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Das Mysterium des Concrete Genie: Warum wird 2019 noch gekippelt?

Durch den Immersionsbruch zur Magie an der Wand.

Concrete Genie fühlt sich nicht nach einem PS4-Spiel an. Es sieht teilweise aus wie eines, bietet ein paar atemberaubend animierte Sequenzen und Eigenheiten, aber die relativ kleinen Spielbereiche und übersichtlichen Mechaniken in einer eher simpel gestrickt wirkenden Welt erinnern an PS2- und PS3-Zeiten. Vor allem Letztere, denn so sehr wie Concrete Genie auf die Bewegungskontrollen des DualShock setzt, meint man glatt, dass es 2006 ist und Lair müsste erst noch scheitern.

Dabei verzaubert die Geschichte mit einfachen Tricks. Ihr habt eine verlassene Fischer-Stadt, die von einer ominösen Schwärze gefressen wird. Die letzten "Überlebenden" scheinen ein paar, nun, nennen wir es mal vom Weg abgekommene Kids zu sein, die sich über einen Ort ohne Regeln freuen, den man nach Gutdünken zerstören kann. Ash, der Held der Geschichte, weicht ein wenig ab. Kreativ veranlagt, malt er lieber in seinem Notizbuch, dessen Bilder auch an bessere Tage an diesem trostlosen Ort erinnern. Die bösen Kids jedoch greifen das Buch, zerfetzen es und seine Einzelteile verteilen sich über die Stadt, die ihr euch nach und nach erschließen sollt.

Natürlich fängt es an einem so gar nicht symbolischen Ort an.

Die Beweglichkeit von Ash ist dabei nicht die eines Assassinen, auch wenn ihr ein wenig Hüpfen könnt und es euch rudimentäre Stealth-Fertigkeiten erlauben, den bösen Kindern auszuweichen. Ein eigenwilliges Erweckungserlebnis zu Beginn des ersten Kapitels macht dieses magere Maß an Hüpf-Eigenschaften jedoch wieder wett: Ihr könnt an Wände malen. Das allein ist jetzt nicht so spannend, dass an den richtigen Stellen gemalte Monster zum Leben erwachen und wie Freunde direkt aus dem Land, wo die wilden Kerle wohnen, euch zur Seite stehen, aber umso mehr. Nun, indirekt zumindest, denn gegen die anderen Kinder greift das Graffiti jetzt selten ein.

Diese sind aber eh nur ein Stolperstein, um euch das eigentliche Ziel etwas zu erschweren. In der dunklen Stadt sollen die Lichter wieder angehen. Überall an den Wänden hängen Lichterketten, die leuchten sollen. Das tun sie, wenn ihr die Wand in fröhlichen Farben anmalt, was sie gleichzeitig in eine Spielwiese für die Monster verwandelt. Also: Auf die Karte gucken, wo noch dunkle Lichter sind, diese in Gang bekommen und weiterziehen. Zumindest in den ersten angespielten Stunden ist das nicht die so oft als Metapher hergenommene Raketenwissenschaft.

Das Design der bunten Freunde ist legendär und phänomenal. Und in Bewegung ist es noch besser.

Der Haken an der Sache ist das Malen selbst. Ich bin sicher auch nicht ganz der Richtige dafür, denn die allermeisten Arten der Bewegungskontrollen, die nicht durch eine Wii Mote Plus ausgeführt werden, sind mir zuwider, vor allem, wenn sie wie ein optionales Gimmick angetackert wirken. Das ist hier immerhin nur teilweise der Fall. Natürlich scheint so eine Steuerung intuitiver als ein Stick-Cursor und zum Glück ist keine Präzision gefragt. Hauptsache, ihr bekommt etwas an die Wand, das Spiel ist sehr gut darin, dann etwas Schönes draus zu machen. Was auch der Grund ist, dass eine optionale Stick-Steuerung kein Problem sein sollte, wenn Präzision eh optional ist. Vielleicht wäre ich weniger kritisch, wenn man es natürlicher implementiert hätte. Hier wechselt ihr aktiv in den Mal-Modus, die Figur kann sich zwar noch bewegen und vor allem seitwärts entlang der Wand, aber zusammen mit der Ansicht von zig Mustern, die ihr fertig an die Wand werfen dürft, wirkt es wie ein Bruch aus dem Spiel heraus in einen fremd wirkenden Editor.

Was ihr dann jedoch malt, ist hinreißend schön. Ganze Landschaften entstehen aus einfachen Farben und zusammen mit dem Licht ist es eine echte Studie, wie diese beiden Faktoren auf Umgebungen wirken können. Nehmt dann noch die kreativen und verspielten Formen der Monster dazu, die ihr mit zig Hörnern, Ohren und wilden Entwürfen durch diese Welten toben lasst und diese Dinge allein rechtfertigen in manchen Momenten die Reise. Wenn ihr in Division 2 mit dem Aufräumen in in einem Bezirk fertig seid, fühlt man sich etwas besser, dass nicht mehr alles so furchtbar wirkt. Seid ihr in Concrete Genie mit einer Ecke der Welt fertig, dann habt ihr ein kleines, persönliches Museum geschaffen, in dem seine wilden Bewohner überglücklich umhertollen.

Die Gang, vor der ihr anfangs flüchten müsst ...

Diese Wesen sind nicht nur reine Zierde. Zum einen stellen sie Forderungen, die ihr in Form bestimmter Muster an der Wand umsetzen müsst, damit sie euch neue Seiten aus dem Buch geben - und so neue Muster freischalten -, aber auch mal neue Wege öffnen, indem sie ein Hindernis wegbrennen. Die meiste Zeit sagen sie euch sehr simpel, was sie wollen, man kann nur hoffen, dass das später etwas komplizierter wird. Ein vielversprechender Hinweis, dass die Puzzles anziehen könnten, sind Aufgeben wie zum Beispiel die, bei der man zwei Monster zusammenzubringen muss, auch wenn es in einem Bereich scheinbar nur eines gibt.

Dann geben euch die Monster Super-Farbe, mit denen ihr von besonderer Dunkelheit befallene Bereiche säubern könnt, was der Schlüssel ist, alle Lichter in Gang zu bringen. Und schließlich manifestiert sich diese Dunkelheit noch in Form echter Monster, die euch ans Leder wollen und für die ihr natürlich auch eure bunten Freunde an den Wänden braucht. All das, zusammen mit einer zumindest am Anfang relativ dichten Atmosphäre, was das Schicksal dieses Ortes angeht, ergibt einen stimmigen Ausflug in eine seltsame Art von Pseudo-Kreativität, die ihr in den Wandgemälden auf die schönste Art auslebt.

... geht mitunter in simple Puzzles über ...

Das ist dann auch der eigentliche Raison d'être des VR-Modus, der für die angepeilten 30 Euro gleich mitgeliefert wird: Schönheit, befreit von der Bürde der Substanz. Und gute Güte, war es schön. Und substanzlos. Nach einem kurzen Tutorial kommt ihr in einer 3D-Welt, die irgendwo zwischen Früh-80er-Render-Universum und Yellow Submarine aus einer Unwahrscheinlichkeitsschleife gefallen sein muss. In diese setzt ihr 3D-Muster, die ihr vorher nur in schnöder Plattheit an der Wand hattet und manipuliert diese selbst geschaffenen Szenerie als namenlose Gottheit, die über ein Heer von genau Eins herrscht. An diesem Punkt ergibt man sich all dem und geht auf in der virtuellen Realität auf die Suche nach existenzieller Wahrheit. Oder man sagt einfach "ist ganz nett" und klappt das Malbuch zu.

... um in Kämpfen gegen echte Monster zu enden.

Concrete Genies Welt will ein Mysterium sein, das euer Held durch die Macht der Kreativität ergründet und auflöst. Für mich selbst ist das Spiel ein Mysterium, wieso man eine Bewegungssteuerung als eigentlich praktisch optional umsetzt, mit ihr einen Bruch in der Immersion erzeugt und am Ende nur wenig Gewinn aus der Bewegung selbst zieht. Dabei hat das simple Grundprinzip einer kleinen Action-Adventure-Welt mit Puzzles und Hüpfeinlagen solche Gimmicks nicht nötig. Nicht, wenn es seinen kreativen Drive viel mehr aus dem befeuert, "was" ihr an die Wände werft und nicht "wie". Die Wesen und Welten, die ihr schafft und die euch durch die Level hindurch zur Seite stehen, verzaubern immer wieder aufs Neue und einfach stehenzubleiben und sein Werk noch einmal zu begutachten, bevor man weiterzieht, passierte weit häufiger als ich gedacht hätte. Es steckt Magie in diesen Wänden, das gebe ich gern zu. Es könnte sogar genug sein, um mich bis ans Ende des Mysteriums zu bringen.


Entwickler/Publisher: PixelOpus / Sony - Erscheint für: PS4 - Erscheint am: 2019


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