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Der Tod kam mit dem Patch - Wasteland 2

Early Access birgt viele Risiken. Vor allem für eine kleine Gruppe von Rangern.

Die Diskussionen um Spiele herum machen Spaß. Sollte Wasteland 2 zum Beispiel ein automatisches System für Heilung haben, bei dem die Charaktere über die Zeit ihre Punkte regenerieren oder nicht? Sollten Heil-Items allein ausreichen oder nicht? Die Dynamik dieses Spiels ändert sich dadurch ohne Frage drastisch. Wie drastisch, das konnten frühe Einsteiger live ausprobieren. Vielen erschien das System bis vor kurzem noch viel zu vergebend, nun hat es sich komplett gedreht und jedes Item für Heilung ist sein Gewicht in Gold wert. Mit der fortschreitenden Diskussion und dem nächsten Patch kann es schon wieder anders aussehen.

Wie gesagt, diese Überlegungen sind unterhaltsam und es live auszutesten, was wohl der richtige Weg sein könnte, auch. Aber sollte dieses Privileg 45 Euro kosten? Das ist eine ganz andere Frage und ehrlich gesagt, ich ganz persönlich denke, dass dieser Preis außerhalb des Rahmens von Kickstarter, wo inhärent ein gewisser Pioniergeist und Mut gefragt ist, zu hoch ist. Betatester bei regulären Publishern verdienen teilweise Geld, oft gibt es den Zugang zumindest für die Dauer der Betaphase umsonst, aber dass ein solcher Preis bezahlt werden muss, ist ungewöhnlich und war bisher eigentlich unausgereiften Titeln wie dem letzten SimCity vorbehalten. Diese wurden dann dafür auch zu Recht abgestraft. Wenn ich jetzt also fair bin, muss ich wohl das gleiche Maß bei Wasteland 2 ansetzen. Dieses Spiel ist derzeit nur bedingt die 45 Euro wert, was auf dem PC immerhin Vollpreis bedeutet.

Alter Look ja, aber kein Stück veraltet.

Dass ihr für so viel Geld die Deluxe-Version kauft, ist ja auch ganz nett, nur leider existiert halt von den Bonus-Inhalten noch nicht sonderlich viel. Wasteland 1 könnt ihr herunterladen. Das ist bezaubernd, aber weder Artbook, noch Soundtrack noch sonst etwas ist bisher erhältlich. Stattdessen erledigten sich meine ersten Spielstände mit dem großen Update kurz vor Weihnachten und meine neuen Helden dürfen sich nun mit einer so stark veränderten Dynamik herumschlagen, dass ich fast den Eindruck habe ein anderes Spiel zu spielen. Ihr müsst also hart im Nehmen sein und solltet ihr mit einem Spielebudget arbeiten, in dem ihr jeden Euro zweimal umdrehen müsst, dann wäre ich hier vorsichtig.

Alles wie immer in den Ruinen.

Soweit die Warnung und der Zweifel an der Sinnhaftigkeit des sehr frühen Early Access, das Spiel dahinter ist das, was man erwartet hat. So sehr, dass ich fast ein wenig enttäuscht bin. Es wieder mal wie das nächste Album der Lieblingsband. Man will, dass sie genau das machen, was man von ihnen bisher mochte und ist dann doch geknickt, wenn sie gar nichts riskieren und wirklich genau das noch mal abliefern. Aber hier ist es ja Teil des Programms, es ist, was angekündigt war und mit dieser Prämisse verkauft wurde. Also freut euch, hier ist das echte dritte Fallout, das es nie gab.

Nach der Katastrophe auch noch von Killertomaten überrannt, da sind die Nerven halt etwas dünn.

Es ist mal wieder nach der Katastrophe und den Bomben und dem Fallout und dem nuklearen Winter und nachdem die Tore der Bunker aufgingen und die Zivilisation zurück ins fahle Licht krabbelte. Räuberische Banden, Mutanten und die Umwelt selbst sind darauf aus, alles zu töten, was sich bewegt, und nur ihr und ein kleiner Trupp von Rangern sorgen dafür, dass nicht gleich alles erneut den Bach runtergeht. Man kennt das Szenario, es ist so alt wie die Bombe und es hat wenig von seinem Biss verloren. Vor allem, wenn es wie hier mit genug schwarzem Humor in Textform garniert wird. Delikate Ausführungen über blutige Exzesse, atomar verseuchte Karnickel und Pudel und natürlich der Fakt, dass jeder nach der Apokalypse ein Kesselflicker-Flucher ist, sorgen für den richtigen Verve in den Wastelands. Nur weil es das Ende der Welt ist, muss man ja nicht gleich todernst sein.

Es ist dieser Charme, der einen auch nach 25 Jahren noch den Mut behalten lässt, selbst wenn es gegen Megamaden und Supafliegen geht, denen die Möglichkeiten des Kampfsystems ziemlich egal sind. Während menschliche Gegner gerne auch mal in Deckung gehen und erwarten, dass ihr euch aus ebensolchen an sie heranpirscht, stürzen sich Mutanten jeglicher Art und Gattung direkt auf euch, sodass es häufig zu einem ziemlich direkten Wild-West-Stand-off verkommt. Beide Seiten stehen sich in freier - sehr kurzer - Linie gegenüber und tauschen strikt rundenbasiert ihre Munition aus. Überbewerten sollte man die Deckung aber auch nicht, im Gegenteil. Derzeit bringt sie euch mehr Nachteile, da die Feinde gar nicht daran denken dahinter hervorzukommen und stattdessen lieber auf eine zweiprozentige Trefferchance hoffen. Wer zuerst keine Muni mehr hat, kommt raus und muss in den Nahkampf.

10 SAVE, 20 FIGHT, 30 GOTO 10

Die Chancen, dass ihr das seid, stehen hoch, denn bei der derzeitigen Loot-Verteilung ist Wasteland 2 ein verdammt harter Survival-Test mit vielen, vielen Speicherständen. Nicht, dass es nicht stabil laufen würde, das tut es zum größten Teil, aber nachdem vor dem Weihnachtspatch alles dank automatischer Heilung nach Kämpfen ein wenig zu glatt lief, ist derzeit jegliche Heilung über die Zeit abgeschaltet. Während man im Original wenigstens herumlief und mit ein wenig Glück bei den Zufallsbegegnungen ganz gut über die Runden kam, muss man aktuell mit jedem Heil-Item haushalten. Viele davon gibt es eh nicht, finden tut ihr noch weniger und haben tut ihr anfangs praktisch nichts. Es bewegt sich sehr hart an der Grenze zu schlicht unfair und zwar insoweit, dass euch schon eine ungünstig gewählte Reihenfolge der möglichen Missionen zum Start arg in Probleme bringen kann. Zur Auswahl stehen eine Forschungsbasis voller mutierter Pflanzen und ein Dorf, das von Räubern überfallen wird. Ich kann nur sagen, nehmt die Räuber. Nur so habt ihr wenigstens genug Munition für die Pflanzen, die natürlich keine solche als Loot zurücklassen. Auch schaltet ihr einen Arzt frei, zu dem ihr euch zurückziehen könnt, sollte es nötig sein. Und lasst jeden eurer Helden zumindest ein wenig von Heilung verstehen, sonst sieht es ganz, ganz düster aus. Dieser Zustand ist mit ziemlicher Sicherheit nur temporär, vielleicht nur bis zum nächsten Patch, aber war es zuvor zu einfach, schlägt das Pendel nun definitiv in die ganz andere Richtung um.

Dass die Ranger nicht nur Freunde haben, lernt ihr aus solch gut geschriebenen Texten.

Das Spiel läuft dafür nunmehr etwas performanter als direkt nach dem Start und präsentiert seine wirklich detaillierten und hübschen Umgebungen in recht stabilen 25 Frames pro Sekunde. Das ist sicher nicht der finale Stand, aber wenigstens ruckelt es schon mal nicht mehr ganz so erbärmlich. Die Details sind aber nicht nur grafischer Natur und hier zeigt sich die alte Schule fast noch mehr als nur im Rundenkampf: Die Texte sind nicht nur gut geschrieben und von morbidem Humor durchzogen, sondern auch ausgesprochen zahlreich. Es gibt Räume, in denen es zwar nichts zu tun gibt, aber ein Dutzend Dinge anguckbar sind und zu allen hält das Spiel seinen kleinen Kommentar bereit. Ich gebe zu, es hätte gerne auch öfter mal was zum Looten geben dürfen. Denn bei der derzeitigen Extremmangelwirtschaft will man nicht lesen, was das für lustige Pflanzen sind, sondern dass sie 20 Trefferpunkte heilen.

Ein Plan darf nie zu kompliziert sein.

Die vorgefertigten Charaktere schlagen in die gleiche Kerbe, das Spiel und wahrscheinlich Brian Fargo persönlich erwartet aber insgeheim mit diesen Beispielen nur, dass ihr folgt und bei der detaillierten Erschaffung die gleiche Liebe an den Tag legt. Zahlreiche Werte sind eine Sache - und ihr bestimmt sie alle selbst und sie alle werden scheinbar einen Sinn haben -, eine gute Hintergrundgeschichte eine ganz andere. Warum habt ihr einen chinesischen, kettenrauchenden katholischen Ranger im Dropdown zusammmengeklickt? Wer ist der Kerl eigentlich? So etwas zu wissen, macht das Spiel mit den zahlreichen und sehr geschwätzigen NPCs gleich noch mal lebendiger. Wasteland 2 gelingt der Balanceakt zwischen diesen netten Zügen der alten Garde und einem Gefühl, dass es eben nicht nur ein 'altes' Spiel neu aufgelegt ist, ziemlich gut.

I will be back! Und dann wird's anders laufen.

Trotzdem solltet ihr immer noch mit Vorsicht an die Sache herangehen. Wasteland 2 läuft halbwegs flüssig, meistens stabil und da ein altmodisches Rollenspiel versprochen wurde, kann man auch sicher sagen, dass geliefert wird, was draufsteht. Ihr bastelt eure eigene Party, habt gewisse Freiheiten in der Spielwelt, habt Optionen in den Gesprächen und genug taktische Möglichkeiten in den rundenbasierten Kämpfen. Dass noch nicht alles an Inhalten da ist, lässt sich für den Moment verschmerzen, aber die aktuelle Balance ist ein wirklich harter Brocken, selbst nach Old-School-Maßstäben. Das kann sich ändern, sehr wahrscheinlich wird es sich sogar ändern. Aber wie und ob es dann nicht wieder zu einfach oder ganz anders abläuft, lässt sich derzeit nicht sagen. Daher und für den Moment wäre ich angesichts des Preises, der generell für ein Spiel dieser Art eine ganz schön heftige Ansage ist, vorsichtig.

Sowie die nächsten großen Updates erschienen sind, werde ich mir Wasteland 2 erneut vornehmen und über die Änderungen und Features berichten.

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Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
In diesem artikel

Wasteland 2

PS4, Xbox One, PC, Mac

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