Detroit: Become Human - Auch Kara kann sterben
In Quantic Dreams interaktiven Spielfilm soll jede noch so kleine Entscheidung eine Konsequenz haben.
"Im Jahr 2012 haben wir eine Tech-Demo für die PlayStation 3 erstellt, in der wir die Fähigkeiten unseres Motion-Capturing-Verfahrens präsentieren wollten. Es ging darin um Kara, einen weiblichen Androiden, der nach dem Zusammenbau in der Fabrik beginnt, ein Selbstbewusstsein und Emotionen zu entwickeln. Das Video wurde millionenfach aufgerufen und immer mehr Menschen wollten wissen, wie es mit Kara denn nun weitergeht. "Das war der Startschuss für Detroit: Become Human", erklärt mir David Cage, Gründer des französischen Studios Quantic Dream, im Gespräch.
Cage hat dann in den letzten fünf Jahren ein Szenario entworfen, das sich mit einer zukünftigen Gesellschaftsform beschäftigt, in der die Herstellung von Androiden ein Massengeschäft ist und die äußerlich von Menschen kaum zu unterscheidenden Kunstwesen als Haushaltshilfe, Beamte oder Arbeiter ein fester Bestandteil des täglichen Lebens geworden sind. Aber wie schon die filmischen Vorbilder, etwa Blade Runner oder I, Robot, thematisierten, ist es um die schöne Zukunft mit makellosen und attraktiven iAndroiden nicht so gut bestellt, wenn die Wesen ihrer Programmierung entfliehen und anfangen, sich so ihre eigenen Gedanken zu machen.
In dem interaktiven Spielfilm in Hochglanzoptik übernehmt ihr abwechselnd die Rolle der Androiden Connor, Markus und Kara und bestimmt in abgeschlossenen Szenen den weiteren Werdegang der Menschmaschinen. Dabei bekommt ihr es Quantic-Dream-typisch mit kreativen Quick-Time-Events und reichlich schweren Entscheidungssituationen zu tun, deren kurzfristige und vor allem langfristige Konsequenzen auf die Geschichte kaum abzusehen sind. Zwei spielbare Demos haben die Franzosen bereits gezeigt: Die Geiselnahme-Mission, in der der kühle Connor, der für die Polizei Androiden-Abweichler jagt, als Unterhändler einen emotional angeknacksten Babysitter-Androiden beruhigen soll sowie einen Abschnitt mit Markus, dem Anführer der aufkeimenden Maschinenrevolution.
Auf der Sony Pressekonferenz im Rahmen der Paris Games Week bekam nun auch Kara ihren großen Auftritt. Und der hatte es in sich, denn mit häuslicher Gewalt und sogar dem Mord im Affekt am eigenen Kind, verlassen die Entwickler von Quantic Dream bewusst die Komfortzone abstrakter Pixelgewalt und packen ein unangenehm realistisch inszeniertes Missbrauchsthema an. Ich konnte mir den Spielabschnitt im Nachgang der Pressekonferenz genauer anschauen und einige Alternativen zu dem im Trailer gezeigten, enorm deprimierenden Kindsmord-Ende erleben.
Kara arbeitet in einem heruntergekommenen Viertel von Detroit als Haushaltshilfe bei dem alleinerziehenden Vater Todd Williams. Ein echter Unsympath, der wegen eines Androiden seine Arbeitsstelle verlor, von der Frau verlassen wurde und sich daraufhin in Selbstmitleid und Drogenkonsum flüchtet und den aufgestauten Frust an seiner Tochter auslässt. Wenn die kleine Alice mit angsterfüllten Augen Kara anschaut und sie anfleht, etwas gegen den brutalen Vater zu unternehmen, ist das in etwa so subtil, wie ein Vorschlaghammer auf den Kopf, aber eben auch äußerst effektiv in Szene gesetzt.
Als Todd dann nach einem erneuten Wutanfall die Treppe zum Kinderzimmer hochgeht, um Alice "Manieren beizubringen" zieht sich bei mir der Magen zusammen. Ganz besonders wohl, weil ich selbst Vater bin und der Gedanke an das Folgende für mich schlicht unerträglich ist. Sei es drum, an genau dieser Stelle könnt ihr in der Rolle von Kara eingreifen. Oder auch nicht eingreifen und ein braver Android sein, der einfach nach Befehl stumm und still an einem Fleck stehen bleibt. Das Resultat ist allerdings wenig erfreulich und endet mit dem Tod von Alice.
Entscheidet ihr Euch, und das dürfte die wahrscheinlichste Variante sein, etwas zu unternehmen, wird der Ausbruch aus der Programmierung clever visualisiert, in dem ihr eine symbolische Wand durch das wiederholte Drücken einer Taste durchbrechen sollt. Was nun folgt, bleibt vollkommen euch überlassen. Ihr könnt den Dialog mit Todd suchen und ihn versuchen, zur Räson zu bringen oder Alice in Schutz nehmen und gemeinsam die Flucht antreten. Überredungskunst bringt leider keinen Erfolg, zumindest nicht bei den von mir gewählten Dialogoptionen, und so muss Kara versuchen, sich aus dem Haus zu schleichen oder auf direkten Konfrontationskurs zu gehen.
Dieser gipfelt in einer wilden Prügelei, bei der ihr immer wieder den Schlägen des körperlich überlegenen Todd ausweichen müsst. Verpasst ihr ein paar der Quick-Time-Events, endet das Handgemenge möglicherweise sogar mit dem Tod von Kara. Eine Option, auf die Cage ausdrücklich hinweist. Jeder der drei Protagonisten kann das Zeitliche segnen, ohne dass ihr einen Game-Over-Bildschirm zu sehen bekommt. Es geht dann eben ohne einen lieb gewonnenen Charakter weiter.
Mit ein bisschen Geschick beim Tastendrücken kommt es aber nicht so weit, Kara flieht mit Alice aus dem Haus und die Szene endet mit einer Busfahrt ins Ungewisse. Nur eine von einer Vielzahl an Möglichkeiten, wie der Kara-Abschnitt verlaufen und enden kann. Habt ihr euch zu Beginn mehr um Alice gekümmert und dem angsterfüllten Mädchen genau zugehört, habt ihr einen Schlüssel bekommen. Wenn ihr dann noch das Haus durchsucht und die Schublade gefunden habt, zu der der Schlüssel passt, könnt ihr einen Revolver an euch nehmen und Todd einfach umlegen.
Welche Auswirkungen diese Aktion auf die Geschichte haben wird, wollte mir Cage nicht verraten. Aber ich bin mir sicher in seinem 2000-Seiten-Skript findet sich auch da eine passende Story-Verzweigung. Am Ende bekommt ihr einen Bildschirm mit einer enorm weit verzweigten Struktur zu sehen, in der alle möglichen Handlungsoptionen und ihre Konsequenzen akribisch aufgeführt sind. Wenn euch euer eigens Vorgehen suboptimal erscheint, spielt ihr eben noch einmal. Kann man machen, wird aber vom Autor und Creative Director in Personalunion David Cage ausdrücklich nicht empfohlen.
"Wir hatten lange Diskussionen bei uns im Team, wie wir den Spielablauf schlussendlich gestalten werden. Wenn es nur nach mir gegangen wäre, hätten wir im ersten Durchlauf nicht die Möglichkeit gegeben, eine Szene zu wiederholen, andere Entscheidungen zu fällen, nachdem die Konsequenzen des Handelns zu erkennen sind. Wir haben uns aber doch entschlossen, dass jeder Spielabschnitt beliebig oft wiederholt werden kann, weil wir den Fans einfach nicht vorschreiben wollten, wie sie zu spielen haben. Meiner Meinung nach aber sollte der Spieler zuerst seine individuelle Geschichte erleben, egal ob er gute oder vielleicht auch schlechte Entscheidungen getroffen hat und dann, in einem zweiten oder dritten Anlauf, andere Variationen ausprobieren und zu schauen, wie die Geschichte dann weitergeht."
Bei Heavy Rain bin ich der Empfehlung gefolgt und habe meine eigene Geschichte geschrieben, was ich wirklich nicht bereut habe. Ich denke ich werde es auch genauso bei Detroit: Become Human machen, einfach dem Bauchgefühl folgen und mich überraschen lassen, was für Story-Wendungen und ungeahnte Konsequenzen auf mich zu kommen. Dass bei der Rahmenhandlung um künstliche Intelligenz und Moral auch unbequeme Themen aufgegriffen werden, macht mich nur umso neugieriger.
Entwickler/Publisher: Quantic Dream / SonyErscheint für: PS4 - Geplante Veröffentlichung: 2. Quartal 2018 - Angespielt auf Plattform: PS4