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Days Gone - Auf dem Chopper durch das Chaos!

Wer den Unterschied zwischen Zombie und Freaker findet, darf ihn behalten

Das sind keine Zombies, das sind Freaker! Muss wohl ein sehr wichtiges Detail sein, so oft wie mir die Leute der SIE Bend Studios das eintrichtern. Während meiner Anspielgelegenheit in Berlin erkenne ich ehrlich gesagt keinen Unterschied. Diese Wesen, die auf meinen Helden zustürmen, sehen aus wie Gerippe aus dem Biologieunterricht, auf denen kaum genug Haut und Muskeln sitzen, um einer Kannibalensuppe Geschmack zu verleihen. Wild und ungezügelt folgen sie ihrem Trieb, stets auf der Suche nach warmem Fleisch.

Das haarspaltende Detail ist der schiere Fakt, dass diese Wesen nicht tot sind. Es sind lebendige Menschen, heimgesucht von einem Virus, der ihnen den letzten Funken Verstand raubt. Übrig bleiben Tiere, Bestien, ungezügelte Fressmaschinen mit irren Reflexen, die seltsamerweise das Bedürfnis haben, in riesigen Rudeln zu reisen. In Hundertschaften taumeln, stolpern und purzeln sie hintereinander her, was einen geradezu drollig unbeholfenen und zugleich furchteinflößend blindwütigen Eindruck hinterlässt. Als ob ein hundert Meter langer Fleischwurm in unbeherrschten spastischen Zuckungen gen Nirwana robben wollte.

Ein guter Chopper ist der beste Freund des Freaker-Killers.

Für die Hauptfigur Deacon St. John sind sie nicht mehr als ein Haufen Kanonenfutter, der zwischen ihm und überlebenswichtigen Utensilien steht. Gefährliches Kanonenfutter, das er nicht unterschätzen darf. Das Virus mag den Freakern jede Form von Intelligenz genommen haben, doch ihr Trieb macht sie unberechenbar. Er muss sie in Flaschenhälse locken, um ihrer Überzahl Herr zu werden, sie in Grüppchen von der Herde weglocken, um die Übersicht zu bewahren, und nicht zuletzt muss er schnell handeln, wenn sie losrennen.

Mein erster Eindruck vom Spielgeschehen ist von einer ambivalenten Geschmacksnote bestimmt. Days Gone balanciert inmitten einer Grauzone zwischen nicht ganz ernstzunehmender B-Movie-Stimmung und beklemmend finsterer Mad-Max-Apokalypse. Deacon - seines Zeichens tätowierter Ex-Motorradrocker - kommt gar nicht erst in Versuchung, Mitleid für Freaker aufzubringen. Wie jeder gute B-Movie-Protagonist hat auch er eine traumatische Vergangenheit, verlor gar seine geliebte Rockerbraut an die Brut. Klischee Ahoi, ausgewalzt in rund 6 Stunden cineastischer Zwischensequenzen.

Freaker belagern gerne mal die komplette Landstraße. Als Wegzoll nehmen sie frisches Fleisch

Was Days Gone im gleichen Moment glaubwürdig und nachvollziehbar macht, ist die hoffnungslose Tristesse der offenen Welt, durch die er sich auf seinem schweren Chopper bewegt. Open-World-Spiele kranken oft an Zwängen, die Spielablauf und Handlung ungewollt voneinander trennen. In Days Gone verschmelzen beide Komponenten allein durch die schiere Knappheit an Ressourcen.

Der Drang, den dicht bewaldeten nordamerikanischen Landstrich zu durchforsten, setzt weder Auftraggeber noch andere künstliche Motivationen voraus. Sprit, Waffen, Upgrades. Allein die Furcht vor den gewaltigen Freaker-Horden treibt mich von Camp zu Camp auf der Suche nach eben diesen Komponenten. Und nicht nur mich. Diverse Fraktionen - darunter auch Menschen, die Freaker im Rahmen eines Kults verehren - machen sich gegenseitig Munition und Sprit streitig. Wehe dem, der in einer Straßenblockade keinen Hinterhalt wittert. Grotesk: Statt gemeinsam gegen die Pest der Verseuchten vorzugehen, kämpfen viele kleine Fraktionen um die Rettung der eigenen Haut und gehen dabei über Leichen. Zum Glück beherrscht Deacon einige Nahkampftechniken, die eine Prügelei (inklusive Messer) nicht in einen stumpfen Reaktionstest verwandeln.

Aus sechs Gegenden mit unterschiedlichen Witterungsverhältnissen besteht die Spielwelt.

Riskante Versorgungsfahrten werden noch gefährlicher, wenn sie an jenen Orten vorbeiführen, an denen Freaker eine Art Dorf eingerichtet haben. Beispielsweise an überlebenswichtigen Wasserstellen. Sie bauen dicht verschlossene Nester, in die Deacon nicht eindringen kann. Werden sie allerdings in Brand gesetzt (etwa durch einen Molotowcocktail), dann stürmt ein gefühltes Bataillon hungriger Bestien aus dem Loch.

Solche Szenen erinnerten mich beim Anspielen an Comedy-Klassiker, in denen fünfzig Clowns aus einem Kleinwagen aussteigen. Völlig unglaubwürdig, überaus B-Movie-typisch und einzig einer hitzigen Gameplay-Passage geschuldet. SIE Bends Vorhaben, ein möglichst realistisches Szenario zu erschaffen, endet spätestens an dieser Stelle. Aber wer will denn kleinlich sein? Dafür steigt schließlich der Schwierigkeitsgrad auf ein Niveau an, der nicht nur Videospiel-Einsteiger entsetzt aufschreien lässt: Schnell weg hier!

Am besten rauf auf das Motorrad, das sich zwar etwas arg empfindlich um die Kurven manövrieren lässt, aber dank Lachgas-Boost blitzartig Meter gutmacht. Mit genügend Abstand kann man dann noch einmal über die eben verpatzte Situation nachgrübeln. Alles eine Angelegenheit guter Vorbereitung. Ohne entsprechende Upgrades für Gesundheit und Agilität versprechen Überfälle auf Nest-Ansammlungen wenig Überlebenschance.

Zu Tisch, bitte, es gibt genügend Rocker für alle.

In dem Fall ist es besser, auf Deacons Instinkte zu vertrauen, Etwa auf seine Fähigkeit, im Dickicht eines Waldes Fährten aufzuspüren. Versteckte Einrichtungen, ausgemusterte Fabriken, verlassene Zeltlager ... überall ergeben sich Möglichkeiten, die eigene Ausrüstung aufzustocken oder einen gewieften Angriffsplan zu schmieden. Bleivergiftung auf offenem Feld ist mühsam. Freaker in irgendwelchen Industrieanlagen mithilfe von schwerem Gerät zu Brei verarbeiten macht viel mehr Spaß und ist effektiver. Man muss solche Gelegenheiten nur finden und wahrnehmen.

Immerhin sechs komplett unterschiedliche Regionen mit diversen Wetter- und Witterungsverhältnissen inklusive Tag und Nacht versprechen die Entwickler. Hoffentlich nicht nur eine optische Angelegenheit.

In einer kurzen Anspielsitzung ist das nur schwer abschätzbar. Schließlich strotzt das Spiel vor Gameplay-Details. Schusswaffen, die sich Abnutzen, ausgehender Sprit und ein Motorrad, das man in der Wildnis verlieren kann ... das ist ein Haufen Holz in einer apokalyptischen Umgebung. Darum blieb die erste Spielstunde unserer Präsentation streng linear. Hier nahm sich das Spiel die Zeit, Anfänger in jede Kleinigkeit einzuführen und mit den Regeln der offenen Welt vertraut zu machen. Welche Gefahr bergen Tunnel? Wem darf man vertrauen? Wie sicher sind die brüchigen und hügeligen Landstraßen? Wo gibt es welche Art Upgrade? Wie lange die Einführung tatsächlich dauert, bevor die offene Welt zur Erforschung einlädt, kann ich nicht einschätzen, da unsere Demo irgendwann einen Sprung von vier Spielstunden überbrückte.

Während der Einführung kamen allerdings auch Ungereimtheiten zutage. In allen erdenklichen Situationen stürmen Freaker auf mich zu, als könnten sie Deacons Aftershave über Kilometer hinweg erschnuppern. Eine aus Versehen angeworfene Maschine oder ein aktiver Lautsprecher in einer alten Fabrik genügt, um sie in Scharen zum Bankett zu bitten. Und doch gibt es Situationen, in denen sie vereinzelt umherschleichen und überhaupt keine Notiz von Lebenden nehmen. In einem Camp der Einführungsstunde nagten sie an irgendwelchen ausgemergelten Kadavern herum und ließen sich derweil von hinten abstechen. Ein Abschnitt, den mir das Spiel als Stealth-Passage verkaufen wollte. Ist bei mir nicht so richtig angekommen.

Das war nur eine kleine Schwachstelle in einer anderweitig starken Präsentation. Ich bin mir nicht sicher, ob Days Gone in der Champions League der PS4-Exklusivtitel mithalten kann. Das wird erst der Test der Vollversion zeigen. Zu hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich viele der anfangs interessanten Spielelemente auf Dauer zu oft wiederholen. Zu offensichtlich wirkt mir das Vermengen jedes noch so abgedroschenen Zombie- und Apokalypse-Klischees. Das nagt ein wenig an der Stimmung, ändert aber keineswegs etwas am Spaß. Zumal mir die Grafik gut gefallen hat. Abseits einiger sichtbar aufpoppender Level-Of-Detail Elemente (die in einer offenen Welt unvermeidbar sind) spinnt SIE Bends ein sehr dichtes und packendes Seemannsgarn mit dichter Flora, geschickt eingesetzten Effekten und viel Masse. Dass die PS4 Pro, auf der wir spielen durften, das Ganze in bombenfesten 30 FPS ausspuckt, ist wohl exzessiver Optimierung zu verdanken.

Trotzdem sind überschäumende Lobeshymnen noch nicht angebracht. Days Gone erscheint am 26. April und wird definitiv ein weiterer guter Exklusivtitel, aber wo genau er sich einordnet, ist im Moment noch nicht ersichtlich.


Entwickler/Publisher: Sony Bend / Sony Erscheint für: PS4 - Geplante Veröffentlichung: 26. April 2019

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