Das inoffizielle SNES Pixelbuch bringt euch ein Stück eurer Kindheit zurück
'Ein Stück Vergangenheit, das uns persönlich besonders wichtig ist.'
Jeder definiert seine Kindheit anders. Das liegt in diesen modernen Zeiten unter anderem daran, dass es so viel zu tun gibt. In meiner Jugend hatte ich mit Comics, Marvel und Konsolen noch wenig zu tun und langweilig war mir dabei nicht. Heute hole ich vieles davon nach. Ich spielte anfangs viel am PC, andere verbrachten im Gegenzug mehr Zeit mit der frühen Nintendo-Ära, die mir damals weitestgehend entging. Das Werk der Autoren des inoffiziellen SNES Pixelbuches, das im Juli erscheint, bildet ein Stück ihrer Vergangenheit ab, das ihnen am Herzen liegt.
Und nicht allein ihnen. Der beste Grund, das Buch näher unter die Lupe zu nehmen? "Wenn du dich in eine unvergessliche Spiele-Ära zurückversetzt fühlen möchtest - ganz gleich, ob du dir damit ein Stück Kindheit beziehungsweise Jugend zurückholst oder die SNES- und 16-Bit-Zeit damit nachholst", sagt Robert Bannert, neben Christine Bauer und Thomas Nickel einer der Autoren des Buches.
Die SNES-Zeit steht dabei nicht ohne Grund im Mittelpunkt: "Die Ära 16-Bit war die Games-Ära, die ich privat und beruflich am intensivsten erlebt habe: Atari ST, Amiga, später ein VGA-PC und dann Mega Drive beziehungsweise Super Nintendo", erzählt er. Ihm gefällt das einfache Spielen auf den Konsolen, vor allem im Vergleich zum PC.
"Den sperrigen DOS-PCs konnte ich persönlich nicht viel abgewinnen, weil mich das dauernde Rumgewurschtel in autoexec.bat und config.sys tödlich genervt hat", erinnert er sich. "Die Nächte, die ich mit zum Teil mehreren Freunden gleichzeitig über dem Rechner brütete, um zum Beispiel ein Indiana Jones oder Might & Magic 3 zum Laufen zu bringen, die haben bei mir ein bis heute ungelöstes Technik-Trauma hervorgerufen. Tatsache ist: Ich war nie ein ausgesprochener Techie - mir ging es nicht darum, mit dem Kopf in einem PC-Tower zu verschwinden (obwohl ich das notgedrungen immer wieder getan habe), sondern darum, die Software zu nutzen ... deshalb war der frühe Fast-Total-Schwenk in Richtung Konsole für mich ein logischer Schritt, von dem ich bis heute nicht zurückgetreten bin."
1994 begann er seine Arbeit als Redakteur bei der MAN!AC (heute M!Games) und hatte somit beruflich mit den Konsolen zu tun. "Damals lebte ich regelrecht in der Redaktion, um riesige Level-Maps zu Rollenspielen und Jump 'n' Runs zu erstellen", führt er aus." Eine Leidenschaft, die früh dazu führte, dass der Redakteur Robert Bannert ebenso zum Grafiker wurde. Mein Händchen für Gestaltung habe ich damals entdeckt - und seitdem habe ich mich zweigleisig weiter entwickelt."
"Das versetzt mich in die luxuriöse Position, Projekte wie das Pixelbuch stemmen zu können", ergänzt Bannert. "Die vielen wunderschönen Maps und großformatigen Pixel-Artworks im Buch stammen aber nicht von mir, sondern meiner wunderbaren Freundin und Co-Autorin Christine Bauer. Sie hat dafür im Grunde das gemacht, was ich 1994 bei der MAN!AC getan habe: Sie hat unzählige Screenshots angefertigt und dann zu riesigen Abbildungen zusammengeklebt. Das geht heute natürlich viel präziser als damals: Früher haben wir das Bildsignal der Konsolen über das RGB-Kabel abgegriffen, heute dagegen bekommst du eins zu eins das Bild aufs Papier, das im Videospeicher der Konsole liegt. Das gibt einem natürlich ganz andere gestalterische Möglichkeiten."
Ursprünglich dachte das Trio darüber nach, ein Buch über die 16-Bit-Ära zu veröffentlichen, das sich mit SNES und Mega Drive zugleich befasst. "Das wäre zu umfangreich gewesen, darum mussten wir uns für ein System entscheiden - und da fiel die Wahl auf das SNES, weil seine 256-Farben-Grafik einfach die schönere ist", erklärt Bannert. "Vor allem für den Druck. Dass die Nintendo-Konsole stärker verbreitet war und unsere Zielgruppe daher größer ist als bei einem Mega-Drive-Buch, ist natürlich ein angenehmer Nebeneffekt."
Gleichzeitig betont er, dass es nicht die Absicht gewesen sei, damit neue Spieler für das SNES und die 16-Bit-Ära zu begeistern. Was nicht heißt, dass man sich nicht darüber freuen würde, wenn das der Fall wäre. Vielmehr verfolgten sie egoistischere Ziele und hatten vor, die 16-Bit-Grafik für sich auf Papier zu bannen. Und das in der Hoffnung auf genügend andere Enthusiasten, die diese Leidenschaft teilen und Interesse am Buch haben.
Das Buch solle jeden ansprechen, der sich für diese Ära interessiert, egal aus welchem Grund. Zielgruppen spielten dabei keine Rolle. "Es ging darum, ein wunderschönes 16-Bit-Pixelbuch zu erstellen - nicht mehr und nicht weniger", sagt er. "Es gibt immer noch junge Spieler, die Pixelgrafik lieben, andernfalls wären moderne Indie-Titel mit Retro-Ästhetik nicht so erfolgreich. Ich sehe das regelmäßig an meinen Studenten von der Münchener SAE: Die scharren seit längerer Zeit mit den Hufen, weil sie ein Pixelbuch haben wollen. Außerdem schleppe ich regelmäßig mein Super Nintendo Mini mit in meine Kurse - und die Begeisterung für diese Spiele ist auch bei jüngeren Generationen ungebrochen."
Was vor allem die SNES- beziehungsweise 16-Bit-Ära auszeichnet? "Wir haben hier die erste Epoche, in der eine darstellerische und technische Strömung - das 2D-Game - perfektioniert wurde", erzählt Bannert. "Die besten Vertreter dieser Epoche sind nahezu zeitlos und sind aller Voraussicht nach auch in 30 Jahren noch ebenso toll spielbar und ästhetisch wie jetzt oder vor 25 Jahren. Hier sind spielerische Meilensteine entstanden und Regelwerke geschrieben worden, von denen das Medium Spiel noch heute zehrt. Ich liebe zwar auch moderne 3D-Games, aber ich bezweifle, dass einer der aktuellen 3D-Hits in 30 Jahren noch so ansehnlich ist wie es heute ein alter Super-Nintendo- oder Mega-Drive-Hit ist. Vermutlich kommen wir erst dann wieder an einen solchen Punkt, wenn Spiele nahezu fotorealistisch und lebensecht sind. Und ja, das ist vielleicht in 20 oder 30 Jahren der Fall. Dann könnten auch moderne 3D-Spiele wahrhaft zeitlos sein. Vorher eher nicht."
Sorgen über Retro-Gaming macht er sich im Angesicht der digitalen Distribution und Cloud-Gaming nicht. Mit einem Aussterben sei nicht zu rechnen, vielmehr erreiche es die Konsumenten über diese neuen Wege. "Das Monetarisierungs-Modell dieser Plattformen beeinflusst (oder beeinträchtigt) vielleicht die Art und Weise, wie bald neue Spiele entstehen - aber diese Spiele sind ja seit Jahrzehnten fertig ... und sie werden auch weiterhin verfügbar sein", ist er überzeugt. Daher setze das Trio dieser Ära nicht aus diesem Grund ein Denkmal, sondern weil sie es einfach verdiene. "Und weil wir in der Laune waren, eins zu bauen."
Drei Jahre lang arbeiteten sie an dem Buch - immer dann, wenn sie Zeit dafür hatten. Zum Beispiel in Phasen, in denen keine Artikel- und Design-Aufträge anstanden. Oder nach Abschluss des Game-Design-Studiums von Bauer. "Natürlich hast du immer mal Durchhänger, in denen du nichts Ordentliches aufs Papier bringt oder vom normalen Tagesgeschäft so hirntot bist, dass nichts mehr geht", erzählt Bannert. "Die ersten Entwürfe und Screenshots liegen noch weiter zurück als drei Jahre - aber der Zeitraum von drei Jahren war der, in dem wir regelmäßig produziert haben. Unser Freund und Kollege Thomas Nickel stieß später hinzu, denn durch seine Arbeit als Games-History-Dozent ist diese Spiele-Ära bei ihm immer äußerst lebendig und er ruft mit einem Fingerschnipp enzyklopädisches Wissen ab, das wir nahezu vergessen haben."
Hinter dem Projekt steckt vor allem in technischer Hinsicht viel Aufwand. Über 100.000 Bildschirmfotos entstanden und dann stand das Team vor der Herausforderung, diese zu prüfen und im Anschluss daran zu verwenden. "Du brütest Bild für Bild über Photoshop beziehungsweise der Abbildung im Mac-Finder und überlegst, ob du was damit anfangen kannst", erklärt er. "Dann markierst du interessante Bilder, während du andere vielleicht öffnest, bearbeitest und in einem von sinnlos vielen Vorauswahl-Ordnern speicherst. Dann spielst du mit den Bildern herum und fängst an, erste Maps oder Zusammenschnitte von Figuren und Artworks zu konstruieren, die du dann in Deinem Layout-Rahmen platzierst - und dabei entstehen dann die ersten brauchbaren Seiten."
Daraus resultierten weitere inhaltliche und gestalterische Ideen, auf denen sich aufbauen ließ. Insgesamt sei es ein enorm zeitaufwendiger Vorgang gewesen. Und trotz schnellerer und effizienterer Methoden, die möglich gewesen wären, entschied sich das Trio für diese Option. "Das Endprodukt wäre dann weniger schön, kreativ und leidenschaftlich", führt er an. "Wir wollten, dass unser Werk - obwohl es sich um bekannte Spiele handelt - so individuell wie möglich ist. Die Games sollten so zu sehen sein wie nie zuvor."
Die Auswahl der Spiele, die im Buch landeten, beschreibt er als fließenden Prozess. Eine erste Liste mit Spielen - "unverzichtbare Klassiker, besonders schöne Titel oder auch Lieblinge aus meiner persönlichen Modul-Sammlung" - stand schnell fest. Hinzu kamen andere Perlen, auf die die Autoren bei ihren Recherchen stießen und die sich einen Platz im Buch verdienten.
"Eine echte Herausforderung war der Sportspiel-Teil, da keiner von uns ein ausgesprochener Sportspieler ist", erwähnt er. "Aber unser Verleger für den englischsprachigen Markt - Bitmap Books - hat darauf viel Wert gelegt, darum mussten wir hierfür eine ganze Reihe neuer Titel aufnehmen ... und das war zum großen Teil gute altmodische, harte Recherche. Die meisten Spiele im Buch stehen bei mir im Archiv, die Screenshots haben wir dann mit einer Retron-5-Konsole aufgenommen. Manche Games wurden mithilfe von Emulatoren am PC oder auf einer Ouya (wir spielen einfach lieber am Fernseher) aufgenommen - aber das waren eher wenige."
Zu den Lieblingsspielen des Trios zählen - in Bezug auf das Buch - vor allem die Titel, mit denen sie visuell am meisten anfangen konnten. Wie die einzelnen Spiele dabei auf die Leser wirken, unterscheidet sich von Spiel zu Spiel. "Zum Beispiel Chrono Trigger, das einige der schönsten Pixel-Kunstwerke aller Zeiten birgt und einer meiner persönlichen All-time-Favoriten ist", erwähnt er. "Wohingegen sich ein Final Fantasy 6 in gedruckter Form eher mittelprächtig macht, obwohl es auf dem Bildschirm damals bombastisch wirkte. Besonders dankbar war dahingehend das Ballerspiel-Kapitel: Das SNES stand zwar in dem Ruf, wenige großartige Shooter hervorgebracht zu haben - aber Spiele wie Parodius oder Pop'n'Twinbee mit ihren riesigen Bossen sind echte Schönheiten. Und dazu gibt es noch Action-Adventure-ähnlich inszeniertes Charakter-Gewusel wie in Zombies ate my Neighbors oder Pocky & Rocky - neben Star Fox meine beiden absoluten Lieblings-Ballereien für das SNES."
Nach dem inoffiziellen SNES-Pixelbuch möchte das Trio mehr Bücher produzieren. Im Fokus steht dabei weiterhin der 16-Bit-Kosmos. "Natürlich hat 8-Bit-Grafik ebenso ihren Reiz und es gab für NES, Master System, C64 oder zum Beispiel EGA-PCs unglaublich schöne Spiele" sagt Bannert. "Aber zur 16-Bit-Zeit hatte die Pixelkunst eine so hohe Reife erreicht, dass viele Werke dieser Epoche unvergänglich sind. Das ist natürlich gerade aus grafischer Perspektive dankbar. Je weiter du in der Zeit zurückgehst, desto mehr siehst du dich dazu gezwungen, von der eigentlichen Pixel- auf die Verpackungskunst umzuschwenken, um ein schönes Buch produzieren zu können. Und damit wirst du den Spielen nur eingeschränkt gerecht."
Stolz sind sie - "aller Selbstkritik zum Trotz" - auf nahezu alles, von der Präsentation der Pixel-Grafik bis hin zu den Genre-Artikeln. Ohne die passende Schilderung sei ein schönes Bild nur halb so viel wert. "In der richtigen Kombination erzählen Text und Bild eine spannende Geschichte oder bilden eine ganze Games-Ära reflektiert und detailliert ab" sagt er. "Darum ist unser Buch mehr als eine schöne Sammlung aus Pixel-Kunstwerken und ein Sammlerwerk - es ist vor allem ein journalistisches Werk, das den Leser und Betrachter in die damalige Zeit entführt. Ich glaube, darauf sind wir besonders stolz. Darauf, dass du nur die Seiten aufzuschlagen brauchst und dich in eine andere Zeit zurückversetzt fühlst."
Nicht weniger stolz seien sie ebenso auf die Abwicklung der organisatorischen und bürokratischen Prozesse hinter dem Buch, die eine Menge Zeit fraßen und fressen - vom Strukturplan über die Einrichtung eines Web-Shops bis hin zur Organisation der Promotion. Auf dem englischen Markt erscheint eine Übersetzung von Bitmap Books, während sie hierzulande auf eigene Faust die Vermarktung übernehmen.
"Auf diese Weise möchten wir peu á peu eine Plattform und Anlaufstelle aufbauen, die noch mehr gedruckte Sammlerstücke rund ums Spiel hervorbringt", betont Bannert. "Das ist ein enorm engagiertes Vorhaben und natürlich unfassbar viel Arbeit. Darum sind wir am Ende vermutlich besonders auf unser Durchhaltevermögen stolz. Mehr als einmal waren wir an einem Punkt, an dem wir uns frustriert dachten: Wir werden niemals fertig - wir haben uns einfach zu viel vorgenommen!"
Ob das Vorhaben gelingt und weitere Werke entstehen, hängt unter anderem vom Erfolg des SNEX-Pixelbuches ab. Wer jetzt neugierig ist: Das Hardcover-Buch umfasst 268 Seiten, wird auf 135-Gramm-Papier gedruckt und erscheint voraussichtlich am 12. Juli. Vorbestellungen sind - inklusive Boni für Vorbesteller - zum Preis von 39,95 Euro auf dieser Seite möglich.