Technik-Analyse: NVIDIAs Project Shield
Digital Foundry nimmt die überraschende Handheld-Ankündigung des GPU-Herstellers näher unter die Lupe.
Als Android-Gaming-Handheld mit physischen Steuerungsmöglichkeiten, der auch drahtlos Gameplay vom PC streamen kann, ist NVIDIAs Project Shield die Überraschung der diesjährigen CES. Ein portables Spielgerät, das eine große Zahl von Spielen unterstützt, angefangen von den simpelsten 2D-Android-Titeln bis hin zu aktuellen AAA-Spielen wie Battlefield 3 oder Crysis 2 über die innovative, lokal integrierte Cloud-Gaming-Technologie.
Die Vorstellung von NVIDIAs Project Shield war aus mehreren Gründen wichtig. Nicht nur haben wir den ersten Vorstoß des Unternehmens in Richtung Handheld-Gaming gesehen, sondern auch die Möglichkeiten der jüngsten mobilen Hardware. Laut NVIDIA ist der Tegra-4-Chip der leistungsstärkste mobile Prozessor der Welt und ein weiterer Schritt, um die Lücke zu dem durch den Xenos-Grafikchip der Xbox 360 etablierten Standard der aktuellen Konsolen zu schließen.
Demos zu Dead Trigger 2 und dem mit Spannung erwarteten Free-to-play-Titel Hawken sahen eine Stufe besser aus als die meisten Mobile-Spiele, die wir gesehen haben, obwohl sie zum Teil noch immer hinter dem Current-Gen-Standard zurückbleiben. Die Performance hinterließ einen eher schwankenden Eindruck, da Dead Trigger regelmäßig unter die 30-FPS-Grenze fiel. Aber wie wir schon bei iOS-Geräten und der Tegra-3-Hardware festgestellt haben, kann das HDMI-Mirroring offensichtlich Einfluss auf die Performance haben, allen voran in Anbetracht von Einschränkungen der Bandbreite bei mobiler Hardware. Solange wir das Gerät nicht in die Hände bekommen, können wir aber auch nicht vollständig feststellen, wozu diese neue Hardware in der Lage ist. NVIDIAs Behauptungen von einer sechsmal besseren Performance gegenüber dem Tegra 3 werden aber eine ansehnliche Leistung darstellen.
Was die CPU anbelangt, nutzt der Tegra 4 eine Quad-Core-Version von ARMs Next-Gen-A15-CPU-Architektur, was demzufolge eine Premiere darstellt. Um die Leistungsfähigkeit zu demonstrieren, lud man eine Reihe von Internetseiten auf einem Google Nexus 10 und auf einem Prototyp eines Tegra-4-Tablets. Das Resultat war erstaunlich - Tegra 4 erfüllte diese Aufgaben in 27 Sekunden, während das Nexus 10 mit 50 Sekunden deutlich dahinter lag. Obwohl wir nicht daran zweifeln, dass die Quad-Core-A15-Konfiguration einiges an Leistung zu bieten hat, waren wir doch etwas enttäuscht von NVIDIAs Vergleich mit dem Nexus, das Chrome nutzte, während das eigene Tablet scheinbar mit dem standardmäßigen Android-Browser lief. Es war kein Eins-zu-Eins-Vergleich, da viele glauben, dass Chrome langsamer läuft als der ältere Browser.
"NVIDIAs Project Shield will das topaktuellste Mobile- und High-End-PC-Gaming zu einem Must-have-Paket in der Größe eines Konsolen-Controllers verknüpfen."
Auch andere Elemente des Tegra-4-Chipsets beeindruckten (obwohl wir nicht wissen, ob diese für Shield genutzt werden), besonders der durch CPU und GPU unterstützte HDR-Foto-Modus inklusive Panorama-Support. Definitiv vorhanden ist die Möglichkeit, 4K-Videos via HDMI abzuspielen - mehr Infos zu dieser extremen 3840x2160-Auflösung könnt ihr diese Woche von der CES erwarten. Es gab bereits Gerüchte, dass Sonys Next-Gen-Konsole es unterstützen könnte und wir werden uns 4K-Gaming sicherlich zu gegebener Zeit anschauen.
Was Shield selbst betrifft, lädt die physische Steuerung zu einigen Diskussionen ein. NVIDIAs Ansicht ist, dass Spieler Wireless-Pads mit sich tragen, um die Vorzüge einer physischen Steuerung mit ihren Smartphone- oder Tablet-Spielen zu genießen. Die eigene Lösung sieht so aus, einen Controller mit einem klappbaren 5-Zoll-LCD-Panel zu entwickeln. Der Controller selbst wurde klar mit dem Pad der Xbox 360 im Hinterkopf entworfen und übernimmt all dessen primäre Funktionen, fügt aber in der Mitte auch Android-Buttons zu den Start-, Select- und Shield-Knöpfen (der Shield-Button übernimmt dabei die Funktion des Guide-Buttons der Xbox 360). Lautsprecher sind ebenfalls integriert, die laut NVIDIA für eine exzellente Soundqualität sorgen sollen, besonders im Hinblick auf die Bässe.
Die Steuerung wurde so angeordnet, dass der Bildschirm gut sitzt, wenn er umgeklappt wird. Auf dem Deckel können individuelle Aufkleber angebracht werden. Im Hinblick auf die Größe hat NVIDIA versucht, ein Gerät zu designen, das nicht größer als der übliche Xbox-360-Controller ist. Und obwohl es aufgrund des integrierten Touchscreens natürlich etwas größer aussieht, sehen die Größenangaben von NVIDIA im Vergleich mit Xbox 360 und Wii U doch ganz gut aus. Interessant ist außerdem ein Video mit einem Blick auf das Innenleben von Project Shield (in Echtzeit auf einem PC mit Unreal Engine 4 gerendert), das uns einige weitere Hinweise gibt. Besonders der Kühlkörper des Tegra-4-Prozessors sticht hervor. Unsere Analyse des Tegra 3 erwies sich als uneindeutig und nach Angaben von Hackern, die uns kontaktiert haben, wird die Leistung der Hardware durch die extreme Energieverwaltung zurückgehalten - die Laufzeit des Akkus ist wichtiger als die Performance der Spiele. Die Tatsache, dass man einen Kühlkörper integriert hat, und dass es sich hierbei um Spiele-Hardware von NVIDIA handelt, lässt uns hoffen, dass dies kein großes Problem ist. Ebenfalls erwähnenswert ist, dass die Ouya-Tegra-3-Devkits über ein aktives Kühlungselement verfügen. Die Behauptungen des Unternehmens im Hinblick auf die verbesserte Performance scheinen also Hand und Fuß zu haben.
Was das Design betrifft, dominieren bei den Konsolen-Controllern üblicherweise Designs mit einem japanischen Ansatz, während Project Shield sich mehr an der Alienware-Ästhetik zu orientieren scheint. Soweit wir das bislang gesehen haben, ist es nicht das ansprechendste Element der Hardware, aber wir heben uns unser finales Urteil auf, bis wir selbst Hand anlegen konnten.
"Was den Formfaktor betrifft, sieht Shield wie ein sperrigerer Xbox-360-Controller mit einem an Alienware erinnernden Design aus."
Lokales Cloud-Gameplay
Ein wirklich aufregendes Feature von Project Shield ist die Möglichkeit, den Onboard-Video-Decoder zu nutzen, um Gameplay von PC-System mit Kepler-GTX-Grafikkarten zu streamen - zur Einstiegsklasse gehört hier die überraschend fähige GeForce GTX 650, die derzeit für knapp 100 Euro erhältlich ist. Dieses Feature ist Kepler-exklusiv, was an dem integrierten Onboard-h.264-Video-Encoder liegt. Anstatt komplette Frames auf das Display zu rendern, encodiert Kepler diese auf der Treiber-Ebene, ohne die CPU-Performance zu beeinflussen. Der PC überträgt den Video-Feed dann auf Shield. Der Handheld dekodiert den Stream und überträgt Steuerungseingaben zurück zum PC. Der ganze Prozess läuft über WiFi.
Das Resultat ist ein Spielerlebnis, das dem von Nintendos Wii U ähnelt. Und in der Theorie sollte es möglich sein, jedwedes Spiel von eurem PC auf Shield zu übertragen (NVIDIA legte wert darauf, vor allem die Kompatibilität zur Steam-Bibliothek zu betonen). Was wir hier sehen, ist also im Grunde eine lokale Version des Cloud-Gamings, wobei NVIDIA die höhere Bandbreite und niedrigere Latenz in Heimnetzwerken nutzt, um die bei OnLive beobachteten Qualitätsprobleme hinsichtlich der Grafik und Steuerung zu umgehen.
Wir haben hohe Erwartungen an die Streaming-Performance von Shield, wenn man das gesamte Hardware- und Software-Setup betrachtet. Einerseits haben wir etwa den 1280x720-Bildschirm am Gerät. PC-seitig gibt es kein Onscreen-Rendering, also kann die Software alle Ressourcen in den nativen 720p-Framebuffer stecken, daher sollte selbst eine Grafikkarte der Einstiegsklasse, wie etwa die GTX 650, eine ordentliche Grafik und Framerate bei nahezu jedem Spiel zustande bringen. Andererseits bedeutet die begrenzte Auflösung, dass keine riesigen Mengen an Bandbreite benötigt werden, um für eine exzellente Bildqualität zu sorgen - an den OnLive-Standards gemessen wären 15 bis 20mbps verschwenderisch und bei den meisten Breitband-Internetverbindungen schlicht nicht erreichbar, mit einem modernen Router sollte das aber kein Problem sein.
"Während NVIDIAs Keynote wurden mehrere Tegra-4-Titel gezeigt. Es sind deutlich mehr Details und Effekte zu sehen, aber gleichzeitig scheint man auch noch ein gutes Stück von den Current-Gen-Standards entfernt zu sein."
Zuhause sollten sich deutliche Verbesserungen der Latenz gegenüber OnLive zeigen, nicht nur weil alles in einer lokalen Umgebung abläuft, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass der h.264-Encoder-Zugriff auf den kompletten Framebuffer hat, ohne auf den Video-Output zugreifen zu müssen. Wenn das von NVIDIA für Shield gewählte Panel schnell genug ist, könnte dieser ganze Prozess mit Latenzen laufen, die denen eines durchschnittlichen HDTV entsprechen.
NVIDIA wies auch stark darauf hin, dass dieses Streaming-Erlebnis in Zukunft nicht nur zuhause funktionieren wird, was vermutlich am LTE-Modem im Tegra-4-Prozessor liegt (bisher gingen wir davon aus, dass LTE erst in einer separaten Tegra-4-Revision integriert wird). Gaikais David Perry hatte zuvor Streaming-Gameplay über vorhandene 3G-Netzwerke ausgeschlossen, da die Latenzen einfach nicht gut genug für eine vernünftige Reaktion seien. Den neuen 4G-Standard bezeichnete er als beste Plattform für mobiles und Cloud-Gaming. Die Performance hängt hier natürlich nicht nur von NVIDIAs Setup und dem Netzwerk ab, sondern auch vom Upstream zuhause, wo sich der GTX-PC befindet. Fiberglas-Uploadgeschwindigkeiten in Großbritannien kommen auf rund 8mbps - das ist brauchbar, aber nicht gänzlich ideal. ADSL mit weniger als 1mbps könnte man aber natürlich völlig vergessen.
Project Shield - Die Herausforderungen der Zukunft
Alles in allem sieht Project Shield nach einer faszinierenden Mischung aus topaktueller Mobile-Technologie und dem Zugang zu High-End-PC-Gaming in einem mobileren Formfaktor aus, aber es gibt auch einige Bedenken. Eine dieser Sorgen zeigt sich schon, wenn man NVIDIAs eigene Roadmap zur Hand nimmt. Darauf sehen wir die Evolution der mobilen Tegra-Reihe, basierend auf ihren Superhelden-Codenamen. Kal-El ist der vorhandene Tegra 3, während Wayne mit großer Sicherheit der Tegra 4 aus Project Shield ist. Wie ihr seht, ist das Tempo des technischen Fortschritts im mobilen Bereich schlicht phänomenal - um die nächste Ecke wartet immer schon ein gewaltiger Performance-Sprung. Wir fragen uns, ob diese sich rasant entwickelnde Technik mit jährlichen Updates die beste Grundlage für eine solche Plattform ist.
"Spieler sind an Handhelds gewöhnt, die jahrelang aktuell sind, aber NVIDIA hat bereits Pläne und ungefähre Performance-Ziele für den Tegra 5 im nächsten Jahr verraten - und dessen Nachfolger."
Bei Tablets, die für mehrere Zwecke gedacht sind, ist das kein so großes Problem. Wenn wir das iPad als Beispiel nehmen, bleibt der Wiederverkaufswert recht hoch, weil das Gaming nur ein Teil des Pakets ist - das Produkt definiert sich nicht durch die 3D-Leistung der angebotenen Titel. Ein Upgrade alle zwei Jahre ist daher nicht allzu schmerzlich. Bei Shield machen wir uns Sorgen, dass es wesentlich teurer werden könnte, um wirklich die topaktuellste 3D-Performance zu haben, da der Tegra 4 schnell veraltet sein könnte. Man sollte aber bedenken, dass NVIDIA nur der erste Hersteller ist, der mit seiner Next-Gen-Mobile-GPU aus dem Schatten tritt. Und wenn nur die Hälfte der Gerüchte stimmt, die wir von gut informierten Quellen über die PowerVR-Rogue-Technologie gehört haben (kurz gesagt: Xbox-360-Performance mit DX11-GPU-Features), könnten wir eine Situation haben, in der NVIDIA einfach technologisch deklassiert wird, wie das schon zuvor beim Tegra 2 und 3 der Fall war.
Ein Gegenargument ist aber, dass es gute Gründe dafür gibt, warum Produkte wie das iPad mini oder das Google Nexus 7 tolle kleine Spielemaschinen sind, obwohl sie mittlerweile veraltete Prozessor-Technologie nutzen: Mobile-Games müssen auf einer Vielzahl von Geräten laufen und Entwickler tendieren dazu, sich an den Fähigkeiten der beliebtesten Hardware auszurichten, was selten die neueste und beste ist. Dead Trigger 2 und Hawken sehen wirklich sehr gut aus, aber es sind Spiele, die vermutlich über viele Geräte hinweg skalieren sollen und sich daher nicht unbedingt als beste Beispiele für den Tegra 4 eignen. Außerdem sollte man beachten, dass die Sprünge hinsichtlich der Leistungsstärke der Prozessoren dazu genutzt werden, um die immer höheren Auflösungen zu bewältigen. Darüber muss man sich bei Shield mit seinem nativen 720p-Display keine Sorgen machen.
Offensichtlich gibt es auch praktischere Sorgen, allen voran in Anbetracht des enttäuschenden Archos GamePads. Wie gut funktioniert das Android-OS auf dem System? Wie gut ist die physische Steuerung? Wie fühlt sich das Gerät in der Hand an und entsprechen NVIDIAs Angaben zur Akkulaufzeit der Realität? Und die wichtigste Frage ist sicherlich: wie viel wird dieser neue Handheld kosten? Da Project Shield im zweiten Quartal 2013 auf den Markt kommen soll, bekommen wir hoffentlich bald einige Antworten - und auch etwas Hands-On-Zeit.