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Devil May Cry 4: Special Edition - Test

Liebe auf den zweiten Blick.

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Dank fünf spielbarer Charaktere bietet die Special-Edition eines der besten Kampfsysteme aller Zeiten zu einem unschlagbaren Preis.

Devil May Cry 4 ist wie ein komplexer Film, den man beim ersten Ansehen überhaupt nicht versteht. Damit will ich nicht sagen, dass es eine besonders anspruchsvolle Geschichte erzählt. Ganz im Gegenteil. Der hier als Handlung präsentierte Irsinn durchschreitet bereits im Intro die Grenze zum Trash und kann nur mit viel Humor positiv aufgefasst werden.

Stattdessen vergleiche ich die Feinheiten und mehreren Ebenen eines Synecdoche New York mit dem unerreichten Tiefgang des Kampfsystems von Devil May Cry 4. Um ein schwieriges Werk wie Synecdoche New York oder Eraserhead vollständig genießen und würdigen zu können, muss man sich intensiver damit auseinandersetzen. Manchmal bedarf es sogar etwas Zeit, damit die eigenen Fähigkeiten für das nötige Verständnis heranwachsen. Erst dann ist man überhaupt in der Lage, die Errungenschaften dieser Filme zu verstehen.

Mit Devil May Cry 4 verhält es sich nicht viel anders. Vor sieben Jahren erschien der Titel in seiner Urfassung für Xbox 360 und PlayStation 3. Damals genoss ich das schrille Abenteuer für einen langen Nachmittag, woraufhin es wieder im Schrank verschwand. Nettes Ding, spielerisch sicherlich anspruchsvoll, allerdings entdeckte ich nichts Großartiges. Meine Beobachtung war nicht falsch, und das ist sie auch heute nicht in Bezug auf die überarbeitete Special-Edition für Xbox One, PS4 sowie PC. Es ist weiterhin die korrekte Einschätzung eines Spielers, der zwar Fan des Genres ist, sich aber nicht tiefer mit den Mechaniken befasst hat.

Was richtige Profis aus dem Titel herausholen können.Auf YouTube ansehen

Denn Devil May Cry 4 schickt euch durch zum Teil belanglose Areale, die zwar eine dem PS2-Original nahe Horroratmosphäre besitzen, allerdings den Wow-Faktor jüngster PatinumGames-Produkte vermissen lassen. Große Setpieces existieren nicht, außerhalb von Gefechten regieren feste Kamerawinkel und die Laufgeschwindigkeit eures Charakters wirkt wie künstlich ausgebremst. Es klammert sich mehr an seine Vergangenheit und blickt weniger in die Zukunft, weshalb ich niemandem widerspreche, der es dafür abstraft, so wie ich vor sieben Jahren auch.

Daher war ich etwas zurückhaltend mit meiner Vorfreude. Mittlerweile kann ich nach über zwei Dutzend investierten Stunden jedoch bestätigen, dass sich meine Meinung komplett gewandelt hat. Sieben Jahre dauerte es, bis ich endlich meine Liebe für DMC 4 entdeckte. Aber es ist eine hart erkämpfte Liebe. Denn in den sieben Jahren habe ich viel über das Genre gelernt, mich in die Mechaniken diverser Titel eingearbeitet und ein besseres Verständnis für den versteckten Tiefgang dieser Spiele entwickelt. Es ermöglicht mir eine völlig neue Erfahrung.

Aus diesem Blickwinkel heraus betrachtet ist Devil May Cry 4: Special Edition nicht länger ein in der Zeit stecken gebliebener Actiontitel, sondern das Spiel mit dem wohl vielfältigsten, komplexesten und forderndsten Kampfsystem aller Zeiten. Dazu braucht man sich nur einmal die Möglichkeiten anzusehen, die bereits in der Originalversion steckten.

Im Gegensatz zum fiesen Reboot-Dante schließt man das Original mit seiner verspielt-charmanten Art sofort ins Herz. Erneut.

Ihr startet die erste von insgesamt 20 Missionen mit Nero, bevor dieser seine Rolle als Protagonist zur Hälfte an Serienliebling Dante übergibt. Beide Figuren beschreiten auf ihrer Reise denselben Weg. Nero läuft hin und Dante wieder zurück. Sogar die Bosse teilen sie sich. Was 2008 schon negativ auffiel, ist auch heute noch der Inbegriff von Spielstreckung. Anscheinend das Resultat einer von Capcom angeordneten Halbierung der Entwicklungszeit. Hört sich schlimm an, und das ist es für viele auch. Ich für meinen Teil finde es heute hingegen weniger störend.

Denn für mich fühlt es sich trotzdem wie ein komplett anderes Spiel an, wenn ich statt Nero auf einmal Dante steuere. Nero konzentriert sich lediglich auf ein festes Equipment, während Dante zu jeder Zeit zwischen vier unterschiedlichen Stilen wechseln kann. Oberflächlich betrachtet fühlen sie sich recht ähnlich an, was ihre äußerlichen sowie charakteristischen Gemeinsamkeiten unterstreicht. Beide attackieren mit einem kräftigen Schwert, können auf Handfeuerwaffen zurückgreifen und teilen sich viele Kombos. Die meisten Leute könnten deshalb leicht in Versuchung geraten, beide Figuren als spielerische Kopien auszurufen.

Genau das ist die Krux bei der Sache. Solange man nicht gewillt ist, mehr Zeit in die Feinheiten der Figuren zu investieren und aus seiner Komfortzone herauszutreten, ändert sich nichts an dieser Auffassung. Aber nun gut, was macht diese Charaktere so besonders?

Nehmt Nero als Beispiel. Sein Dämonenarm ermöglicht ihm mehrere situationsbedingte Manöver. Er kann Gegner zu sich ziehen, sie auf den Boden hämmern oder sogar feindliche Geschosse fangen und so einige der stärksten Gegner in wenigen Sekunden vernichten. Selbst Bosse kann Nero mit dem richtigen Timing kontern und spektakuläre Manöver starten, für die jeder andere Titel ein Quick-Time-Event benötigt. Neros zweite Besonderheit ist seine Standardklinge Red Queen. Das gute Stück besitzt einen eingebauten Motor, über den ihr bis zu drei Aufladungen aktivieren könnt. Dadurch verstärkt ihr normale Angriffe und verlängert ihre Aktionsdauer.

Die Detailverliebtheit der neuen Charaktere erkennt man sehr schön an den Lebensbalken. Beispielsweise sieht Ladys Variante aus wie ihre Hauptwaffe.

Der Kniff an der Sache ist das Zeitfenster, in dem ihr die Aufladung startet. Zwischen Angriffen müsst ihr mindestens dreimal den Trigger betätigen, um dem Schwert eine Zündung zu entlocken. Drückt ihr die Taste dagegen im Moment eines Angriffs, lädt sich das Schwert sofort auf. Sollte eure Eingabe perfekt sein, erhaltet ihr drei volle Leisten zum direkten Einsatz. Wer diesen Vorgang lange genug trainiert, kann jeden Treffer in eine Gewaltexplosion verwandeln, die selbst auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad den stärksten Feind in Sekundenbruchteilen vernichtet. Und das ist erst der Anfang. Bei Dante wird es noch komplizierter, da er innerhalb einer Kombo zwischen seinen vier Stilen wechseln kann und somit selbst einer gewissen Hexe das Fürchten lehren würde.

Das Großartige an der Special-Edition ist die Einführung dreier zusätzlicher Charaktere, alle mit dem gleichen Maß an Tiefgang und vollkommen unterschiedlichen Spielstilen. Vergil erinnert an seine Version aus Devil May Cry 3, darf jederzeit auf eine von drei Nahkampfwaffen zugreifen und ist durch seine Teleportfähigkeit der eindeutig schnellste Protagonist. Falls ihr also kein Fan langsamer Figuren seid, ist Vergil eure erste Wahl. Er ist mein persönlicher Liebling der neuen Truppe, da er als einziger die komplette Kampagne spielen darf.

Wie Nero und Dante teilen sich die Neuzugänge Lady und Trish ebenfalls ihren Platz im Rampenlicht. An Neros Stelle kämpft ihr mit Lady und überreicht die sprichwörtliche Fackel nachher an Trish. Während Lady als eindeutig langsamster Charakter auf den Fernkampf setzt, orientiert sich Trish in ihrer Geschwindigkeit mehr an Dante und besitzt einige unfassbar choreografierte Kombos, deren Aneinanderkettung ein hohes Maß an Präzision erfordert. Die beiden Mädels richten sich also eindeutig an erfahrene Veteranen und geben der Community genügend Futter, um über die kommenden Monate alle möglichen Taktiken zu entwickeln, worauf ich mich bereits sehr freue.

Nein, eine neue Handlung für die frisch eingefügten Charaktere gibt es nicht. Zumindest kriegen sie ihre eigen Intro- und Endsequenzen.

Ein weiterer Zusatz der Special-Edition ist der zumindest für Konsolenspieler bisher unbekannte „Legendary Dark Knight"-Modus, der die zusätzliche Kraft der neuen Hardware nutzt. Denn bis auf schönere Texturen und eine höhere Auflösung zeigt sich die Neuauflage optisch im gleichen Gewand wie das Original. „Legendary Dark Knight" ist auf gewisse Weise eine Kombination von Devil May Cry und Earth Defense Force. Ihr werdet in den meisten Fällen nicht länger den Boden ausmachen können, da Dutzende Feinde gleichzeitig wie Insekten herumwuseln. Schmeißt euch in die Horde und genießt dank stabiler 60 Bilder pro Sekunde das epileptische Chaos auf eurem Bildschirm. Es ist das Resultat einer fantastisch dummen Idee, deren Existenz prima auf ein kräftiges „Weil wir es können!" reduziert werden kann.

Das endgültige Fazit fällt dagegen schwer. Nüchtern betrachtet ist Devil May Cry 4 ein in die Jahre gekommener Titel, der im Kontext der heutigen Entwicklung auf dem Stand seines direkten Vorgängers ist und eher in die PS2-Ära passt. Feste Kamerawinkel, nervig auszuführende Rätsel und ein Levelaufbau, der euch nach der Hälfte denselben Weg zurückschickt. All das macht aus DMC 4 noch lange kein schlechtes Spiel, aber ein in seinen Grundlagen veraltetes.

Auf der anderen Seite haben wir eines der besten Kampfsysteme aller Zeiten, das durch die Einführung dreier exzellenter Charaktere jedes andere Spiel mit seiner Vielfältigkeit in den Schatten stellt. So gesehen ist die Special-Edition Pflicht für jeden Hardcore-Fan. Und selbst falls ihr nicht zu den Leuten gehört, die sich tief in den Facetten der Mechaniken vergraben wollen, ist Devil May Cry 4: Special Edition mit seinem riesigen Inhalt für schlappe 25 Euro ein super Schnäppchen.

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