"Früher war alles besser" und das LucasArts-Dilemma - Nutze X mit Y
Was kann eigentlich aus dem Thimbleweed Park raus?
Vor zwei Wochen durfte ich in den Kommentaren zu Nutze X mit Y schon euphorisch beobachten, wie zahlreiche Adventure-Fans unter euch aus den Wanduhren gestiegen oder dem Voodoo-Sumpf gekrochen sind und ich freue mich, über die positive Resonanz auf meine kleine Nerd-Nische, die ihr offenbar zu schätzen wisst.
Ihr wart es auch, die mich auf das Thema dieser Woche gebracht habt. Ich habe mich sehr über eure Point-and-Click-Begeisterung gefreut und mein verpixeltes Herz ging mir auf, aber ich wurde auch nachdenklich, denn viele Reaktionen hatten mit dieser wohligen Adventure-Nostalgie zutun, die oft im Raum steht, wenn es um Point and Click geht. Eigentlich doch etwas Schönes, oder? Ja, aber von "die guten alten Spiele von früher" ist der Weg gar nicht mehr so weit bis zu Aussagen wie "so gute Adventures werden gar nicht mehr gemacht", die den Adventure-Veteranen dann doch hin und wieder herausrutschen. Und das finde ich ein bisschen... problematisch.
Es gibt auch heute noch jede Menge Videospiel-Abenteuer zu erleben und dazu muss man nicht immer auf neue Ron-Gilbert-Titel warten oder sich das Remaster vom Remaster eines Oldschool-Adventures holen. Ja, das Point-and-Click-Genre ist zwar vielleicht schon alteingesessen, aber auch genauso zeitlos. Ich selbst schwelge oft genug in Erinnerungen an den Lucasarts-Kult und hänge diesen zu Recht als Klassiker verehrten Spielen nach, aber es ist trotzdem wichtig, auf dem Teppich zu bleiben, zumindest wenn man vorwärts kommen will. Und darum geht's im Folgenden - sorry, Kinder der 80er und 90er, da müsst ihr jetzt leider durch.
Vorsicht vor dem Nostalgie-Monster!
Klar, es hat etwas unendlich Angenehmes, sich zurück in die wohlige Sicherheit der Kindheit zu flüchten und daran ist gar nichts falsch. Von einer anstrengend lauten Gegenwart voller Neuerungen begeben wir uns in die zärtlichen Arme einer guten alten Welt, in der Spiele nur zwei Dimensionen brauchten und drölf Klicke für nur eine Spielhandlung völlig normal waren. Schwierig wird es nur dann, wenn man auf einmal gar nichts Neues mehr gut findet, denn das kann einem ganz schön den Spaß verderben.
Da verwandelt sich sentimentale Schwärmerei nämlich schnell in einen Dauer-Nörgel-Modus und dafür sind wir doch noch viel zu jung im Herzen, oder? Wie war das noch... man ist nur so alt, wie man sich fühlt? Und mit der altmodischen Nörgel-Schiene fühlt man sich leider schnell so richtig schön alt und benimmt sich auch so.
Na gut, nur die Point-and-Clicks von damals zu feiern ist auf Dauer etwas begrenzt, aber man kann doch einfach auf Nummer sichergehen. Man vertraut einfach immer fest darauf, dass die Spieleentwickler-Helden von damals wieder neue Adventures entwerfen, die genau wie aus unserer Kindheit sind, oder? Auftritt: Ron Gilbert.
Unter der letzten Folge der Kolumne wurde leidenschaftlich kommentiert und der Name Thimbleweed Park in den Raum geworfen. Bei diesem schicken Pixelart-Point-And-Click handelt es sich um den aktuellsten Streich der berühmten Adventure-Veteranen Ron Gilbert und Gary Winnick, den ich kürzlich live im Stream genießen durfte. Ja, es war ein Adventure, das mir durchaus Spaß gemacht hat, aber kennt ihr das, wenn so richtig über den grünen Klee gelobt und gefeiert wird, dass man dann doch wieder ein wenig trotzig wird und sich denkt: ja, aber! Man fängt plötzlich an, etwas zu kritisieren, nur weil viele es so extrem feiern und genau so ist es gerade bei mir mit Gilberts und Winnicks neustem Werk.
Auch in meinem Stream gab es in den Kommentaren Lob für Thimbleeweed Park - so weit, so gut. Es ist ja auch ein nettes Spiel. Die Begeisterung für das Mystery-Pixelart-Abenteuer ging allerdings auch einher mit Seitenhieben a la "Adventures nach 1999 taugen sonst nichts" oder "drei Dimensionen sind eine zu viel". Und da kommt die kleine, progressive Rebellin in mir raus und denkt sich: Nein, das stimmt einfach nicht!
Der Fluch von Thimbleweed Mansion
Aber schauen wir uns zur Erklärung doch mal Thimbleweed Park mal ganz genau an. Awww, so viele Anspielungen und so viele Pixel, so viel schräges Zeug wie früher und so viel Kindheitsgefühl! Und jetzt versuchen wir mal mit dem Spachtel drei Schichten Nostalgie abzutragen und was sehen wir dann? Dann haben wir ein recht witziges, solides, nett gestaltetes Adventure, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Wir müssen nicht so tun, als wäre es der Heilige Gral, von Ron Gilbert persönlich auf einem vergoldeten Atari in seinem Bernsteinzimmer erschaffen.
Ja, wir haben schräge Figuren, absurde Rätselketten, jede Menge Popkultur-Anspielungen, die ja immer dazu gehören und unterhaltsame kleine Meta-Momente, die immer wieder die vierte Wand durchbrechen. Aber wir haben auch wenig Backstory, Plotlücken und einen ganzen Haufen an Hauptfiguren, über die man so gut wie nichts weiß und die mir eher wenig ans Herz gehen. Unsere beiden Startprotagonisten, Agent Ray und Agent Reyes sind, wie auch ihre Namen fast völlig austauschbar und das Spiel hätte wunderbar mit nur einem der beiden funktioniert. Ganz zu schweigen davon, was der gottver*biepte* Clown in der ganzen Chose soll, außer schräg und lustig zu sein. Warum ist der überhaupt dabei? Das erklärt uns bis zum Schluss niemand. Egaaal, der kommt gut (tut er wirklich), aber er offenbart auch eine leichte Oberflächlichkeit.
Klar, jetzt werdet ihr vielleicht sagen: Lucasarts Spiele brauchen doch auch nicht viel Tiefgang oder Erklärung, um witzig zu sein und Logiklücken gehören dazu. Aber dann denkt doch mal zurück an Monkey Island, wie charmant wir damals den guten Guybrush und seine Weggefährten fanden. Das kommt bei mir in Thimbleweed nicht mehr in dieser Form auf. Vielleicht fehlte mir auch einfach ein wenig die Liebe unter der ganzen Nostalgie-Keule, der zärtliche Blick auf die vielen Charaktere oder der Tiefgang vieler moderner Adventures, ich weiß es nicht. Ich meine, das Spiel ist cool und macht richtig Spaß, keine Frage, aber die Erleuchtung... ich weiß nicht.
Nichts gegen den allmächtigen Gilbert, aber...
Bevor ihr mich jetzt als Miesmacherin deklariert, keine Sorge: Ich will euch nicht eure wohlverdiente Nostalgie abspenstig machen, euer Schwelgen, euer Mit-Cola-vor-dem-Commodore-Gefühl. Das hier ist eigentlich eher ein Appell für den Fortschritt, denn Lucasarts war toll und das Herz der Point-and-Click-Adventures, aber es ist nicht Alpha und Omega der Spielentwicklung. Es existieren auch neben Monkey Island, Day of the Tentacle und co. zwei, drei, vier andere gute Spiele. Das Adventure-Zeitalter endete eben nicht mit der dritten Dimension und früher war eben auch nicht immer alles besser - nur anders.
"Es gibt nicht nur einen Adventure-Gott, es ist ein Pantheon!"
Und ja, Nostalgie ist wichtig, ich ziehe nur gerne die Grenze, wenn es in ein "früher war alles besser" und "heute gibt es keine guten Adventures mehr" oder sogar in ein beinahe wahnhaftes "was tut Ron Gilbert denn gerade?" mündet. Es gibt so tolle neue Adventure-Studios und ihre Spiele lassen sich oft auch noch einfacher steuern als die guten alten Klassiker von damals. Danke, Lucasarts, ihr wart mega, aber es gibt auch andere Spiele.
Um es zusammenfassen: Na klar werde ich mich in ein neues Retro-Abenteuer stürzen, wenn Ronny in der nächsten Zeit mal wieder einen neuen Streich auf den Markt bringt, das wird sicher klasse, aber ich zähle nicht die Stunden, bis es so weit ist - es gibt derweil genug andere tolle Abenteuer, die auf mich warten.
Andere Studios haben auch schöne Söhne ähhh Spiele
Und damit ein kleiner Blick auf diese 'anderen Abenteuer". Auch dieses Jahr gönnt uns ein paar Point and Clicks, die spannende Retro-Game-Unterhaltung versprechen. Adventureheads können dieses Jahr also auch ohne Ron Gilbert mit Pixelart und Retro-Stimmung glücklich werden. Meine persönlichen Highlights für 2021 wäre auf dem Gebiet zum Beispiel Rosewater. Das Adventure von Grundislav Games, dem Studio von Lamplight City (ein ultra-atmosphärisches Detektivabenteuer!), scheint einem mit einer Kombination aus Pixelkunst und Wildem Westen zwar die Nostalgie ins Gesicht zu schlagen. Mit Steampunk-Elementen, Minispielen, tollem Voiceacting und einer zeitgemäßen Steuerung könnte es aber auch modernere Wege gehen, als wir das vor 25 Jahren schon gesehen haben.
Oh und wenn ihr den pixeligen Psychothriller Kathy Rain von 2019 noch nicht gespielt habt - tut euch einen großen gefallen und holt euch das Spiel pünktlich zum Release des neuen Director's Cut, der dieses Jahr auf Steam erscheinen soll. Neben einer liebevoll-detaillierten Pixelgrafik und einer extrem stimmungsvollen Synchronisation erwartet euch ein intensiver, spannender und gruseliger Psycho-Thriller. Nichts für komplette Horror-Hasser, aber ein absoluter Leckerbissen für Mystery-Fans. Ich reise pünktlich zur neuen Version mit Sicherheit auch noch einmal zusammen mit Hauptfigur Kathy in ihre geheimnisvolle Heimatstadt.
Das wären zumindest zwei meiner Pixel-Highlights für dieses Jahr und das war es auch schon wieder mit der Adventure-Kolumne. Wir sehen uns in zwei Wochen und bleibt abenteuerlich!