Deus Ex: Mankind Divided perfektioniert die vertraute Formel
... und denkt nicht einmal an Kompromisse.
Wie schnell zwei Stunden rumgehen können, merkt man dieser Tage akut, wenn man Fallout 4 spielt. Fast meint man, man hätte nichts geschafft, wenn man 120 Minuten später mal wieder auf die Uhr schaut, einfach, weil so viel zu tun ist und eine Menge sich gegenseitig bedingender Systeme auf einen einprasseln. In Deus Ex: Mankind Divided, das ich bei Square Enix in Hamburg für den gleichen Zeitraum anspielte, waren zwei Stunden ebenfalls nicht viel wert und lagen immens schnell hinter mir. Nur dass ich hier das Gefühl hatte, deutlich mehr erlebt und erledigt zu haben.
Die Unterschiede liegen auf der Hand, selbst wenn man nur die jeweiligen Vorgänger dieser Spiele kennt. Fallout setzt auf die Breite einer erschlagend großen Welt, während Deus Ex nicht erst seit Human Revolution auf eine hohe Interaktionsdichte überschaubarer offener Hubs angewiesen ist. Mankind Divided macht genau da weiter und warf mich nach einem (erstaunlich kniffligen) Tutorial in einem niemals fertig gestellten Wolkenkratzer eines zerstörten Dubai in die Prager Innenstadt, um ein altes Theater zu infiltrieren. Hier patrouillieren Wachen, mehrere Mechs und Überwachungskameras lassen ihren Blick über taktisch relevante Passagen kreisen. Drei von Square Enix vorgefertigte Adam-Jensen-Versionen machen deutlich: Hier spielt einmal mehr jeder, wie er mag.
Diese Sorte Unter-Level inmitten eines übergeordneten Städte-Hubs, wie Prag bestätigterweise einer sein wird, kennt man aus dem direkten Vorgänger Human Revolution. Er ist ein in sich verschachteltes kleines Kunstwerk, randvoll mit versteckten Wegen, Schächten, Sollbruchstellen an Hinterhofwänden, unbeaufsichtigten Baugerüsten aufs Dach und Türen, die man öffnen kann, wenn man nur das richtige Terminal hackt. Jeder sucht sich seinen eigenen Weg hier hindurch. 28 Augmentations-Kategorien in drei bis vier Ausbaustufen lassen jede erdenkliche Infiltrationsschule zu. Wer den Rambo gibt, steckt schon früh Praxis-Punkte in die Titan-Fähigkeit, die feindliche Kugeln zum Frühstück verspeist, und Jensen bei Treffern mit einem biestig-wabernden Kristall-Effekt versieht. Weitere Punkte wandern in eine Zeitlupe und in Sachen Munition bringt man neben normaler, mannstoppender Kaliber, EMP und Panzerbrechendes mit, um auf jeglichen Widerstand vorbereitet zu sein.
Oder aber, man macht mit vorübergehender Unsichtbarkeit und gedämpften Sohlengeräuschen einen auf Leisetreter und erhält seine Erfahrungspunkte eher für das unentdeckte Umgehen ganzer Passagen und das Entdecken geheimer Durchgänge (an deren Ende immer noch oft genug nette Fundstücke von Waffen bis hin zu Terminals warten, die man sonst nie erreicht hätte). Der Weg dazwischen ist für überwiegend lautlose aber dennoch tödliche Killer da und jede Spielphilosophie bedient sich zu unterschiedlichen Graden dem Hacken von Terminals - erneut in dem wunderhübsch gestalteten Minispiel mit der Knotenpunktübernahme - und feindlichen Apparatschaften. Zwangsneurotiker, die in jedem Level alles sehen müssen, finden in Deus Ex je nach Auslegung ihr persönliches El Dorado oder Pearl Harbor, so viele Zeitungsartikel, Emails und Möglichkeiten für perfekte Durchläufe gibt es. Und natürlich sollen auch die neuen Endgegner auf jede erdenkliche Art zu bezwingen sein.
Ich jedenfalls fühlte mich direkt wieder zu Hause, wenn man mal davon absieht, dass 40 Stunden Fallout 4 ihren Stempel auf meinem Muskelgedächtnis hinterlassen haben: Zu Beginn starb ich nicht, weil die Steuerung schlecht oder irgendwie neu gewesen wäre, sondern weil Vorgänge wie Looten, In-Deckung-gehen und sprinten schlicht auf anderen Tasten lagen. So oder so: Hier war schon im einleitenden Waffendeal klar, den Jensen im sandgestrahlten Gerippe der Wüstenmetropole sprengt, dass man sich um eine etwaige Herunterdummung der etablierten Systeme keine Gedanken machen muss.
Geändert wurden nur Aspekte, die den Spielfluss fördern, etwa, dass man nun wie in Crysis per Tastendruck auf seine Waffe hinabblickt, um sie noch im laufenden Gefecht mit anderer Munition, Visieren oder anderen Aufsätzen auszustatten, anstatt ein separates Menü aufzusuchen. Andernorts kann man per Fern-Hacking-Augmentation Überwachungskameras aus dem Spiel heraus hacken, während man sich noch frei bewegt und man womöglich auf einen Feind zu schleicht. Das ist in ein cleveres Rhythmusspiel eingebunden, das oben rechts eingeblendet wird. Ein Balken wandert auf einer Leiste mit drei Zielbereichen von links nach rechts und zurück. Drei Mal an der richtigen Stelle gedrückt, und die Kamera macht für eine kurze Weile ein Nickerchen. Das funktionierte im Praxistest ausgezeichnet und ermöglicht es, mit einiger Eleganz auch auf brenzlige Situationen zu reagieren. Eine Kamera schaltete ich für wenige Sekunden ab, näherte mich dennoch geduldig der Wache darunter, um sie zu betäuben und zog sie aus dem Blickfeld des Überwachungsgeräts, bevor es wieder ansprang. Ich kam mir sehr cool dabei vor.
Und Coolness spielt bei aller nerdigen Power-Fantasy durchaus eine Rolle. Durch das gläserne Dach mit einer Superheldendruckwelle in den Saal hinabzukrachen, per Typhon-Granaten alles im Umkreis von drei Metern zu plätten und dann im Lüftungsschacht Richtung Missionsziel zu verschwinden war zwar kein Eintrag fürs Mission-Impossible-Lehrbuch, aber eine schöne Abfolge spontan toll kombinierbarer Fähigkeiten, mit denen man seine eigene Marke Chaos stiftet.
Ebenfalls nett fand ich, dass die Energieleiste für den Fähigkeitengebrauch nun nicht mehr mehrgliedrig ist, sondern fließend. Auch lädt sich großzügigerweise ein kleiner Anteil davon recht flott von selbst wieder auf. Zu einfach wird es trotzdem nicht, denn sie leert sich gefühlt etwas schneller, als noch zuvor. Gerade, wenn man die visuell fantastisch umgesetzte Röntgensicht nutzt, an der man sich eigentlich nicht sattsehen kann. So wirkt Deus Ex ein bisschen dynamischer und weniger starr in der Ökonomie seiner Ressourcen. Ewiges Ausnutzen der Cyborg-Skills spielt ebenso wenig eine Rolle, wie lange Regenerationsphasen, in denen wenig bis gar nichts passiert. Nett.
Was noch besser werden muss, sind die üblichen Kandidaten in dieser Sorte Spiel ein paar Monate vor Release. Auch wenn Square Enix bezeugt, dass sich alle Spielweisen gleich gut anfühlen sollen, ist mir der das Handling der Waffen noch etwas zu drucklos, weil vor allem die Gegner Treffer nicht so effizient vermitteln. Die Kreuze im Heads-up Display sollen das offensichtlich übernehmen, werden aber von der Physik, den Sounds und den Animationen der Waffen ein bisschen im Stich gelassen. Man merkt daran, dass Deus Ex: Mankind Divided im Herzen ein Rollenspiel ist, was in gewisserweise sehr beruhigend ist, macht es aber noch lange nicht zu einem besseren Shooter. Doch das ist eine Frage von Nuancen, die sich in den kommenden Wochen und Monaten noch nachhaltig und umfassend ändern können und vermutlich auch werden.
Das gilt ebenso für Interaktionspunkte, die nicht immer wie erwartet oder in dem gewünschten Tempo auf meine Eingaben reagierten. Deckung, Nahkampfattacken und Umgebungs- sowie Gegenstandsinteraktionen waren hier und da noch etwas wackelig implementiert. Auch diese Interface-Fragen sind wiederum Spielanteile, an denen zweifellos unter Hochdruck gearbeitet wird und die in der Regel erst auf den letzten Metern einer Spieleentwicklung perfektioniert werden. Keine Sorgen muss man sich unterdessen um die Grafik machen. Die ist dieses Mal nicht nur gestalterisch, sondern auch technisch auf der Höhe der Zeit. Golden funkelndes Lichtspiel und wunderbar plastische Texturen erheben erstmals ein Spiel dieser Reihe den Status des hässlichen Entleins hinaus.
Mankind Divided genießt den Luxus, nicht noch einmal einen überalterten Klassiker in die Moderne hieven zu müssen. Eidos Montreal hat bereits 2011 eine sehr ausgereifte Schablone dafür entworfen, wie ein zeitgemäßes Deus Ex aussehen muss. Daher überrascht es wenig, wie sicheren Fußes sie sich erneut durch dieses so vielgesichtige Zukunftsszenario bewegen. Das hier ist, wie schon der Vorgänger, genau das, was man von einem Spiel dieses Namens erwartet. Es ist erstaunlich wie einfach die Kanadier aussehen lassen, was man sich vor Human Revolution nur so schwer vorstellen konnte. Ich würde euch raten, behaltet es unbedingt im Auge. Aber darauf seid ihr hoffentlich auch ohne mich schon gekommen.