Geometry Wars: Galaxies
Kleinhirn, übernehmen Sie!
Ein bisschen komisch war es ja schon: Im November 2005 erscheint die Xbox 360 – die erste vollkommen auf High Definition ausgelegte Spielekonsole. Und trotzdem war der beste Launchtitel der frisch aus dem Ei geschlüpften Next Generation einer, der altmodischer kaum hätte sein können. Eigentlich tat man in Geometry Wars: Retro Evolved nämlich nichts weiter, als über waberndem, digitalem Millimeterpapier vor einem nachtschwarzen Sternenhimmel Quadrate und Dreiecke zu pulverisieren. Bis die Augen vor Trockenheit zu zwicken und die Lider zu zucken begannen.
Die gesamte Oberstufe hindurch hatte ich gezwungenermaßen einen Krieg gegen die Algebra geführt. Und nun schlug ich freiwillig eine um die andere Schlacht gegen das mir eigentlich sympathischste aller mathematischen Teilgebiete, die Geometrie. Wie konnte es dazu kommen? Nun, Geometry Wars ist ein sehr eigentümliches Spiel. Ganz wie damals zu Ataris 2600er-Zeiten ist das Gameplay open-ended, es gibt keine vorgeschriebene Dramaturgie, kein choreografiertes Spielen. Und trotzdem hat es etwas unglaublich anmutiges, sich nur mit den beiden Sticks (einer zum Lenken, der andere zum Feuern) und einer Smartbomb als Notbremse durch nicht enden wollende und anscheinend willkürlich auftretende Feindescluster zu schwurbeln.
Es ist der faszinierenden Simplizität des Gameplays zu verdanken, dass man auf dem Teppich der elektronischen Beats und unter den gleißenden Effektvorhängen in eine Art Trance verfällt, sich von der stetig steigenden Schlagzahl des Spieles hypnotisieren lässt. Natürlich muss man das auch zulassen. Wer versucht, das Spiel zu begreifen anstatt nur zu reagieren, sich dem ebbenden und brandenden Puls der Gegnerwellen hinzugeben, der hat schon längst verloren. Man ist entweder "drin" in Geometry Wars oder eben nicht. Und wenn man drin ist, gibt es fast nichts Schöneres, als beinahe instinktiv durch die schlicht absurde Neon-Gegnerflut zu flutschen.
Retro Evolved – das nun auch in Galaxies enthalten ist, ist ein Spiel, das nach oben offen ist und dem nur durch das Unvermögen des Spielers irgendwann ein Ende gesetzt wird. In dem Wii-Update ist das immer noch so – und doch wieder nicht. Denn Kuju hat dem klassischen Endlosshooter eine Singleplayer-Kampagne auf den Leib geschneidert, die ihm unglaublich gut zu Gesicht steht.
Nach der Erstellung eines Profils entlässt Euch der Einzelspieler-Modus in die namensgebende Galaxie. Zunächst dürft Ihr hier nur ein Sonnensystem besuchen. Dessen einzelne Planeten kommen erstmals als eigene Level daher, jeweils mit eigenen Umrissen und charakteristischem Spawnverhalten der Gegner. Da es von Letzteren auch eine ganze Menge neue Ausführungen gibt, spielt sich jeder Planet ein bisschen anders.
Mal ballert Ihr in einer spitzen Rautenform, in deren Ecken sich die neuen, kreisrunden Mutterschiffe, die unentwegt zielstrebige Karos, fahrige Rotoren oder aggressiv-intelligente Quadrate ausspucken, hervorragend einkesseln lassen. Mal hütet Ihr Euch auf einem anderen Planeten zwischen dessen Zick-Zack Umrissen davor, nicht an dessen Kanten Hängen zu bleiben. Ja, hin und wieder bewegen sich sogar massive Hindernisse übers Spielfeld. So kommt es, dass jeder der über 60 Planeten ein eigener kleiner Endlos-Level ist, der durch seine Form und seine Gegner eine leicht unterschiedliche Taktik erfordert.
Wenn man dem ursprünglichen Geometry Wars eines vorwerfen wollte, dann, dass es sich eigentlich nur für Highscorejäger eignete. Dadurch, dass es auf jedem Kampfplaneten jetzt Bronze-, Silber- und eine Goldmedaille zu gewinnen gibt, die meistens selbst ohne gottgleiche Reflexe und Jahrelange Übung zu erreichen sind, lockt Galaxies jetzt auch Spieler mit „normalen“ Ansprüchen und Fähigkeiten in seinen digitalen Rausch aus Farben und Formen. Und dieser Offerte ist wirklich nur sehr schwer zu widerstehen.
Das liegt auch an der neuen persönlichen Drohne, der Ihr vor einem Level eine grundlegende Verhaltensweise (Angreifen, Verteidigen, Sammeln, Abschirmen, usw.) diktieren dürft. Der unkaputtbare kleine Helfer unterstützt Euch tatkräftig im Kampf der Winkel und Tangenten, mit zunehmender Erfahrung steigert er sogar seine Effizienz in den verschiedenen Einsatzbereichen.
Der Fortschritt in der Kampagne hängt hingegen von den Geoms ab. Dies ist die Spielwährung, mit der Ihr nach und nach neue Systeme, Planeten sowie Spezialfähigkeiten für die Drohne freischaltet und die obendrein für Euren Punkte-Multiplikator zuständig ist. Diese Steinchen werden nämlich von zerstörten Feinden fallen gelassen und treiben nur etwa zwei bis drei Sekunden durch den Raum, bevor sie unwiederbringlich verschwinden.
Dies verändert das Punktesystem (und auch die Art, sich durch die Level zu bewegen, schließlich sammeln sich die Klunker nicht von alleine auf) tiefgreifend: Wer es richtig anstellt, treibt seinen Multiplikator in Sekundenschnelle in aberwitzige, dreistellige Höhen. Die ermüdende „Aufbauphase“, die in Retro Evolved Eurer Motivation nach einem Bildschirmtod einen Tritt von hinten in die Weichteile verpasste, ist damit passé.
Es fällt mir wirklich schwer, auch nur einen Kritikpunkt zu finden. Zugegeben: Mit der standardmäßigen Nunchuck-Fernbedienung-Kombination (Nunchuck: Bewegen, Wiimote-Pointer: Schussrichtung bestimmen) funktioniert Galaxies lange nicht so gut, wie es könnte. Für Geometry Wars-Fans ist daher der Erwerb eines Classic Controllers Pflicht – aber ich werde nicht hergehen und das Spiel deshalb abwerten. Schließlich wird auch niemand einem Flugsimulator ankreiden, dass er mit Maus und Tastatur nur wenig Spaß bringt. Dies ist das definitive Geometry Wars: immer noch herrlich simpel, aber durch motivierende Kleinigkeiten zu einem überaus kompletten Erlebnis ergänzt.
Galaxies ist so dermaßen einnehmend, dass man noch im Traum von leuchtenden Dreiecken und Quadraten heimgesucht wird. Man sitzt mit versteinerter Mine da, schaltet seinen Verstand ab und überlässt dem Kleinhirn das Steuer. Man ergeht sich in seiner stillen Ekstase und spürt, wie der Herzschlag allmählich synchron zum Beat der Musik zu joggen beginnt. Und wenn es dann doch schließlich passiert, dass die sechs Linien, die vor unserem inneren Auge ein erschreckend klares Bild von unserem Gleiter zeichnen, sich in vergehende Funken verwandeln – dann fangen wir einfach nochmal von vorne an.
Und nochmal.
Und nochmal.
Nochmal…
Das Alles gibt es samt herrlich chaotischem Coop-Modus seit kurzem für rund 30 Euro im Fachhandel zu kaufen. Wer wird da noch großartig überlegen?