Der Horror des Spiels - Artikel
Wie Spiele Angst erzeugen und warum der Horror schwindet.
Erinnern wir uns doch einmal kurz an die letzten beiden Konsolengenerationen zurück und vergleichen sie mit dem heutigen Stand, dann fällt schnell auf, dass einige Genres vernachlässigt wurden. Dazu gehört leider auch die große Flut an Horror-Titeln, die uns nach dem Erfolg von Resident Evil 1996 erreichte und knapp eine Dekade anhielt. Danach brach der Markt bis auf einzelne Produkte fast vollkommen ab. Abgesehen von ein paar Indie-Produktionen erwartet uns in den nächsten Monaten mit Silent Hill: Downpour genau ein einziger Genre-Vertreter.
Wodurch dieser plötzliche Wandel? Immerhin wollen wir uns gerne erschrecken lassen und Angst bekommen. Auch im Kino fluten die Zuschauermassen die Säle bei Titeln wie Paranormal Activity, deren Qualität ich an dieser Stelle einmal außen vor lasse. Dennoch zeigt es das generelle Interesse am Schrecken.
Filme wie auch Spiele entwickeln sich weiter, aber bei letzteren bringt diese Entwicklung ein für dieses Medium exklusives Problem mit. Es ist leicht, die Spielmechaniken der vergangenen Generation als schlechtes und vor allem veraltetes Design zu betrachten. Fixierte Kameraperspektiven, Personen, die sich wie ein Panzer steuern, und hakelige Kampfsysteme, bei denen man nie die völlige Kontrolle erreicht. Die großen Angstschweißtreiber des Genres hatten häufig genug mehr als eines dieser Merkmale zu bieten und würden heutzutage von Presse und Käufern gleichermaßen gescholten werden.
Die Kontrollen wurden verfeinert, der Spieler mächtiger, mehr Action kam dazu und so schrumpfte der Gehalt des Horrors. Schnell, aufregend und gut kontrollierbar mussten die Titel jetzt sein, damit hohe Wertungen und Verkaufszahlen eingefahren werden konnten. Immerhin zeigte Resident Evil 4 der Branche den Weg, wodurch sich das Genre immer mehr vom Ursprung entfernte und mittlerweile kaum noch weiß, wie man dem Spieler Angst oder zumindest Panik einflößt.
Denn anstatt den Schauer mit Hilfe des Gameplays zu vermitteln, wird allein auf das audiovisuelle Erlebnis eingegangen. Dead Space und sein Nachfolger eignen sich hier als perfekte Beispiele. Beide Titel schreien geradezu nach Aufmerksamkeit und wollen von der Spielerschaft gefürchtet werden. Doch um das zu erreichen, setzte sich Visceral Games keine Minute mit der inneren Psychologie und der Ursache für Angst auseinander. Dazu gestaltet sich der Aufbau viel zu oberflächlich und spiegelt die Entwicklung der Horror-Filme perfekt wieder. Das Ziel: Schütten wir den Konsumenten mit so vielen furchteinflößenden Bildern, Geräuschen und Schockmomenten zu, wie es die Spielzeit zulässt.
Dead Space ist ein Kind, das möglichst viel Unsinn anstellt, um beachtet zu werden. Dabei scheinen mir die Entwickler eher eine Liste mit festen Punkten abzuhaken, anstatt sich zu überlegen, was ihnen selbst Angst einflößt. Abartige Monster - Check. Literweise Blut - Check. Dunkle Korridore - Check. Laute Schreie und Geräusche - Double-Check. Jumpscares - Check, Check, Check! Nun geben wir dem Spieler noch eine Auswahl an dicken Wummen an die Hand, die weiteren Splatter erzielen und fertig ist das Spiel. Ein gutes Action-Spiel? Vielleicht, aber kein gutes Horror-Spiel.
Obwohl die obigen Stichpunkte in einer guten Kombinationen funktionieren können, verhindert der akute Einsatz der Jumpscares - kurze Schockmomente, durch die ihr wortwörtlich aufspringt - in Verbindung mit dem starken Waffenarsenal sowie der völligen Spielerkontrolle die wahrhafte Angst. Wieso viele Entwickler und auch Filmemacher zu Jumpscares greifen, leuchtet ein. Sie sind einfach zu erstellen und erzielen für den Moment ihren gewollten Effekt. Der Spieler erschreckt sich. Doch hat er auch Angst dabei? Wenn ich weiß, dass nach diesem Augenblick der Überraschung alles wieder in Ordnung ist, worum muss ich mir dann noch Sorgen machen? Eine weitere Gefahr liegt darin, dass sich dieser Effekt mit der Zeit abnutzt und der Zuschauer diese Szenen erwartet.
Aber selbst wenn alles andere stimmen würde, käme durch das Kampfsystem keine richtige Furcht zustande. Dazu funktionieren die Waffen einfach zu gut. Ein paar Schüsse an die richtigen Stellen und schon liegt das Monster am Boden. Zur Not weicht ihr nach hinten aus oder friert den Brocken durch Stasis kurz ein. Was mich allerdings am meisten verwundert, ist die Tatsache, dass man euch die stärkste Waffe im Spiel direkt zu Beginn überreicht. Der Plasma Cutter lässt sich perfekt steuern und ihr könnt damit gezielt Körperteile abtrennen. Die Kontrolle ist der Tod für jegliches Angstgefühl, das außerhalb der gescripteten Schockszenen in euch aufkommen könnte.
Vergleicht die Erfahrung nun mit Resident Evil 4, das als klare Inspiration galt. Auch hier entfernt man sich von dem beklemmenden Horror, doch die panische Angst erfolgt durch einige Kniffe im Gameplay, die selbst groteske Kreaturen nicht erreichen können. Um diesen Effekt zu erzielen, benutzt Serienschöpfer Shinji Mikami zwei Elemente. Zum einen zoomt die Kamera beim Zielen so nah an Protagonist Leon heran, dass ihr nicht sehen könnt, was direkt neben euch passiert. Zum anderen bleibt ihr fixiert an einem Punkt stehen und könnt euch nicht bewegen. Sobald ihr also zum Schießen ansetzt, verliert ihr die Übersicht und werdet mit der ständigen Angst konfrontiert, was gerade um euch herum passiert. Jeden Augenblick könnte der Dorfbewohner seine Mistgabel von der Seite in Leons Brustkörper rammen.
Doch anstatt mit dieser Mechanik zu arbeiten oder den genauen Sinn dahinter zu erfragen, schreit ein Großteil der Käufer nach mehr Kontrolle. Sie wollen den Charakter auch während des Schießens bewegen können. Denn wenn sie stehen bleiben, können sich leichter getroffen oder umzingelt werden. Genau hier liegt die Ursache des Dilemmas. Da Entwickler und Publisher nun einmal gerne ihre Spiele verkaufen möchten, hören sie auf die Beschwerden der Konsumenten und vergessen dabei, die neuen Vorteile des Spielers zu kompensieren, damit der Grad des Horrors erhalten bleibt.
Untersuchen wir in Anbetracht dieser Einstellung nun ein wahres Meisterwerk des Genres: Silent Hill 2. Zuerst möchte ich gerne den Aspekt adressieren, den sicherlich viele für eine leichte Umsetzung halten. Die Gestaltung der Welt, ihrer Charaktere und der Monster, die sie beherbergt. Meine Einstellung, dass es viele für ein simples Unterfangen halten, stammt vor allem von der Betrachtung der letzten beiden Silent-Hill-Episoden. Diese werfen nämlich mit den beliebten Gegnern aus Teil 2 um sich, ohne den Ursprung der Monster verstanden zu haben.
Hinter jedem Feind steckt ein Motiv, das in direkter Verbindung zum Protagonisten James Sunderland steht. Fast jedes Monster spiegelt seine sexuelle Frustration wieder. Hält man sich diese Erkenntnis vor Augen, machen die aufreizend angezogenen Krankenschwestern wesentlich mehr Sinn. Es ist ebenfalls der Grund, warum ihr diese Feinde nicht in Silent Hill 3 findet, da sie nicht zu Heather passen. Hier lassen sich erneut ganz andere Themen wie Essstörungen wiederfinden.
Ebenso zeigen die belanglosen Bereiche der neueren Episoden Room und Homecoming den fehlenden Einfallsreichtum sowie das Missverständnis der Angst. Bis auf die alternative Realität, die durch den wiederholten Einsatz von Stahlwegen gleich bleibt, bot keiner der Titel einen außergewöhnlichen Level. Ihr besucht einen Friedhof, die Kanalisation oder ein heruntergekommenes Gefängnis. Reine Horror-Klischees.
Wieder zurück zum zweiten Teil. Erinnert ihr euch an den Abschnitt mit dem viereckigen Raum, den ihr selbst dreht, oder der unterirdischen Welt, die ihr durch eine surreal lange Treppe betretet? Man spielt mit eurer Wahrnehmung und den Gesetzen der Physik. Es reicht nicht, ein paar standardisierte Monster in euren Weg zu werfen und die Wände mit Blut sowie Gedärmen zu beschmieren. Eine solche Vorgehensweise ist zu offensichtlich und berechenbar.
Aber nicht nur die Welt, sondern auch die Kämpfe in Silent Hill 2 lassen euch weniger Macht, obwohl sie recht simpel gestrickt sind. Nehmt eine Schlag- oder Schusswaffe, richtet sie auf das Monster und vernichtet es. Trotz der einfachen Ausführung könnt ihr leicht getroffen werden. Eure Feinde agieren im Gegensatz zu euch wesentlich schneller, ihr dreht euch sehr langsam und die Steuerung verhindert eine schnelle Flucht in brenzligen Situationen. Seien wir also ehrlich und sprechen die Wahrheit aus. Das Kampfsystem von Silent Hill 2 ist eigentlich ein Krampf. Im Kontext des Genres funktioniert es aber genau deswegen so wunderbar. Die Steuerung entzieht euch die Kontrolle und durchzieht eure Gliedmaßen mit panischer Angst, sobald ein neues Monster erscheint.
Der Machtverlust und die Ungewissheit über euer Schicksal spielen eine zentrale Rolle. So habt ihr im Uhrenturm überhaupt keine Waffe und könnt euch lediglich vor dem unbesiegbaren Feind verstecken und hoffen, dass er euch nicht sieht. Glaubt mir, euer Herz wird selten so schnell schlagen, wenn ihr durch die Schlitze in einem Spint blickt und dahinter das Monster seht, das euch mit einem Schlag tötet. Ihr seid völlig wehrlos und könntet im Zweifelsfall nicht einmal mehr fliehen, da ihr in der Falle hockt.
Project Zero bedient sich derweil an einem anderen Trick. Obwohl ihr die Geister im Spiel besiegen könnt, erledigt ihr die Aufgabe mit einer Kamera, durch die ihr jedes Mal in der Ego-Ansicht schauen müsst. Je näher ihr dem Wesen gegenüber steht, desto höher ist der Schaden bei einem Foto. Man zwingt euch also gegen eure Instinkte anzutreten, um die Wesen zu vernichten. Solch eine Form der Angst kann nur in einem Spiel erschaffen werden. Ihr könnt nicht einfach die Augen schließen oder vorspulen, sondern müsst eure Furcht überwinden.
Jetzt meinen viele sicherlich, dass sich so ein Konzept in der modernen Spielentwicklung nicht mehr realisieren ließe und die Konventionen alter Tage schlichtweg zu umständlich geraten seien. Ein solches Projekt rentiere sich nicht mehr, da die Leute etwas anderes wollen. Und woher stammt diese Einstellung? Hat sich das Genre wirklich durch den veränderten Geschmack entwickelt oder geschah der Umbruch doch eher durch die Entwickler selbst, die sich den Erfolg der pompösen Action-Titel zum Vorbild nahmen und sich nun nicht mehr an ein Horror-Spiel der alten Tagen wagen? Serien-Urgesteine orientieren sich immer mehr an den Vorgaben des Mainstreams, da sie einen Flop befürchten.
Daher ist es schwer zu sagen, wie sich ein Silent Hill 2 oder Project Zero im Jahr 2012 verkaufen würde. Als kleinen Indikator kann man Amnesia: The Dark Descent betrachten, das alleine durch Mundpropaganda im Internet bisher über 400.000 Verkäufe erzielte und sogar einen Nachfolger erhält. Welche Zahlen würde man also erreichen, wenn ein großer Publisher mit einem angemessenen Marketing-Budget dahinter stehen und es zudem auf Konsolen veröffentlichen würde? Eine genaue Antwort auf diese Frage kann sicherlich niemand liefern, doch eines steht fest: Die Leute lieben Amnesia und das obwohl der Hauptcharakter keine Waffen besitzt und sich vor den Monstern verstecken muss. Es zeigt den Weg zurück zum Ursprung des Genres und dass wir immer noch dazu bereit sind, uns machtlos durch ein beklemmendes Abenteuer zu bewegen.
Aber ist es auch möglich, den Horror mit Action zu verbinden, ohne dass wir bei einem Dead Space landen? Ich denke schon, denn erst kürzlich hat ein Titel ein Kampfsystem demonstriert, das sich meiner Meinung nach perfekt dafür eignet. Alan Wake's American Nightmare bietet in seinen Kämpfen eine Grundlage mit außerordentlich viel Potential. Bevor ihr mich jetzt schräg anschaut, spielt zumindest die Demo oder schaut euch ein kurzes Gameplay-Video an.
Ja, auch Alan kann beim Zielen gehen und besitzt nun sogar noch stärkere Waffen. Allerdings kompensiert Entwickler Remedy diese Eigenschaften mit einigen Faktoren. Eure Feinde erscheinen zahlreich und verhalten sich ziemlich clever. Laufen die dicken Brocken nur langsam auf euch zu, umkreisen euch die schnelleren Feinde von mehreren Seiten. Ihr müsst also ständig in Bewegung bleiben, um nicht überrannt zu werden. An dieser Stelle setzt das nächste Element ein.
Alan besitzt zwar die Möglichkeit zum kurzen Sprint, dennoch ist er langsamer als die schnellen Widersacher und gerät zudem recht zügig außer Atem. Ebenso bietet das Ausweichen einen kleinen Nachteil. Attackieren euch nämlich zwei Feinde gleichzeitig, erwischt euch der zweite Angriff trotzdem. Ihr müsst also ständig fliehen und dabei die Anzahl der Feinde dezimieren, um eine Chance zu haben.
Dazu gesellt sich die Kernmechanik der Gefechte. Bevor einer der sogenannten Taken überhaupt verwundbar wird, müsst ihr ihn für eine gewisse Zeit mit eurer Taschenlampe bestrahlen. In diesem Moment zoomt die Kamera ganz nah an Alan heran und der Panikfaktor verdoppelt sich. Wie lange könnt ihr noch auf den Feind strahlen, ohne von seinem Kollegen getroffen zu werden? Und wo befindet sich dieser überhaupt? Stand er nicht eben noch neben ihm? Während eines Kampfes schießen diese Gedanken ständig durch euren Kopf. Trotz einer völligen Kontrolle der Figur fühlt ihr euch wegen des Konflikts zwischen panischer Flucht und aggressivem Vorgehen niemals als Herr der Lage.
Vermischt das Kampfsystem nun mit dem psychologischen Horror eines Silent Hill 2, um einen modernen Schocker zu erhalten. Ich möchte damit nicht ausdrücken, dass dies ein leichtes Unterfangen wäre. Das richtige Ergründen der Angst benötigt viel Zeit. Es reicht nicht aus, oberflächliche Horror-Klischees auf den Spieler zu jagen, um damit den großen Terror zu erzielen.
Es gibt Möglichkeiten, die Angst auch in dieser Generation umzusetzen. Horror ist nicht tot, sondern befindet sich lediglich in einer Identitätskrise, nicht zuletzt geschaffen durch die Erwartungshaltung und Vorgaben moderner Spieler. Alles was jedoch eigentlich nur fehlt, ist ein erfolgreiches Produkt, das die Konventionen erneut auf den Kopf stellt und den Weg in eine schaurige Zukunft ebnet.