Das echte neue Syndicate: Satellite Reign
Neon geht die Welt zugrunde.
Heute steht das Spiel fast sinnbildlich für die Homogenisierung einer Branche, in der jeder Marke automatisch größere Chancen eingeräumt werden, wenn man sie in einen Shooter verwandelt, ob es nun passt oder nicht. Das hat einer Handvoll Entwickler um Syndicate- und Syndicate-Wars-Designer Mike Diskett nicht gepasst, die nach einer erfolgreichen Kickstarter Kampagne nun als 5 Lives Studios an Satellie Reign arbeiten. Seit kurz vor Weihnachten ist eine frühe Version auf Steam zu haben, die nach einigen Updates jetzt einen ordentlichen Einblick darin gewährt, was 5 Lives mit diesem Tribut and das Cyberpunk-Spiel vorhaben.
Und das ist nicht wenig, wie mir Lead-Designer Chris Conte im Gespräch erzählt. "Was das Design angeht, begannen wir mit der Maxime, nicht einfach nur ein Remake eines alten Klassikers zu machen", beginnt er. "Wenn du hergehst und diese alten Spiele heute spielst, wirst du bemerken, dass sie modernen Standards nicht mehr genügen. Wir versuchen also, die zentralen Elemente, Ideen und Gefühle dieser alten Spiele aufzugreifen und mit all den Fortschritten aufzupeppen, die Games in den vergangenen 20 Jahren gemacht haben."
An der Formel, einen Viertertrupp Agenten von oben durch eine düstere von Neonschildern und exotischen Werbedisplays dominierten Megametropole zu ziehen, hat sich nichts geändert. "Unsere Artists sind riesige Fans von Blade Runner und dieses ganzen Cyberpunk-Look-and-Feel", unterstreicht Conte, was in den ersten Sekunden offenbar wird. Die Megacorporations haben in dieser Welt sichtlich das Heft in der Hand und der Spieler ist der Anführer eines neuen Players am Markt der Macht. Wie schon damals streifen Sicherheitskräfte durch die Gassen, Überwachsungskameras halten Ausschau nach der Konkurrenz und zentrale Ziele eurer Missionen sind Attentate, Sabotage und die Eroberung neuer Technologie.
So viel zu den wichtigen Themen und Werten des Originals, die offenkundig unbeschadet ihren Weg zu Satellite Reign gefunden haben. Im Sinne des Fortschritts hat sich 5 Lives aber an entscheidenden Stellen vom Original entfernt. Anstatt etwa zwischen den Missionen auf eine Weltkarte zurückzukehren, auf der man das weitere Vorgehen plant, forscht und an seinen Agenten schraubt, bis einem der ganze Globus gehört, will 5 Lives die Systeme so ineinander integrieren, dass der Spielfluss nicht verloren geht. Sprungbrett hierfür ist, den Schauplatz auf eine einzige Mega-Stadt mit verschiedenen Bezirken zu reduzieren, die ihr nacheinander unter eure Kontrolle bringt.
Jeder der Bezirke - und die Stadt als Ganzes - unterliegt einer komplexen Simulation: Sabotiert ihr eine Firma, bremst ihr zum Beispiel deren Forschung, ein Angriff auf ihre Zentrale wirft unter Umständen einen Waffenprototypen ab, und wer die richtigen Leute besticht, dem öffnen sich Türen und Wege, die sonst nicht da gewesen wären. Ihr bewegt euch jederzeit völlig frei durch die Bezirke, meidet Kameras und hackt Geldautomaten, um eure sekündlichen Einnahmen zu steigern, denn durch Forschung und Entwicklung habt ihr natürlich laufende Ausgaben. Und wenn ihr forschen, Agenten augmentieren oder euer Loadout wechseln wollt, sucht ihr einfach einen der Checkpunkte auf, an denen euch auch Klone eurer Agenten zur Verfügung gestellt werden, die im Kampf gefallen sind. Dann stellt sich meist die Frage: Augmentierungen und Waffen am möglicherweise noch "heißen" Ort des letzten Ablebens kostenlos wiederzubeschaffen oder sie erneut teuer zu kaufen? Nett!
"Das Klassensystem fügten wir hinzu, weil wir dem Spieler einen Anreiz geben wollten, sein Team als eine Gruppe von vier Individuen auszuspielen" - Cris Conte, Lead-Designer
Wie schon XCOM von Firaxis setzt Satellite Reign im Gegensatz zu seinem großen Vorbild zudem darauf, den Agenten unterschiedliche Klassen zuzuweisen. "Das ist keine Veränderung um der Veränderung Willen", schwört Conte. "Das Klassensystem fügten wir hinzu, weil wir dem Spieler einen Anreiz geben wollten, sein Team als eine Gruppe von vier Individuen auszuspielen und nicht als ein einzelnes Wesen mit vier Waffen." Klingt logisch, dass man die Mannschaft in Soldat, Support, Infiltrator und Hacker einteilte. Was aber, wenn jemand genau dieses alte Spielgefühl will? "Dann kann er immer noch alle Agenten mit Miniguns ausrüsten und sie als geschlossene, wandelnde Todesmaschine durch die Straßen schicken", verrät Conte. "Aber die Unterschiede der Klassen erlauben sowohl im Gameplay von Moment zu Moment als auch bei der Ausrüstung seiner Agenten einige interessante Wahlmöglichkeiten."
Für den Moment mag man ihm das gerne glauben. Bereits in der ersten Mission, die stilecht noch immer in Textform dargereicht werden, werden einem drei Lösungsansätze angeboten. Das nunmehr dreiköpfige Team soll seinen Soldaten aus einem Polizeirevier befreien. Wer ein paar Credits springen lässt, kauft sich die Information dazu, dass es im Westen einen unbewachten Seiteneingang gibt. An der Ostseite jedoch führt im Obergeschoss eine Kabelverbindung in die Anlage, den der Infiltrator mit einem entsprechenden Ausrüstungsgegenstand als Zugang nutzen könnte. Oder ihr hackt das Kontrollpult, das den Fronteingang öffnet, und versucht es auf die klassische Tour mit gezückten vollautomatischen Waffen. Vorher solltet ihr aber vielleicht noch den Stromgenerator etwas außerhalb in einer Gasse sabotieren und so die Überwachungskameras im Inneren abschalten, die sonst im Falle eines Angriffes einen stetigen Polizeinachschub ordern würden.
Auch wenn weiterhin mit der Maus weiterhin nur indirekt Feuerbefehle erteilt werden, hat sich in den eigentlichen Kämpfen 22 Jahre nach dem Original trotzdem etwas getan. Einmal mehr muss ich an das neue XCOM denken, als der interaktive Cursor meine Einsatzkräfte in Wandnähe automatisch an dem schützenden Stahlbeton aufreiht, aus dessen Schutz sie dann feuern. Schnell ergeben sich so neue Taktiken. Während zwei meiner Agenten die Sicherheitstrupps beschäftigen, schafft es der Infiltrator, mit seinem Scharfschützengewehr entlang einer Wand in den Rücken der Feindstellung zu schleichen. So falle ich meinen Feinden in einem eigentlich festgefahrenen Stellungskampf tödlich in die Seite und entscheide das Gefecht für mich - auch hier kommt wieder Contes Gedanke ins Spiel, die Agenten gelegentlich zu trennen, um sich einen Vorteil zu verschaffen.
"Hinter jeder neuen Ecke spürt man einen anderen heimlichen, aber doch drückenden Blick durch eine Überwachungskamera im Nacken."
Schon jetzt sieht Satellite Reign in Sachen Technik - abgesehen von der Bildrate, die sich aktuell noch eher selten oberhalb von 30FPS bewegt - und vor allem Gestaltung einfach unglaublich gut aus. Fast meint man, die dreckige, regnerische Mega-City riechen zu können, einen kybernetischen Morast, in dem schwebende Autos ihre Bahnen ziehen und sich zerfallene Slums nahtlos an dekadente Fußgängerzonen schmiegen. Hinter jeder neuen Ecke spürt man einen anderen heimlichen, aber doch drückenden Blick durch eine Überwachungskamera im Nacken. Auch wenn sich Feinde und Verkehr noch häufig genug in der Wegfindung verhaspeln, dass die Illusion ins Stocken kommt: Man hat das Gefühl, großartig anders würde ein Bullfrog, so es denn noch existierte, ein neues Syndicate auch nicht ausstatten.
5 Lives wird das zweifelsohne als Kompliment hören, ist aber dennoch fest entschlossen, dem Erlebnis seinen eigenen Stempel aufzudrücken: "Wir sind alle riesige Fans von Syndicate, aber wir machen definitiv unser eigenes Spiel. Diese Spiele inspirieren uns, und wir nutzen das als Fundament für Satellite Reign", beschreibt Conte. "Es ist uns wichtig, dass die Spieler ein vertrautes Gefühl verspüren, eines, das dem gleicht, das ihnen Syndicate gab. Aber wir geben ihnen auch nicht exakt das gleiche Spiel noch einmal, denn Satellite Reign ist sein eigenes Biest."
Nach allem, was ich bisher sah und hörte, bin ich geneigt, das zu unterschreiben, und ich schäme mich auch nicht, ein drittes Mal den XCOM-Vergleich zu bemühen: Ein bekanntes Prinzip entschlacken und es in die Neuzeit holen - es ist der Ansatz, der schon Firaxis' UFO-Neuauflage zu einem jungen Klassiker machte. Ich wüsste nicht, warum so etwas nicht auch für Syndicate funktionieren sollte.