinen Schaden anrichtet, das Ziel aber kurz lähmt. Nimmt man sich die Zeit, ihn aufzuladen, friert der Gegner sogar an Ort und Stelle ein – und drückt man dann noch im exakten Moment des Treffers eine Taste – welche, habe ich vergessen – wirkt dieser Zauber noch ein Area-of-effect und stoppt auch umstehende Feinde gleich mit.

"Nur noch eben diese Quest erledigen" gibt es in Dragon's Dogma 2 nicht. Der Weg von hier nach da ist eine Aufgabe für sich.

Das ist nur einer der Moves, in den man sich ganz schön reinfuchsen kann und über bloßes Knöpfchendrücken für unmittelbaren Effekt hinausgeht. Vor allem aber sollte man sich dessen bewusst sein, was die Mystical Spearhand nicht kann. Sie kennt nämlich weder Ausweichrolle noch traditionellen Block, wohl aber einen Sprint und einen magischen Schild, der ein paar Sekunden anhält und auch nahe Begleiter schützt. Wer aus den Zwischenlanden nach Batthal anreist, dürfte daher zunächst bei den Laufbahnen vom Anfang besser aufgehoben sein, die auch Blocks und Ausweichmanöver beherrschen oder erlernen können. Ansonsten macht die Mystical Spearhand eine Menge Spaß. Vor allem die Stoßattacke, bei der man wie von Thors Hammer gezogen aus großer Distanz auf seinen Feind zufliegt, ist ebenso eindrucksvoll wie praktisch.

Im zweiten Demo-Abschnitt durfte ich den Bogenschützen “Magick Archer” spielen, der sich mit verschiedenen Elementar- und Heilpfeilen hin zu fernsteuerbaren Projektilen wieder komplett anders anfühlte. Ein- oder Mehrzielpfeile, die von Zauberhand ihr Ziel von selbst treffen, gibt es ebenso, wie die unentwegt abprallenden Ricochet-Pfeile, die enge Räumlichkeiten in das Innere eines tödlichen Nadelkissens verwandeln. Da es sich bei der Mystical Spearhand und dem Magick Archer um Endgame-Laufbahnen handelt, war das alles schon sehr anspruchsvoll. Itsuno verfolgt nach eigenen Angaben weiterhin das Konzept, dass man sich die coolsten Fähigkeiten erst verdienen muss. Mir schwirrt der Kopf, wenn ich mir vorstelle, was ich alles noch nicht gesehen habe.

Magie in einem Action-Spiel – Dragon’s Dogma 2 macht es richtig

Und die Augen schwirren mit, denn was hier bisweilen für ein Effektgewitter abgebrannt wird, das spottet jeder Beschreibung. Teilweise ging mir zugegebenermaßen der Durchblick verloren, aber das ist nicht verwunderlich, wenn man aus dem Stand mitten ins Spiel geworfen wird und hochrangige Charaktere steuern soll. Es ist auf jeden Fall toll zu sehen, wie alle Vasallen zusammen kämpfen, versuchen, sich zu unterstützen. Meine Zauberin (“Klaus”!) schwebte vor lauter Macht übers Schlachtfeld und mein Krieger-Kollege vom Kleiderschrank-Format trug niedergestreckte Partymitglieder zum Wiederbeleben in meine Richtung. Die Gruppe so als schlagkräftige Gemeinschaft zu erleben, das ist schon ziemlich cool.

Ich selbst habe zwar dieses Mal keinen reinen Magier spielen können, war aber im ersten Teil von der Imposanz und Kraft ihrer Zauber beeindruckt. Deshalb wollte ich von Itsuno wissen, wie er es hinbekommt, dass sich Magieanwender in seinem Actionspiel so mächtig anfühlen, wo Magier in anderen Spielen traditionell für mich weniger attraktiv waren.

Neue Bilder aus Dragon's Dogma 2

“Ich gehe Magie einfach als einen weiteren Teil eines Action-Spiels an. Ich denke unentwegt daran, wie ich Action daraus machen kann”, holt Itsuno aus. “Anstatt also nur Nahkampf auf der einen Seite zu haben und auf der anderen Seite eine Taste zu drücken, um einen Zauberspruch auszulösen, mache ich es anders”, erklärt er. Obwohl ich kein Japanisch verstehe, liegen in seiner animierten Erzählweise und in seinem Gestikulieren die Leidenschaft eines beschlagenen Fachmannes, der sich auch nach all der Zeit im Business noch die Freude für seinen Job bewahrt hat. Es macht Spaß, ihm zuzuhören. “Nimm’ zum Beispiel einen Nahkampf-Move, einen Charakter, der ein Schwert schwingt”, fährt er fort. “Es gibt deine Eingabe, die Animation, mit der das Schwert geschwungen wird, der Effekt auf den Gegner und schließlich ein Zeitfenster danach, in dem du verwundbar bist. Das ist im Nahkampf ein recht zügiges Timing der Animationspriorität, auch das Risiko für den Spieler ist schneller vorbei, aber es liegt nach dem eigentlichen Schlag.”

“Was ich bei Zauberern mache ist, dieses ‘Risikofenster’ zu nehmen und es nach vorne zu verlagern. Wann immer du also einen Zauber vorbereitest, nimmt das Zeit in Anspruch, alles Risiko liegt dann am Anfang der Aktion”, so Itsuno. “Ist der Zauber dann aber fertig und gesprochen, ist er umso mächtiger.” Itsuno bezeichnet das als Belohnung für das erhöhte Risiko, das der Spieler einging, noch bevor er überhaupt den Feind getroffen habe. “Für mich ist der Ansatz der gleiche [bei Nahkampf und Magie], der Unterschied ist, wo das Risiko und Belohnung für den Spieler liegen. Ich designe es einfach alles als Action-Spiel.”

Eindrücke über Eindrücke

Später sagt er noch, er wolle sein Spiel als reichhaltige, involvierende Erfahrung verstanden wissen, die von Minute zu Minute unterhält. "Ich will die Spieler auf Trab halten", so Itsuno. Ich würde behaupten, das zieht sich durch das komplette Spiel und spiegelt sich auch im Weltdesign wider. Was auf der Karte nach einem glasklaren Weg aussieht, entpuppt sich im Gelände schon mal als beschwerliche Wanderroute. An einer Stelle musste ich mich einen Absatz hinabfallen lassen, am folgenden Hang ein Stück über den Hosenboden rutschen und war mir nicht mal sicher, ob ich mich noch auf dem eingezeichneten Pfad befand. Tat ich aber. Auch dieses Zerklüftete, uneindeutige passt wahnsinnig gut zu Dragon’s Dogma, ein Spiel, das von euch möchte, dass ihr es selbst kennenlernt, anstatt euch alles nur erzählen zu lassen.

Womit wir wieder beim Anfang wären – und beim “Fantasy-Welt-Simulator”. Um es mit Itsunos ungekürzten Worten zu sagen:

“Es ist fast, als wäre man eines Tages neu geboren, als Person, die wirklich in dieser Welt lebt, die tatsächlich existiert. Ich will nicht, dass es sich anfühlt, als liefe man einfach über die Map einer Spielwelt. Diese Welt existiert unabhängig von unserer und hat logische Regeln, die man nach und nach erfährt. Es ist einfach logisch, dass man nachts nicht so weit sehen kann, dass es schwieriger ist einen Berg hinaufzulaufen als herunter, dass Dinge, die mit Öl bedeckt sind, stärker brennen.”

“Für mich sind das keine Gamedesign-Regeln, die Welt ist einfach voller grundlegender Gesetze, die alle Spielenden selbst herausfinden können. Dadurch kann man noch tiefer in diese Fantasie eintauchen, weil es keine verrückten, ausgedachten Regeln sind, die ich festlege. Wieso sollten die Spieler neu lernen, wie Schwerkraft funktioniert? Wenn ein großes Monster ins Taumeln gerät und du es schaffst, es zu schubsen, fällt es eben hin. Da geht es nicht darum, in dieser Sekunde jenen Knopf zu drücken. Nein, du, als Mensch, weißt instinktiv, was zu tun ist, wie Schwerkraft, Licht und Dunkelheit funktionieren. Das Regelwerk so zu erden, macht diese Fantasy-Welt erst lebendig.”

Dragon’s Dogma 2 erscheint am 22. März 2024 auf PS5, Xbox Series und PC

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