Das Problem von Shenmue 3 ist nicht, dass es wie ein 15 Jahre altes Spiel aussieht …
… das Problem ist, dass es Shenmue ist.
Disclaimer: Ich weiß, es ist gerade hip, auf Shenmue einzuprügeln, aber ich verbinde damit einige der intensivsten Erinnerungen meines Spielelebens. Soviel nur, damit das hier nicht als bloßer Diss rüberkommt und damit ihr wisst, dass diese Zeilen für mich nicht einfach sind.
Ich habe ja schon vor vier Jahren, mitten im Kickstarter von Shenmue 3, gefrevelt, dass ich nicht sicher war, ob es nicht besser wäre, wenn Shenmue 3 als nie erfüllter Traum in die Spielegeschichte einginge. Vier Jahre, eine Handvoll Trailer zu Teil drei und zweieinhalb versuchte, aber gescheiterte Anläufe, die alten Teile noch einmal zu spielen später schaudert's mir wirklich bei dem Gedanken, in zwei Monaten den "Have you seen a black car"-Roboter Ryo durch China zu steuern. Es tut mir leid. Aber es ist so.
1999 verschleierte der erste Teil gut, dass hier im Grunde wenig dahintersteckte, lebte von einer dramaturgisch exzellent gemachten, erwachsenen Eröffnung, die beste Motivation für das lieferte, was folgen sollte und verblüffte mit seiner Dichte an Interaktionen. Yu Suzukis wichtigstes, aber sicher nicht bestes Spiel war ein entschiedener Vorreiter des Trends, den Spieler mit Betätigungsmöglichkeiten abseits der Geschichte geradezu zuzuschütten. Der Möglichkeitsraum dieser überschaubaren, aber in ihrer Dichte damals konkurrenzlosen Spielwiese sprengte unsere Vorstellungskraft mit derselben Leichtigkeit, mit der Bösewicht Lan-Di unseren Spielvater Iwao aus dem Intro und damit aus dem Spiel prügelte.
Man kann wirklich nicht oft genug sagen, wie beeindruckend das hier damals war. Nicht nur, weil das Spiel es verdient hat, sondern weil es für diejenigen, die damals noch nicht dabei waren, nur schwer nachzuvollziehen ist, wie die Bewegtbilder von Teil drei auf jemanden wirken, der es war.
Aber vielleicht zunächst der Blick zurück: Schaut man sich Teil eins und zwei heute an, ist viel von der Illusion einer lebendigen, uhrwerkmäßig auch ohne euer Zutun vor sich hin werkelnden Welt fast restlos verflogen. Was mir bleibt - und als Eindruck noch immer vorherrscht, ist die Erinnerung daran, wie ich mich damals fühlte, als ich es erstmals in Aktion sah (wo genau das war, lest ihr im oben verlinkten Artikel. Allein die Umstände unseres ersten Zusammentreffens machten das Spiel für mich endlos intensiver). Heute komme ich kaum darüber hinweg, wie schlecht diese Spiele gealtert sind. Selbst wenn man die schlimme Steuerung außen vor lässt, die jeden Schritt zur Qual macht, funktioniert Shenmue nicht mal als Geschichte wirklich.
Dass das stimmt, muss man gestehen, wenn man versucht, sich zu erinnern, worum es in Shenmue eigentlich geht. Eine Rachegeschichte, klar. Das bekommt jeder noch zusammen. Lan-Di als Bösewicht und irgendwas von einem so genannten "Spiegel". Und dann (im Grunde direkt nach dem Intro) beginnt das Bild von der Handlung ... nun, nicht einmal zu verschwimmen, es ist nur so, dass Dinge an die Stelle der Handlung rücken, die nichts damit zu tun haben.
Prügeleien gegen Segler. Ein QTE, in dem man einem Idioten einen Fußball an den Kopf schießt. Staplerfahren. Hang-on in der Arcade spielen. Sammelfiguren aus dem Automaten ziehen. Eine Katze füttern. Gabelstaplerfahren. Fünf Minuten nach Schließzeit vor dem Teeladen stehen und es am nächsten Tag nochmal versuchen müssen. All dieser alltägliche Kram, der einst so viel des Reizes ausmachte, verdrängt die wesentlichen Dinge, um die es eigentlich ging. Das geht so weit, dass sich die Wenigsten noch an die zentrale Prophezeiung erinnern, dass das Zusammenführen von Phönix- und Drachenspiegel ein weltenverschlingendes Monster auf die Erde beschwört. Woher ich weiß, dass ihr das vergessen hattet? Weil ich das ebenso nachlesen musste.
Eine langatmige Schnitzeljagd nach der anderen, Questabschnitte, die aus Esprit-befreit geschriebenen und gelangweilt abgelesenen Frage-und-Antwort-Spielchen bestehen. Es passiert fast nichts von Bedeutung in Yokosuka - und später in Hongkong. Beziehungsweise nichts, was abseits blendender visueller Eindrücke wirklich hängenbliebe. Alles Wesentliche, begraben unter Bergen von Dingen, die heute jedes zweite Open-World-Spiel zuhauf bietet und besser in das Gameplay einbindet. Als Rachegeschichte, als Krimi ging Shenmue nie auf, weil seine Animal-Crossing-artigen Abläufe und überbordenden Nebenbeschäftigungen alle Spannung verschütteten. Und wenn ich sehe, dass der E3-Trailer in einer "Verfolgungsjagd" durch menschenleere Gassen und Marktplätze gipfelt, habe ich ein Déjà-vu von der schlechtesten Sorte: Dieses Spiel weiß offenbar immer noch nicht, wie man dramaturgische Höhepunkte setzt.
Allein der Name von Shenmue übt auf mich immer noch reflexartig eine Anziehungskraft aus, die ich schwerlich leugnen kann und Yu Suzuki ist ohne Frage ein legendärer Designer. Aber die immense Zahl an großen SEGA- und Arcade-Marken, die er hauptverantwortlich mitentwickelte, zeigt auch, dass er ein eher auf elegante Mechaniken und Gameplay-Zyklen mit engem Wendekreis bedachter Spieleschöpfer ist. Keiner, der je ein Händchen für einnehmende, ausschweifende Geschichten bewiesen hätte. Vielleicht ist es an der Zeit, uns einzugestehen, dass es ein Stück weit töricht war, hier ein erzählerisches Epos zu erwarten. Das Problem ist: Nichts anderes wäre nötig, damit das Spiel heute noch aus der Masse an hochinteraktiven, offenen Welten heraussticht.
Der 19. November rückt immer näher. Ich weiß nicht, ob ich an dem Tag den Mut aufbringe, den PC einzuschalten.
Entwickler/Publisher: Ys Net/Deep Silver Erscheint für: PS4, PC - Geplante Veröffentlichung: 19. November - Angespielt auf Plattform: -