Deadpool: Große Klappe, nichts dahinter?
Der Bruch der vierten Wand ist für Spiele nichts Neues. Kann Deadpool trotzdem funktionieren?
Es wird wohl niemand bestreiten, dass Videospiele für Comic-Figuren eine Plattform sind, die den Filmen, die in unveränderter Stärke über uns hereinschwappen, zumindest ebenbürtig sind. Das tun auch und vor allem die Spielehersteller nicht, die nicht erst seit dem Erfolg von Arkham Asylum - aber durchaus forciert seitdem -auf der Suche nach neuen Helden sind, um ihre übermenschlichen Talente auf das interaktive Medium zu übertragen. Deadpool, der Söldner mit dem losen Mundwerk, ist jetzt der nächste Kandidat und es fällt nicht schwer zu verstehen, warum.
Im Reich der Marvel-Comics hat der wahnsinnige Maskierte einen absoluten Sonderstatus, ist er doch der einzige, der regelmäßig die vierte Wand durchbricht, um den Leser/Spieler direkt anzusprechen oder eine Situation beinahe aus einer Sicht zu kommentieren, die irgendwo zwischen den Seiten des Comics und dem Leser liegt. Es ist eine schillernde, interessante Figur, mit der vieles möglich ist, wovon andere Superhelden nur träumen können. Nun ist es aber so, dass Videospiele seit Jahr und Tag schon Figuren kennen, die das alle Nase lang machen, sich ihrer Natur als lediglich virtueller Charakter bewusst sind. Beispiele gefällig? Aber haltet nicht die Luft an.
Vierte Wände und alte Hüte
Das gute und das schlechte Duke Nukem, Crash Bandicoot, diverse Metal Gear Solids, zwei Arme voller Point and Click Adventures von Lucas Arts oder aus anderem Hause. No More Heroes gehört ebenso in diese Liste wie so einige andere Nummern von Suda 51. Mr. Resettis Schimpftiraden in Animal Crossing darf man ebenso wenig vergessen wie Conker an seinem Bad Fur Day. Ein Eternal Darkness nutzt das Bewusstsein über seine Darreichungsform sogar in noch größerer Breite aus, während zuletzt die Berliner von Yager die Barriere zum Spieler in Spec Ops: The Line durchstießen, ohne es ihm auf die Nase zu binden - elegant und subtil.
Mit dem Sprung auf Konsolen verliert Deadpool sozusagen ein gewichtiges Alleinstellungsmerkmal. Das soll allerdings nicht heißen, dass die High Moon Studios, die mit einigen wirklich guten Transformers-Spielen bereits gezeigt haben, wie gut sie mit Geek-Stoffen umzugehen wissen, sich davon beirren ließen. Der entstellte Derwisch gleicht seinem handgezeichneten Ebenbild in charakterlich wie eine Deadpool-Actionfigur der anderen. Die Charakterzeichnung gelingt den Entwicklern derart gut, dass man in den Parts, die sich nicht um das Durchsieben und Zerstückeln von Mister Sinisters Schergen drehen, eindeutig am meisten Spaß hat.
Gut möglich, dass es daran lag, dass wir auf Activisions Event in London nicht selbst spielen durften. Aber es zeichnet gewissermaßen auch die Klasse aus, die sich vor einem abspielt, wenn High Moon die exaltierte Figur in der zusammen mit Deadpool-Autor Daniel Way entwickelten Geschichte von der Leine lässt. Ein Zusammentreffen mit seinem Ex-Partner - dem bierernsten Cable, der Uneingeweihten in einer kurzen, aber stilvollen Comic-Sequenz bündig vorgestellt wird -, stach besonders heraus. Auch ein Finisher, als sich Deadpool von hinten an eine Wache heranschleicht, um sich in nonchalanter Pose durch dessen Beine zu werfen, bevor ihr ihm das Licht auspustet, sorgte für die Sorte schadenfreudiger Lacher, die gut zu dem schizoiden Anti-Helden passen. Deadpools Gimmick mag in diesem Mediensegment vielleicht nicht so besonders einzigartig sein, die gut geschriebene Figur bringt einen aber trotzdem noch ziemlich häufig zum Lachen.
Bipolare Störung
Gerne würde ich euch etwas anderes erzählen, als Kollege Björn nach seinem Erstkontakt mit dem Titel auf der gamescom. Aber selbst auf dem neuesten Entwicklungsstand steht das eigentliche Spiel in Deadpool weiter deutlich hinter den Charakterparts zurück. Die Kamera ist nicht immer im Bilde, wenn der drahtige Killer im Klingen-Nahkampf etwas unbeständig und abrupt zwischen den Feinden hin und her zippt. Mehrfach zückte der Vorspieler die Pistolen, um auf einen zwei Meter neben ihm auf sein Ende wartenden Gegner anzulegen - nur freilich, um ihn mehrfach ein ordentliches Stück zu verfehlen. Intuitiv sieht anders aus. Am Ende kam der Mann am Drücker zudem aus der abschließenden 2D-Hüpfsequenz nicht heraus, weil er den entscheidenden Sprung immer vermasselte. Als er anschließend den Controller dafür verantwortlich machte, musste ich schon ein bisschen schmunzeln.
Das mehrfach im Vorfeld angepriesene fließende Kampfsystem ließ sich folglich zumindest aus der Perspektive des aufmerksamen Zuschauers nicht so wirklich blicken. Wenn es flutscht, scheint es im Ablauf passabel, wenn auch altbekannt. Es sieht in Ordnung aus - auch wenn man einem Spiel in 720p vielleicht nicht den größten Gefallen tut, wenn man es auf einer großen Kinoleinwand präsentiert - und gefiel mit abwechslungsreichen Szenarien schon nach den wenigen Minuten, die man uns zeigte. Wenn man parallel aber etwa das neue Devil May Cry nahezu exzessiv verschlingt, dann liegen hier zwischen einfach Welten. Anders kann man es beim besten Willen nicht sagen.
Und doch merkt man immer wieder, dass die Entwickler verstehen, mit wem sie es zu tun haben und es der schillernden, instabilen Persönlichkeit Recht machen wollen. Jedes Skript sitzt, Nolan North spricht den Protagonisten in mit einer mentalen Wackeligkeit, bei der sich pathologische Stoiker schon ziemlich zusammenreißen müssen, wenn das Steingesicht unbedingt halten soll. Und dann schaut man wieder bei einer generischen Fadenkreuz-Shootersequenz zu, die nur dadurch erträglich wird, dass Deadpool währenddessen auf einem raketenbetriebenen Riesenschuh reitet.
Einen festen Termin hat Deadpool noch nicht, Zeit ist also wohl noch genug, die allzu groben Kanten abzuwetzen. Es entbehrt wohl nicht einer gewissen Ironie, dass das Spiel bisher einen ebenso schizophrenen Eindruck macht wie der Held, den High Moon so gekonnt abbildet.