Deus Ex: Mankind Divided ist ein rundum verbesserter Nachfolger
(Invisible) War in dieser Serie nicht immer so.
Mit Deus Ex: Mankind Divided, dem zweiten in Square Enix' Montreal-Niederlassung entwickelten Teil, fühlte zumindest ich mich irgendwie an die Situation mit Invisible War erinnert. Wenn man so will, haben wir nach Human Revolution hier den zweiten "zweiten Teil", und was tun die Leute mit zweiten "zweiten Teilen", nachdem der erste erste und zweite "erste Teil" fantastische Spiele waren? Nun, der Druck wird nicht weniger, weshalb es eine Freude ist, dass Mankind Divided zumindest in den anfänglichen Stunden, die ich kürzlich erlebte, keine Abstriche macht.
Hat hoffentlich auch niemand vermutet, schließlich gelangte Ion Storms Invisible War aus anderen Gründen in halbe Steillage. Es gilt heute noch als Schaubild, für beinharte Traditionalisten sogar als Mahnmal dafür, wie Konsolenentwicklungen dem PC als Bremsklotz am Knöchel hängen können. Abgesehen davon und unter Ausblendung des allerersten Deus Ex war Invisible War trotzdem ein gutes Spiel, das ich zu lange nicht mehr einlegte. Und zwar die alte, unveränderbare Xbox-Version ohne Mods, jaha.
Zurück zu Mankind Divided, das euch von Beginn an in Wohnungen einsteigen lässt, wie ihr lustig seid und wie die Hacking-Kenntnisse reichen. Das heißt, nach einer alten Metroid-Nummer, in der Hauptcharakter Adam Jensen seine ihm im Tutorial - ein im Bau befindliches Hotel in Dubai - noch zugänglichen Implantate bei einer Explosion in Prag verliert. Das ist Squares Begründung, euch nach einer etwa halb- bis einstündigen Einführung mit vielen großen Räumen und vielen Gegnern direkt nach der Ankunft im ersten Hub den ganzen Krempel wieder aus den Taschen zu leiern. Bei dem Thema fällt mir immer der Holzhammer Gothic 2 ein, wo der Protagonist kurz unter Trümmern liegt und dabei alles verlernt, anschließend also nicht einmal mehr einen Knüppel in die Hand nehmen kann.
Deus Ex ist da subtiler. Es erdet Jensen durch diese Beschränkungen und beginnt natürlich mit einer Mission, einen freakigen, von Mobstern in seinem Buchladen festgenagelten Hacker in Prag zu finden. Der bringt alles wieder in Ordnung und hat neben den herkömmlichen Implantaten auch experimentelles Zeug im Angebot (was wiederum an den Schwarzmarkt in Invisible War erinnert). Das Prinzip ist einfach: Ihr könnt entweder die normalen Dinger reinstopfen und davon reichlich, oder die heiße Ware, aber deutlich weniger, weil keiner dafür garantieren kann, dass Jensen damit noch weit kommt.
Auf der normalen Liste steht das Hacking, dazu ein erweitertes Minispiel mit zu verbindenden Knotenpunkten, wie man es aus Human Revolution kennt. Und Wohnungen. Nicht mal wenige. Von den drei Stunden Spielzeit verbrachte ich locker die Hälfte damit, nach Möglichkeiten für lohnende Einstiege zu suchen. Kaum etwas hätte mich an diesem Tag glücklicher gemacht als die Erkenntnis, dass Square jede Menge Wert darauf legt, die Welt abseits der pessimistischen Handlungsprämisse um Amok laufende Augmentierte zu charakterisieren. Es können einfache Dinge sein, etwa die hastig umgeworfene Einrichtung in einem Apartment, eine Leiche oder die großen, nachdenklich machenden Weltnachrichten in Form von E-Books oder E-Mails.
Anders als der Held in Dishonored ist Jensen in der Vertikale weniger mobil. Er kann Simse erreichen, soweit sie im Rahmen seiner körperlichen Möglichkeiten liegen oder wenn er mit dem entsprechenden Stärkeimplantat massive Objekte in die Höhe türmt und sich so Einlass verschafft. Es ist schön zu sehen, dass Balkone, Leitern und Vordächer hier in wunderbarer Anordnung auf Entdecker warten, unaufdringlich, aber doch erkennbar dem Leveldesign und seinen kleinen Kniffen zugehörig. Das dreckige Armenviertel sieht trotz allen Elends und der polizeilichen Paranoia auf eine liebreizende Art verlebt aus, mit Ranken, die wie natürliche Rückstände von alten Hausfassaden hängen. Cops patrouillieren in den Straßen und Jensen kann zufällig in eine Kontrolle geraten, etwa wenn er mit der U-Bahn in ein anderes Viertel fährt und hinter dem Drehkreuz den Bahnhof verlässt. Es ist ein kleines Detail und es macht die Welt lebendig. Ebenso wie die zwei nebeneinander liegenden, strikt getrennten Eingänge in die Station: einer für augmentierte Menschen, der andere für "Naturals".
Die Unterteilung, wohin man darf und wohin nicht, läuft wie gewohnt über Sperrzonen. In denen ist Gewalt vonseiten derjenigen, die sie bewachen, legitim. Wer die Warnung des bewaffnet gegen einen Pfeiler lehnenden Kerls ignoriert, wird einfach zusammengeschossen. Und als Shooter auf offener Straße würde ich Mankind Divided nicht spielen, allein schon wegen der Sicherheitsdrohnen, die sich irgendwann einklinken, und sie sind im Recht. Klar kann man den alten Billigtrick versuchen, sich einen Mülleimer schnappen und mit einem Wurf in die Sperrzone für Ablenkung sorgen. Das sieht albern aus und ergibt bestenfalls aus einer sehr losen spielinternen Sicht Sinn. Ansonsten ist das hier die Fortsetzung zum Spiel mit den Lüftungsschächten, also gibt es immer irgendwo einen. Oder auch mal zwei.
Im Falle von Prag und dem Weg zum Hacker habt ihr eine Kanalisation mit so mancher Abzweigung - eine in Richtung einer versteckten Nebenmission - und vergifteten oder unter Strom gesetzten Abschnitten. Schon hier, an einem Ort, den man vielleicht nicht einmal betreten muss, macht das Spiel so manch gewinnenden Schlenker nach links und rechts. Auf der Karte seht ihr Gullydeckel und könnt euch langsam vortasten zur Zone mit dem Gesuchten. Oder sie verpassen. Oder zwischen Ratten und Giftwolken sterben, weil die Lungen doch nicht so stark waren wie gedacht. Ihr könnt auch, Klassiker, auf dem direkten Weg an der Oberfläche feststellen, dass dieser nur mit einem speziellen Schrieb passierbar ist, und die Waffe durchladen.
Das entsprechende Dokument kostet irgendwas über 30.000 Credits bei einem Dokumentenfälscher um die Ecke, was für den Anfang so absurd viel ist, dass man lieber nach dem obligatorischen Weg drumherum Ausschau hält. Und es gibt ihn. Seitlich vom gesperrten Durchgang hinter einer Kiste entlang, Hocke, vorsichtig und juhuu, drin. Für den Weg in den eigentlichen Buchladen bestehen dann noch mal einige Optionen und drinnen weitere, sei es ein schräg stehendes Bücherregal oder das Tarnungsimplantat und der Weg die Treppe hoch mit Gasgranate für alle Fälle.
So weit klingt das nach Deus Ex und auch wenn keine der bisherigen Locations so groß war wie die im allerersten Teil, ist Mankind Divided ein Spiel der kleinen bereichernden Details. Mit der "Smart Vision" erkennt ihr Gegner durch Wände, dazu den Munitionstyp und was sie bei sich tragen, falls ihr das in die taktischen Überlegungen einbeziehen wollt. Take-downs sind natürlich wieder dabei und diesmal auch aus der Deckung heraus ausführbar. Und als willkommene Rückbesinnung auf die Anfänge könnt ihr eure Waffen mit Upgrades versehen, darunter Nachladegeschwindigkeit, Schaden und solche Dinge. Das erste Deus Ex spielte ich immer gerne mit der Wasserpistole vom Anfang durch, nur dass sie irgendwann eine liebgewonnene Wasserpistole war, verbessert und unverzichtbar ans Herz gewachsen.
All das zusammen ergibt einen Nachfolger, von dem einige sicher sagen werden, dass er sich nicht weit genug von seinem Vorgänger abhebt. Kann man vermutlich machen. Aber angesichts des Punktes, von dem Human Revolution kommt, wäre es eine Schande, würde Square nicht behutsam auf diesem Fundament aufbauen. Mankind Divided scheint davon wunderbar zu profitieren, und das ist am Ende das Wichtigste.