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Deus Ex: Mankind Divided - Test

So geht es.

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Wunderbar interaktive Welt voller Details, viel zu erleben und abwechslungsreich. Ein rundum geglückter Einsatz.

Schon klar, nach allgemeiner Auffassung sollte ein Nachfolger unter Beibehaltung der Stärken die berühmte "Schippe extra" drauflegen, von der sich "andere Entwickler gern eine Scheibe abschneiden dürfen". Das ruft man sich besser von Zeit zu Zeit in Erinnerung, weil dieser Fall nicht jeden Tag, nicht mal jedes Jahr eintritt. Es kann sich nicht alles verhalten wie Uncharted 2 zum Vorgänger, was?

Im Fall von Deus Ex ist das Thema dazu ein empfindliches, sieht man sich Ion Storms Invisible War an. Als letzten Endes noch gutes Spiel gab es sich 2003, in einer Zeit durchaus smarter großer Spiele, alle Mühe, sich selbst zu untergraben. Eidos Montreals Human Revolution erschien in einer Zeit weniger smarter Spiele, tat aber sein Möglichstes, trotzdem so zu sein. Besonders delikat wird's mit einem komplett neuen Studio am Ruder, dessen spielerische Ästhetik die alte nachahmt, so gut es geht.

Deus Ex: Mankind Divided, nach fünfjähriger Entwicklung endlich zu haben, wäre blöd, dieses Fundament mit halbem Hintern einzureißen. Tut es auch nicht. Stattdessen: größer und mit Extraschippe. In Sachen der wenige Jahre nach Human Revolution ansetzenden Geschichte ist es vielleicht nicht für jeden. Stand im Vorgänger noch eine Gesellschaft im Umbruch, die zögerliche Frage nach der Verbesserung der Lebensqualität durch biomechanische Implantate, ist diese Gesellschaft inzwischen zerklüftet.

Hauptcharakter Adam Jensen ist inzwischen bei Interpol. Das Spiel beginnt mit einem Einsatz in Dubai.

Nach dem Ende von Human Revolution liefen augmentierte Menschen Amok, und nach diesem "Opti-Vorfall" setzt Mankind Divideds Zeitentwurf an. Augmentierte werden in Ghettos gepfercht und mit staatlicher Polizeikontrolle in Schach gehalten. Ihr werdet jede Menge Ambienteszenen erleben, etwa wenn man im Prag-Hub unterwegs ist und Passanten ohne Papiere in die Mangel des Gesetzes geraten. In der U-Bahn gibt es zwei Treppenaufgänge, einer für "normale" Menschen, einer für augmentierte. Martin hatte vor Kurzem schon ein paar Gedanken zum Thema "Mechanical Apartheid" und viel mehr will ich dazu auch nicht vorwegnehmen, außer dass die aufrechte Ausgangslage immer schiefer gerät.

Geheimdienste mischen ebenso mit wie Untergrund-, bürgerrechtliche Bewegungen und die Typen in der Prager Kanalisation, die fleißig ihre Flugblätter unters Volk bringen und fingerzeigend "Lügner" schreien. Für ein Mainstream-Spiel eine durchaus komplexe Ausgangslage, auch wenn nicht jedes Cyberpunk-Klischee ausgelassen wird, und netterweise mit einer Gedankenstütze versehen. Im Interpol-Hauptquartier, dem Hauptcharakter Adam Jensen inzwischen angehört, Bathöhlen-mäßig versteckt unter einem Importgeschäft der tschechischen Hauptstadt, steht ein Analyst neben einem Schaubild bekannter Fraktionen und Personen.

Schon nach wenigen Metern entdeckt man Geheimnisse, wenn man sich die Zeit nimmt und das Spiel so langsam spielt, wie es gedacht ist.

Wer also nicht auf Anhieb mitbekommen hat, was das Juggernaut-Kollektiv ist oder die Kirche des Maschinengottes, darf sich hier zumindest eine grobe Einordnung abholen. Trotz so manch ins Gesicht gedrückten Themas kann man Autoren und Leveldesignern nicht vorwerfen, das Gefühl für weltliche Verbundenheit der reizenden grafischen Ausgestaltung zu unterstellen. Dass in derlei großen Produktionen direkte und indirekte Erzählung Hand in Hand gehen, ist schon einiges wert. Klar, hier passiert auch vieles auf dem einfachsten Weg des "Environmental Storytelling", über Bilder, PDAs und E-Mails, aber wenigstens tun sie es.

Wenigstens hat jeder Computer seine zwei, drei Nachrichten drauf, und wenn man den Messenger an einem PC startet, um dem live am anderen Ende Sitzenden eine Antwort zu schreiben, fühlt man sich entfernt an Alpha Protocol erinnert. Auch diesen Weg gibt es manchmal, etwa um einen Sicherheitstechniker dazu zu bringen, die Laserschranken zu deaktivieren. Was weniger für den Einfallsreichtum eines Spiels im Jahr 2029 und mehr für die Game-Designer im Sinne der Spielmechanik spricht.

Wieder gibt es ein Apartment, in das man jederzeit zurückkehren kann, um den Fernseher anzuschalten, Mails zu lesen oder zu gucken, was die Entwickler hier überall versteckt haben.

Ihnen war mit den neuen Konsolen nicht nur daran gelegen, die Locations größer zu machen, sondern auch verkramter. Nehmen wir Golem City, ein Ghetto vom einschüchternden Format eines Kowloon City. Ein beeindruckendes und über einige Etagen in die Vertikale gehendes Drecksloch, viel metallenes Gedärm im Inneren, gemästet mit greifbaren Objekten, Behältern, Geschützen, Terminals, Schlössern, Schuppen und Lagerräumen. Allein der erste Essensstand ist verschwenderisch eingedeckt mit Geschirr, hängendem Fleisch, Kram. Man weiß nie, wo man zuerst hinschauen soll, und wenige Level in anderen Spielen sind mit so liebreizenden Ablenkungen versehen.

Oder nehmen wir ein Bankgebäude. Es ist nicht einfach nur eine Bank. Nicht nur Schalter, Hinterzimmer, Lüftungsschacht und die zwei obligatorischen Optionen. Diese Bank ist ein in sich geschlossenes System mit drangehängtem Parkhaus, Angestelltenhierarchien und Schlüsselkarten verschiedener Freigabestufen. Im Ansatz erinnert es an eine Location im neuen Hitman oder Blood Money, ohne dass Jensen so wandelbar wäre. Klar kann er den Kundenberater um einen Termin bitten und ihn dabei in die Mangel nehmen, aber sich etwas anderes als den Ledermantel überzuwerfen, da hört es auf.

Kein Deus Ex ohne Balkone, Vordächer und den Weg ''oben hinein''.

Was er dagegen in der Hand hat und was das Spiel systemisch über andere erhebt, sind die Implantate von Röntgenblick bis Muskelverstärkung, ohne die man keine schweren Kisten heben kann. Nett ist auch das experimentelle Zeug, ähnlich den Schwarzmarktimplantaten aus Invisible War. Diese destabilisieren Jensens Systemstatus und man muss normale Augmentierungen zugunsten der "heißen" Ware deaktivieren. Dazu gehören unter anderem Remote-Hacken, eine aus dem Arm schießende Nanoklinge oder der Ikarus-Sprint, mit dem man à la Dishonored schnell Meter machen und vorpreschen kann.


  • Entwickler/Publisher:
    Eidos Montreal/Square Enix
  • Erscheint für:
    PS4, PC, Xbox One
  • Preis:
    59,99 Euro
  • Erscheint am:
    23. August 2016
  • Getestete Version:
    Xbox One
  • Sprache:
    Englisch, Deutsch

Das Tarnsystem ist anders als im ersten Deus Ex eine Universallösung, um menschlichen und mechanischen Augen zu entgehen, und dergestalt recht übermächtig. Man kommt einen Tick zu einfach überall hinein und umstehende Wachen poltern trottelig herum bei dem Versuch, die unsicht- und nur hörbare Bedrohung zu orten. Plötzlich öffnen sich direkt vor ihnen Lüftungsabdeckungen und weg ist man.

Das Design von Golem City. Faszinierend und furchteinflößend zugleich.

So politisch und weltoffen sich Mankind Divided um eine Haltung bemüht, ist es doch "nur" ein Videospiel. In dem ihr Banden aus allen Rohren feuernder Gangster mit dem Hockenbleiben in einem Schacht abschüttelt, sobald die Spielmechanik sagt, dass sie sich nach so oder so vielen Sekunden mit anderem beschäftigen sollen. In dem es niemandem auffällt, wenn der so vertraute Kollege plötzlich nicht mehr von seiner immer gleichen Route zurückkehrt. Es ist auch die Weiterentwicklung des "Lüftungsschachtsimulators" mit Biozellen, die man sich reindrückt, um Gegnern Takedown-mäßig in den Kehlkopf zu donnern. Und es stellt seine Einrichtung in den Dienst des Leveldesigns. Klar stehen Kisten oft genau vor dem wie abgemessen wirkenden Lüftungsgitter, und manche Gebäudekonstrukteure sollten sich besser anstrengen, in ihrem Privatleben nicht so schräge Kapriolen zu schlagen wie in ihrem beruflichen.

Dieses Bemühen um Optionen ist die vielleicht größte Schwäche von Mankind Divided, ohne dass man ihm deswegen richtig böse sein könnte. Hier saßen wirklich Leute mit einem Verständnis dafür, wie das alte Spiel funktionierte, und dem Willen, so nah wie möglich heranzukommen. Jeder Raum lässt sich von zwei Seiten betreten. Es gibt viele Simse und Fensterbretter, über die man in Apartments gelangt, nicht nur in den eigentlichen Einsätzen. Bis auf einen Nebeneinsatz, der enttäuschenderweise nur lösbar war, indem man ein paar Tonnen stapelt und mit dem Sprungimplantat auf den Balkon hüpft.

Mit dem Sozialoptimierer lassen sich wieder friedliche Wege finden, Probleme im Dialog beizulegen. Bis auf wenige Stellen hat man tatsächlich das Gefühl, einen unterschiedlichen Verlauf herbeiführen zu können.

Trotzdem, man kann sich so manche Stunde damit vertreiben, in der schmutzigen Nachbarswäsche zu wühlen, weil es eben geht und statt Fassade eingerichtete Wohnungen den Weg abstecken. Prag ist größer als Detroit im Vorgänger und mehr Hauptmissionen finden direkt in dieser Umgebung statt, nicht abgetrennt und als eigener Level hergerichtet. Als Deus-Ex-Fan freut man sich hier nicht nur über die U-Bahn-Anbindung wie in den "guten alten Zeiten", sondern auch über Waffenmodifikationen zum Aufbessern der geliebten Wasserpistole. Nach zehn Stunden herrscht eine Verbundenheit zur Waffe, die andere Spiele erst mal hinbekommen müssen.

Was sonst noch? Ein Gefühl des Verpassens. Man kann einfach nicht jeden PC hacken, jeden Safe knacken oder jede E-Mail lesen. Auf meinem Zettel hatte ich mit der Zeit immer mehr Stichpunkte wie "Später wiederkommen und Tresor in Millers Geheimraum plündern". Wenn ein Spiel Angst davor erzeugt, nicht alles zu sehen, nun, ich würde sagen, so verkehrt kann es dann nicht sein.

Am Ende geht es doch um die Haltung und Achtsamkeit, mit der Eidos Montreal spielergesteuertes Erleben verschwenderisch eingerichteter Umgebungen möglich macht. Möbelstücke und Accessoires erzählen ebenso Geschichten wie E-Mail-Konten und Fotorahmen. Eingebettet in ein pessimistisches Zeitbild gelingt den Entwicklern eine Fortsetzung auf hochsolidem Fundament. Hin und wieder etwas zu bemüht, die Levelstruktur zu öffnen, nicht immer nachvollziehbar im Figurenverhalten und manches Mal geradeheraus frustrierend beim Schleichen. Alles völlig egal, wenn der Rest so viel Spaß macht.

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