Dauntless kommt genauso wenig ohne Monster Hunter aus wie diese Überschrift
Free-to-slay.
Zu Beginn gab es: hochgekrempelte Ärmel, hehre Ziele und drei mögliche Konzepte davon, was sich einmal hinter dem Namen Dauntless verbergen würde. Was heute bleibt: hochgekrempelte Ärmel, hehre Ziele - und die Erkenntnis, dass Phoenix Labs zwar hervorragendes Gespür für Trends, aber ein miserables Timing hat.
Das 2014 von drei ehemaligen Riot-Entwicklern gegründete Studio entpuppte sich schnell als branchenweites Auffangbecken für all jene, die zwischen der hochkomplexen Maschinerie ihrer ehemaligen Triple-A-Arbeitgeber zerrieben zu werden drohten. Inzwischen ist das junge Team im kanadischen Vancouver auf 70 Mitarbeiter angewachsen, deren Vergangenheit bei Bioware, Capcom, Blizzard und weiteren namhaften Brötchengebern einen ganz beachtlichen Querschnitt der Industrie abbildet.
"Als wir endlich in die finale Konzeptionsphase unseres ersten Spiels eintraten, hatten wir drei Genres in der engeren Auswahl", sagt uns Marketing-Manager Nick Clifford beim Anspielen in Berlin. "Wir schwankten zwischen einem charakterbasierten Team-Shooter, einem Battle-Royale-Spiel und der Idee, dem bis dahin wenig beachteten Monster-Hunter-Konzept unseren eigenen Stempel aufzudrücken - zum Glück wurde es Letzteres", erzählt der ehemalige Electronic-Arts-Mitarbeiter mit einer eigentümlichen Mischung aus Offenheit und Zurückhaltung, ein durch zahlreiche Interviews angeeigneter Reflex in Vorbereitung auf jene Frage, die nun unweigerlich folgen muss: Was ist mit Monster Hunter World?
Noch bis zur E3 vergangenen Jahres schien Phoenix Labs die bestmögliche Entscheidung getroffen zu haben. Overwatch hatte längst sämtliche Trittbrettfahrer deklassiert und ein ganzes Untergenre für sich beansprucht, wie es Blizzard-Spiele für gewöhnlich zu tun pflegen. Auch PUBG schien die Battle-Royale-Krone vor einem Jahr bereits nicht mehr zu entreißen zu sein (ein Trugschluss, wie Fortnite inzwischen eindrucksvoll bewiesen hat). Ein völlig anderes Bild bot sich derweil an der Monster-Hunter-Front, wo Capcoms Monsterjagd aufgrund regelmäßiger wie hochwertiger 3DS-Teile selbst im Westen langsam Bodenhaftung gewann und damit die Schreie der Community nach einem großen HD-Teil immer weiter anschwellen ließ. Ein riesiges unbeackertes Feld - zumindest bis zur Ankündigung von Monster Hunter World auf Sonys letztjähriger E3-Pressekonferenz.
An jenem Abend dürften einige Biere bei Phoenix Labs geöffnet worden sein, keines davon zum Anstoßen. Aus den anfangs wenig jugendfreien Reaktionen hat das Team inzwischen jedoch professionell einstudierte und auf Kommando abrufbereite Stellungnahmen geschliffen, ein argumentativer Rundumschlag, der sowohl die Flucht nach vorn und als auch die Daseinsberechtigung des eigenes Spiels einschließt. So sei etwa selbst Worlds durchschlagender Erfolg von Vorteil, weil dieser zahlreiche Spieler weltweit für dieses nach wie vor eher grindlastige Jagen-und-Craften-Konzept sensibilisiert hätte - Spieler, die demnächst womöglich auch Dauntless eine Chance geben.
Und das Studio tut sein Möglichstes, diese Einstiegshürde so niedrig wie möglich zu legen. Der dafür wohl entscheidendste Punkt stand bereits zu Beginn der Entwicklung und damit weit vor Capcoms unerwarteter Ankündigung fest: Dauntless ist free-to-play-basiert. Vor allem aber ist es frei von Lootboxen, einer verlockenden und gleichwohl brandgefährlichen Finanzierungsmöglichkeit für ein Spiel, das seinen Reiz zuvorderst aus dem geduldigen Erarbeiten von Ausrüstungsteilen zieht. Stattdessen sollt ihr im In-Game-Shop ausschließlich durch eine Auflistung kosmetischer Inhalte scrollen und idealerweise genug für Echtgeld kaufen, damit die Entwickler ihren Plan einer langjährigen Unterstützung und kontinuierlichen Verbesserung des Spiels umsetzen können.
Nun können an Preisschilder gebundene Exklusivschranken selbst dann problematisch sein, wenn sie die Avatare ihrer Spieler lediglich in stylische und nicht-ganz-so-stylische unterteilen. Stand heute beschränkt Phoenix Labs derlei Kosmetika ausschließlich auf vergleichsweise Banales wie Emotes und Banner, lässt von kaufbaren Rüstungen oder dergleichen aber wohlweislich die Finger.
Überhaupt hält sich das Geschäftsmodell angenehm im Hintergrund. Es ist lediglich ein kleines Teil im großen Puzzle, das Dauntless gezielt in seiner eigenen Nische platzieren soll, in der es einer direkten Konfrontation mit dem schier übermächtigen Monster Hunter World entgehen kann - ein Zweikampf, bei dem sich die Kanadier sehr wohl bewusst sind, ihn nur verlieren zu können. Deshalb positionieren sie ihre Interpretation des "Hau riesige Viecher zu Klump und bastel aus ihren Innereien fette Waffen"-Genres ganz bewusst als eine Art Monster Hunter light, als weniger überbordende, weniger überfordernde Version, der es zugleich natürlich nicht am notwendigen Anspruch fehlen soll.
Dieser nicht ganz ungefährliche Spagat beginnt bei der maximalen Kampfdauer von 30 Minuten (60 Minuten in MHW) und reicht bis zu vielen seichten MMO-Elementen, die euch eher zu regelmäßigen statt stundenlangen Runden animieren sollen. Tägliche und wöchentliche Quests rotieren munter durch eure To-do-Liste, dem eigentlichen Spielfortschritt verpflichtete Aufgaben sowieso, von denen permanent mehrere zur Auswahl stehen, um nie an einer festhängen zu müssen. "Unser Fortschrittssystem war ursprünglich viel linearer aufgebaut, was unseren Spielern aber nicht sonderlich zusagte", erklärt Clifford und schlägt damit zugleich den Bogen zu einem Thema, das ihm und seinem gesamten Team besonders wichtig ist: die Zusammenarbeit mit der Community.
Dauntless verändere sich kontinuierlich aufgrund des in Subreddits, auf Discord-Servern und im eigenen Forum gesammelten Feedbacks. "Basierend auf Kritik und Anregungen haben wir bereits die unterschiedlichsten Elemente angepasst, seien es rein ästhetische oder spielrelevante Änderungen an Waffen und Monstern", so Clifford. Auch deshalb sei ihr Action-Schnetzler bereits seit Monaten spielbar, erst in verschiedenen Alpha-Versionen, aktuell in der geschlossenen und ab 24. Mai in der offenen Beta, die für Phoenix Labs quasi den inoffiziellen Startschuss markiert.
Dieses Beschnuppern zwischen Spiel und Spielern wird ein ganz entscheidendes, vor allem deshalb, weil es Dauntless' letzte Gelegenheit sein könnte, vor dem auf Herbst datierten PC-Release von Monster Hunter World eine entscheidende Duftmarke zu hinterlassen. Wenn die kanadische Free-to-play-Version nämlich irgendwann 2018 ganz hochoffiziell an die Startlinie rollt, tut sie dies sehr wahrscheinlich nach der Konkurrenz - zu einem Zeitpunkt, an dem Capcoms Vorsprung durch die seit einem Dreivierteljahr geschliffene und um neue Inhalte erweiterte Konsolenversion nur noch größer ist.
Wer sich vor diese Wahl gestellt für Dauntless entscheidet, tut dies nicht wegen des Umfangs. Im Vergleich zu Worlds 14 Waffen etwa haben die Kanadier derzeit nur fünf zu bieten - und nicht mehr allzu viel Zeit, diese Anzahl um eine relevante Menge zu erhöhen. Vom einsteigerfreundlichen Allrounder-Schwert über die schnellen Doppelklingen bis hin zum wuchtigen Hammer ist alles gleichermaßen zweckdienlich wie hinlänglich bekannt. Standardwerkzeuge also, deren Einsatz auch durch die mithilfe verschiedener Kombinationen der leichten und schweren Schlagtaste ausgelösten Mini-Kombos nicht facettenreicher wird. Zwischendurch eine Ausweichrolle, ein ängstliches Schielen auf die knapp bemessene Ausdauerleiste und anfangs noch das nervöse Fingern nach der lediglich durch ihre Abwesenheit glänzenden Blocken-Taste. Die von den Entwicklern forcierte Zugänglichkeit äußert sich auch und gerade im etwas weniger filigranen Herumtänzeln und Taktieren mit einer turmhohen Kreatur am anderen Ende der Klinge. Es geht weniger um das gleichzeitige Jonglieren mit einem Dutzend verschiedener Items oder tiefergehende Kenntnisse und akrobatische Verrenkungen mit der eigenen Waffe. Dauntless verlangt von euch eher ein grundlegendes Verständnis von eurer Position im Raum sowie ein Gespür für das Monster vor eurer Nase.
Nichts von alledem erreicht jemals die Komplexität oder Klasse eines Monster Hunter. Dass es sich in seinen besten Momenten und mit anderthalb zugedrückten Augen dennoch gelegentlich ähnlich befriedigend anfühlt, ist das Verdienst der Monster, sorry, "Behemoths" selbst. Das individuelle Wesen der Biester ist ebenso spürbar wie ihr massiger Körper, wenn er von einem krachenden Axttreffer in ein kleines Wäldchen geschleudert wird, dessen Bäume unter der Last wie Streichhölzer zersplittern. Sie keifen und fauchen, drohen und lauern, spucken Feuer und schießen euch schon mal Dutzende Energiekugeln gleichzeitig wie in einem Shoot-'em-up entgegen.
Doch es nützt ihnen alles nichts. Irgendwann fällt auch die größte Kreatur, niedergestreckt von einem oder bis zu vier Spielern mit entsprechend skalierter Schwierigkeit. Aus ihren Überresten zimmert ihr neue Waffen und Rüstungen, um auch ihre verbliebenen Artgenossen zu einem hübschen Bettvorleger zu verarbeiten. Die weiteren dafür notwendigen Ressourcen klopft ihr aus kleineren Monstern und lest sie von Zeit zu Zeit am Wegesrand der voneinander abgekoppelten, eher wenig aufregenden Karten ab, ehe ihr sie im zentralen Hub schließlich zusammenklöppelt. Hat man irgendwie eben doch alles schon mal so oder so ähnlich gemacht. Denn so sehr es das junge Studio auch dreht und wendet: Am Ende ist nicht nur der Vergleich, sondern die unmittelbare Gegenüberstellung mit Monster Hunter unvermeidlich. Und das ist die einzige Bestie, die Dauntless nie bezwingen wird.
Es gibt noch einige unbeantwortete Fragen, doch die wichtigste wird sein, ob sich Dauntless stark genug von Capcoms Vorlage abgrenzen kann. Dass nach der Konsolenveröffentlichung von World sprunghaft angestiegene Interesse am Free-to-play-Spiel ist mit skeptischer Lesart nämlich höchstens ein Indikator für die PC-Nachfrage nach einem Monster Hunter - nicht zwingend nach Dauntless selbst, wie Phoenix Labs das gern hätte. Was die Kanadier hier mit einem mickrigen Bruchteil von Capcoms Ressourcen auf die Beine stellen und wie nah sie an der Schnittstelle ihrer Community arbeiten, ist gerade für ein Erstlingswerk fraglos beeindruckend. Ob es reicht, langfristig als kostenlose Light-Variante eines bestehenden Spiels in dessen Fahrwasser mitzuschwimmen, muss sich aber erst noch zeigen.
Entwickler/Publisher: Phoenix LabsErscheint für: PC - Geplante Veröffentlichung: 2018 (Open Beta: 24. Mai) - Angespielt auf Plattform: PC