Der Filmblog: District 9
Intelligent, actionreich und brutal
Ich kann es nicht lassen. Seit Wochen gehe ich meinen Kollegen mit einem Filmblog auf die Nerven. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit erzähle ich von den tollen Möglichkeiten, eurer angedachten Begeisterung und meinem einmaligen Talent. Okay, nennen wir es Interesse. Damit ich nun endlich Ruhe gebe, darf ich mich hier in unregelmäßigen Abstand über Filme auslassen. Keine Sorge, vor Thomas Mann-Verfilmungen, Claude Chabrol-Machwerken (der einzige Filmemacher, bei dem ich vorzeitig das Kino verlasse) und südamerikanischen Sozialstudien seid ihr sicher.
Hier geht es vor allem um Blockbuster, Geheimtipps und Filme mit Spielbezug. Den Einstieg macht District 9. Eine kleine, amerikanische Produktion, die mit Hilfe des Tolkien-Meisters Peter Jackson und seinen Weta-Studios für gerade mal 30 Millionen Dollar (nichts für Hollywood-Verhältnisse) einen genialen Kurzfilm (Alive in Joburg) in ein ebenso geniales 112 Minuten Meisterwerk verwandelte. Das Ergebnis: Allein in den USA hat der in Südafrika gedrehte Streifen mehr als das Doppelte seiner Produktionskosten eingespielt. Die amerikanischen Kritiker überschlagen sich. Aber wird er diesem Hype wirklich gerecht?
District 9
Regie: Neill Blomkamp; Darsteller: Sharlto Copley, Jason Cope, David James
Es gibt eindeutig zu wenige gut gemachte, spannende und intelligente Science Fiction-Filme. Nur wenig Regisseuren gelingt der Spagat zwischen sozialkritischer Bedeutung und kinoreifer Spannung. Bestes und prominentestes Beispiel: Spielbergs Minority Report und AI. Beides im Kern hervorragende Erzählungen, die über ihr eigenes, schmalziges Ende stolpern. Doch das sind noch die Sahnestücke. Über die ganzen B-Movie-Machwerke der Achtziger und Neunziger breiten wir lieber den Mantel des Schweigens. Und ja, ich habe Nemesis 1-3, The Hidden 1-2 und Dark Angel gesehen.
Natürlich gibt es auch Positiv-Beispiele - Alien, Blade Runner oder The Cube - doch der Großteil der Produktionen landet, zu recht, in der Videothek-Grabbelkiste. Umso erstaunlicher ist District 9. Vor allem wenn man bedenkt, dass es die erste, große Regie-Arbeit von Nachwuchs-Filmer Neill Blomkamp ist. Der Südafrikaner war zwar für die Halo-Verfilmung vorgesehen, hat bisher aber nur ein paar TV-Spots, jede Menge 3D-Animationen und dem oben erwähnten Kurzfilm gedreht.
Die Story ist so simpel wie genial. In Blomkamps Vision ist der erste Kontakt mit außerirdischem Leben weder großangelegte Invasion noch metaphysisches Erlebnis, stattdessen entspinnt sich daraus eine schlichte humanitäre Hilfsmission. Ein gewaltiges, inzwischen flugunfähiges, Raumschiff ist über Johannisburg erschienen. Doch statt uns Krieg oder Weisheit zu liefern, erreichen eine Millionen ausgehungerte, insektoide Aliens die Erde. Keine Wissenschaftler, Denker oder Soldaten, sondern schlichte Arbeiter. Intergalaktische Schiffbrüchige sozusagen, gestrandet auf einem für sie unbekannten Planeten, voll mit seltsamen Zweibeinern, die statt mit einer harten Außenschale als wabbeliger Fleischsack durch die Gegend rennen.
Aus dem temporären Flüchtlingslager mitten in der südafrikanischen Hauptstadt wird mit der Zeit ein Ghetto. District 9. Die Außerirdischen sind zu anders, als dass Menschen sie akzeptieren könnten. Immer wieder prallen die Kulturen aufeinander. Denn Eigentum ist für die so genannten "Schrimps" ein Fremdwort. Sie ecken an, stehlen und töten. Ihre Denkweise ist zu anders, um sie verstehen zu können. Auf der anderen Seite werden sie von den Menschen verachtet und ausgenutzt.
Nigerianische Gangs verkaufen den ausgehungerten Wesen Katzenfutter und rohes Fleisch, um von ihnen Geld und exotische Technologie zu erschleichen. Und die Regierung versucht, ihnen mit Hilfe der MNU (Multi National Unit) das Geheimnis für die hochtechnisierten, aber genetisch codierten Waffen zu entlocken. Selbst die früher unterdrückte schwarze Bevölkerungsschicht skandiert "Alien raus". Ein grausames, unmenschliches Bild der ach so menschlichen Rasse.
Mittendrin in diesem Pfuhl aus Korruption, Fremdenhass und nackter Gewalt, der MNU-Angestellte Wikus Van de Merwe. Ein leicht gutgläubiger, ängstlicher Mann, der dem Geschehen nach außen den Anschein von "Nächstenliebe" geben soll. Er leitet eine gewaltige Umsiedlungsaktion, die die Besucher 28 Jahre nach ihrer Landung in ein Konzentrationslager außerhalb der Stadtgrenzen befördern soll. Doch die "Schrimps" wollen ihre heruntergekommene Heimat nicht verlassen. Es kommt zu Auseinandersetzungen und Kämpfen. In einer der Hütten findet Wikus einen Kanister, der ihm harmlos vorkommt. Doch die Flüssigkeit, die ihm da ins Auge spritzt, verändert sein Leben schlagartig.
Ein Alien-Virus verändert seine DNA und verwandelt ihn in einen Hybriden. Halb-Außerirdischer, Halb-Mensch wird er zum Ziel der MNU. Von nun an, kann er außerirdische Waffen einsetzen, was ihn zum wertvollsten lebenden Objekt auf der Erde macht. Zu einem Gejagten, der bei den Außerirdischen Unterschlupf findet. Gemeinsam mit ihnen geht er den Geheimnissen der Regierung auf den Grund und entdeckt an ihnen eine vertraute, fast menschliche Seite. Und genau zu diesem Zeitpunkt verwandelt sich der Film. Von einer Parabel über die Andersartigkeit und den Fremdenhass, hin zu einem action-geladenen Thriller, der beim Schauwert viele seiner Blockbuster-Konkurrenten gnadenlos aussticht.
Vor allem was die Integration der CGI-Effekt angeht, hat Peter Jacksons Weta-Studio Unglaubliches geleistet. Mit viel Gespür für die richtige Komposition entstehen beeindruckende Bilder, die kaum von der Realität zu unterscheiden sind. Auch bei der Erzählweise findet ein Paradigmen-Wechsel statt. Aus einer Pseudo-Dokumentation mit verstörenden Interviews und News-Meldungen wird eine Darsteller-fixierte Erzählung. In diesen action-reichen Sequenzen vermisst man zwar ab und an die subtilen Untertöne des Beginns, doch die Geschwindigkeit und Brachialität gleicht dieses Manko locker wieder aus. Blomkamp gelingt es mit seiner "kleinen" Produktion sogar Schwergewichte wie Terminator 4 auszustechen. Eine wirklich unglaubliche Leistung.
Vor allem der Einsatz der beeindruckenden Alien-Waffen dürfte SciFi-Fans in den Kinositz drücken. Da werden Körper in Stücke gerissen, Häuser zerlegt und Panzerfahrzeuge durch die Luft geschleudert. Stilsicher umgesetzt und in sich schlüssig wird ein prächtiges Arsenal präsentiert, das Action-Fans begeistert. Doch auch die Schauspieler, allen voran Sharlto Copley aka Wikus, sind hervorragend aufgelegt und präsentieren große Gefühle, statt platter Dialoge. Kein Vergleich zu dem unterirdischen Transformers 2 oder der Dumpfbacken-Nummern-Revue G.I. Joe. Großes Kino, für kleines Budget.
District 9 ist ganz sicher nicht perfekt. Gerade im zweiten Teil vermisst man die eher nachdenklichen Zwischentöne, die den Beginn so außergewöhnlich machen. Im Spezialeffekt-Gewitter verliert sich der eigentliche Konflikt. Und auch die Außerirdischen sind im späteren Verlauf in ihrer Umsetzung viel zu menschlich. Sie denken, fühlen und handeln wie wir. Angesichts der Exposition keine nachvollziehbare Entwicklung. Doch das alles ist Jammern auf hohem Niveau.
In der Summe ist District 9 ein tolles Werk, das mit seiner ungewöhnlichen Geschichte und seinen wohldosierten Effekten Zeichen setzt. Neill Blomkamp ist ein echtes Naturtalent, das sich mit seinem Erstling einen Platz in der Filmgeschichte erkämpft hat. Bitte, bitte, gebt Blomkamp noch einmal die Chance, den Halo-Film zu drehen. Mit seiner Vision und der technischen Expertise von Jacksons Weta-Studios kann das Endergebnis nur großartig werden. Bis dahin: Schaut euch Blomkamps beeindruckenden Erstling an, ihr werdet es sicher nicht bereuen.