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Der Cyberpunk-Zug rollt weiter, nächste Station: Adventure Games! Nutze X mit Y

Wie funktionieren Sci-fi-Dystopien im Abenteuer-Spiel?

Punk's not Dead? Zumindest nicht, wenn es um DAS Trendgenre aktuell geht: Cyberpunk. Ihr sagt jetzt vielleicht: "Cyberpunk 2077 war doch schon letztes Jahr! Alter Hut!", aber der Neon-Zug rollt noch immer, und zwar durch die Welt der Adventure Games - Song of Farca, Encodya, Mind Scanners, Silicon Dreams, Chinatown Detective Agency, um nur ein paar der Cyberpunk-Abenteuer 2021 zu nennen.

Zahlreiche Point-and-Clicks und Abenteuer-Spiele begeben sich aktuell in Sci-Fi-Städte voller Neon, Maschinen, Elektro-Musik und natürlich auch Rebellen gegen das System. Kein Wunder, dass dieses Thema wunderbar in diese kleine Adventure-Kolumne passt. Aber was macht Cyberpunk im Adventure Game eigentlich aus? Wie funktionieren die Neon-Abenteuer 2021, was erzählen sie und was haben sie mit Dystopien und schweren Entscheidungen zu tun? - Alles einsteigen in den Cyber-Train, es geht los in eine düstere Point-and-Click-Zukunft.

In Song of Farca klärt man Verbrechen quasi im Homeoffice auf: vom eigenen Schreibtisch aus

Cyberpunk's Not Dead!

Bedrohlich, gesellschaftskritisch und futuristisch: So kennt man das Cyberpunk-Genre und dabei immer gespickt mit philosophischen Fragen nach der menschlichen Existenz, nach KIs und Transhumanismus. Es geht um ausbeuterische Regime und um Außenseiter, die sich gegen diese und gegen die Unbarmherzigkeit der Großstadt auflehnen. Das Ganze gibt es stets in einem nachdenklichen Ton, der alle Grauschattierungen zulässt.

Cyberpunk dreht sich also meist um Dystopien, also eine Fantasiewelt - häufig in der Zukunft - die ein negatives, beängstigendes Bild unserer Gesellschaft zeigen. Diese pessimistischen Aussichten sollen Entwicklungen in unserer Lebensweise anprangern und zum Nachdenken anregen.

In der Vergangenheit gab es solche düsteren Zukunftsgeschichten zum Beispiel in Adventures wie Whispers of a Machine, Gemini Rue, Fahrenheit , Red Strings Club oder vielleicht sogar der Deponia-Reihe, das man trotz allem Humor dennoch als eine Art dystopische Welt sehen kann.

Doch wie kann man den Verstand beim Zocken am besten zum Denken animieren? Na klar, indem man ihm nicht alles vorkaut und ihm in einer heilen Welt die Lösung auf dem Silbertablett serviert, sondern ihm vielmehr Grauzonen aufzeigt.

Auf der Seite des Feindes...

Neue Cyberpunk-Abenteuer wie zum Beispiel Silicon Dreams(seit 7. April) oder Mind Scanners(seit 20. Mai) versetzen euch zum Beispiel kurzerhand auf die Seite eines bösen Regimes, für das ihr arbeiten müsst. Lustig ist das mit Sicherheit nicht und kann bisweilen hart für das eigene Gewissen sein, das man dabei immer wieder unterdrücken muss, schließlich arbeitet man für die Diktatur. Aber gerade das gehört zum Spielerlebnis dazu: Cyberpunk ist regelrecht dafür gemacht, unbequem zu sein. Es lebt von unangenehmen Entscheidungen und vom Nachdenken über Dinge, die nicht immer Spaß machen müssen.

In Silicon Dreams spürt ihr Abtrünnige und Abweichler in den eigenen Reihen auf

Gerade dafür nutzen Adventures oft einen besonderen Kniff, der perfekt zu Cyberpunk zu passen scheint: den der eigenen Entscheidung. Spiele wie das kürzlich erschienene Lacuna stellen uns zum Beispiel frech vor Wahlmöglichkeiten, die den weiteren Verlauf der Handlung mitbestimmen und erzeugen so das zwiespältige Dystopie-Gefühl. Gut, ein wirkliches Cyberpunk-Abenteuer ist Lacuna vielleicht nicht, ein futuristischer Thriller voller Gesellschaftskritik aber durchaus. Auch das nachdenkliche Cyberpunk-Pixeldrama Don't Forget Me (seit 20. April) wäscht einen nicht von Verantwortung rein.

In meiner allerersten Kolumnen-Folge habe ich darüber gesprochen, wie angenehm leicht sich die Verantwortungslosigkeit in klassischen Point and Clicks von Lucas Arts anfühlt, aber gerade hier in der Welt des Cyberpunk fühlt sich so eine Leichtigkeit fehl am Platz vor.

Sag mir nicht, was ich tun soll!

Doch häufig gibt es in Adventures - besonders im Point and Click - doch eher eine lineare Handlung ohne Entscheidungsräume, der man sich einfach fügen muss, aber wie passt das zusammen? Das Cyberpunk-Adventure Encodya (26. Januar 2021) zum Beispiel erzählt Story des kleinen Straßenmädchens Tina auf gradliniger Point-and-Click-Art, aber ist das dann noch Cyberpunk? Im Falle von Encodya fand ich das fraglich und nehme das einfach mal als Beispiel, wie das Genre für mich im Adventure nicht so ganz aufgeht - sorry, kleine Tina!

Die kindliche Hauptfigur gibt uns leider oft Hinweise darauf, was wir zu denken haben und genau das wollten wir doch nicht machen, liebe Dystopie-Spiele, oder? Die Konzernbosse sind hier durchweg fies, böse dreinblickende Robotor auch und das Waisenkind ist voller Sozialromantik immer gut und nett zu allen. Statt Grauzonen ist hier also klar abgesteckt, was wir von Mitmenschen (und Robotern) zu halten haben. Das mag nicht zwingend schlecht für die Encodya-Geschichte oder das Point-and-Click-Spiel sein, aber passt nach meiner Ansicht nicht so ganz zu Cyberpunk.

Oder etwa doch? Auf Wikipedia heißt es zum Beispiel, Cyberpunk wäre das Noir-Genre unter den Sci-Fi-Storys und der Film Noir arbeitet ja in erster Linie genau damit: mit immer wiederkehrenden Typen (man denke an den dramatischen, düsteren Detektiv und die gefährliche Femme Fatale). Schwarz-weiß sind diese Geschichten trotzdem nicht. Wie der Name schon sagt, sind sie vielmehr NUR dunkel und stets moralische Helden sucht man dort vergebens - so auch in der Cyberpunkwelt.

Die Voxel-Optik in Cloudpunk ist vielleicht speziell, die Atmosphäre aber extrem dicht

Von Encodya kann man das nicht behaupten: Tina ist ein freundliches, unschuldiges Kind, das kein Wässerchen trüben kann. Mit Entscheidungen oder Dilemmata verzichtet Encodya außerdem auf ein trickreiches spielerisches Mittel, das helfen würde, um nicht ins schwarz-weiß abzurutschen. Das berühmteste Beispiel und vielleicht größte Adventure-Meisterwerk im Hinblick auf komplexe Entscheidungsbäume und schwere Dilemmata ist ebenfalls eine futuristische Dystopie: Detroit: Become Human von Quantic Dream.

Aktuell könnte man zum Beispiel das deutsche Cyberpunk-Abenteuer Cloudpunk von 2020 im Hinblick auf Entscheidungen anführen. Zwar ist dieser Titel vielleicht nicht so aktuell wie die anderen genannten, hat aber gerade erst ein brandneues DLC namens City of Ghosts erhalten und ist dadurch wieder hochaktuell. Die Geschichte von Cloudpunk begleitet als Hauptfigur die Lieferfahrerin Rania in der gleichermaßen rauen wie auch beeindruckenden Sci-Fi-Metropole Nivalis und auch hier erlebt ihr zahlreiche tiefgründige Geschichten.

In ihren Missionen begegnet Rania nämlich allen möglichen Stadtbewohnern von braven Bürgern über Rebellinnen bis hin zu Cyborgs. Dabei entstehen gibt es gut geschriebenen Dialogen zahlreiche Situationen von tiefgründig über tragisch bis hin zu richtig schräg und schwerwiegende Entscheidungen liefern dann auch noch das echte Cyberpunk-Gefühlspaket per Lufttaxi: die Beklemmung, wenn alle Wahlmöglichkeiten gefährlich sind und man das kleinste Übel aussuchen muss.

Wie ein guter Film?

Ich sage nicht, dass lineare Erzählungen nicht die Dringlichkeit einer Cyberpunk-Dystopie erzählen können. Vielen Filmen und Büchern gelingt das schließlich auch, also auch einigen Point-and-Clicks. Auch wenn sie ein gutes Mittel sind: Entscheidungen müssen also nicht zwingend sein, um ein Adventure so richtig cyberpunkig und spannend zu machen.

Adventures wie Gemini Rue inszenieren eine düstere Zukunftsatmosphäre auf einem erbarmungslosen Planeten zum Beispiel gänzlich linear mit klassischem Point-and-Click-Prinzip. In einem gradlinig erzählten Abenteuer ist schließlich auch jede Menge Platz, interessante Dialoge einzuschleusen, ganz wie in einem guten Film, oder?

Balde Runner ist schon der Cyberpunk-Klassiker auf der Leinwand - und auch unter den Adventure Games

Eine andere Möglichkeit, die Komplexität von Cyberpunk auch ein wenig ins Spielprinzip einzubauen, gab es zum Beispiel beim Klassiker-Point-And-Click Blade Runner, das ebenfalls nicht linear abläuft. Stattdessen werden bestimmte Szenen zufällig eingesetzt, um jeden Spielverlauf variabel zu gestalten - gut, wenn man es nur einmal spielt, dürfte einem das kaum auffallen. Da wirkt es dann auch linear und das Cyberpunk-Gefühl gelingt trotzdem.

Selbst in CDPRs Cyberpunk 2077 - natürlich kein Adventure, deshalb nur ein kurzer Nachtrag - könnten die tiefgehenden Themen einem auf den ersten Blick vielleicht etwas fehlen, wenn man sich aber etwas intensiver damit beschäftigt, findet man durchaus düstere Sci-Fi-Philosophien. Da gibt's doch was von Eurogamer, so zum Beispiel Anas Interview zu KIs, Braindances und anderen spannenden Konzepten in Cyberpunk.

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Judith Carl Avatar
Judith Carl ist Volontärin für News und Social Media bei Eurogamer.de. Judith hat Medienwissenschaften studiert. Sie streamt begeistert am liebsten Rollenspiele und Adventure Games auf Twitch. Ihre weiteren Leidenschaften sind LARP, Pen and Paper, und Trash-Filme.
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