Die Entstehung von Outlast
Wie zehn Kanadier dem Triple-A-Segment das Fürchten lehrten.
Am Ende war es doch eine Erfolgsgeschichte. Mit Outlast gelang dem kanadischen Entwicklerstudio Red Barrels aus dem Stegreif ein Kabinettstückchen schonungslosen Horrors. Das im September letzten Jahres für PC und kürzlich für PS4 erschienene Spiel erzählt die Geschichte von Miles Upshur, einem Reporter zwischen der Story seines Lebens und "Whaaa, das darf doch alles nicht wahr sein!". Er folgt einer mysteriösen E-Mail in eine verfallene Nervenanstalt in den Bergen Colorados, nicht mehr im Gepäck als eine Videokamera, ein paar Batterien und einen Notizblock.
Noch an der Türschwelle stolpert er in ein Survival-Horror-Spiel markanter Bauart mit ebenso ruhigen wie entsetzlichen Momenten. Die Kamera sucht Indizien zwischen Blutlachen und hastig umgeworfenen Möbeln. Durch den nächsten Gang hetzt man wie zur Schlachtung freigegebenes Vieh, verfolgt von den entstellten Resten derer, denen die Anstalt nur ihre Körper ließ. Outlast entmenschlicht sie bis auf eine niedere Ebene, wenn sie wie Tiere gegen Fensterscheiben schlagen und wimmernd unter Betten liegen, die Münder zugenäht, die Augen wahnhaft aufgerissen.
Zehn Leute sind für diesen Albtraum verantwortlich, mehr zählt das Team von Red Barrels nicht, das sich im Januar 2011 zur Hälfte aus EA-Montreal-Veteranen rekrutierte. Zuletzt arbeiteten sie bei ihrem alten Arbeitgeber an einer neuen Triple-A-Marke, bis das Projekt von Visceral Games übernommen und später eingestellt wurde. Insgeheim hegten zwei von ihnen, Philippe Morin und David Chateauneuf, schon länger den Traum, ein Horrorspiel zu entwickeln. Als Electronic Arts ihrem Spiel den Stecker zog, setzte eine Art Jetzt-oder-nie-Reflex ein: "Wir dachten: Versuchen wir es zusammen statt einzeln, klappt es vielleicht", erinnert sich Philippe Morin. Da waren sie also, Red Barrels. Der Name blieb, weil er ein cooles Logo abgab.
"Wir wollten nicht mehr in Meetings sitzen"
Denkt Philippe zurück an Outlast und daran, wie es entstehen konnte, bereut er die Entscheidung kein Stück. Auch wenn nicht immer alles reibungslos verlief. Die Männer verbindet bis heute zweierlei: die Liebe zum Spieldesign und die Müdigkeit über zu viel Bürokratie. In den letzten Jahren seiner Karriere, erzählt Phil, saß er als Kreativdirektor mehr in Meeting-Räumen als im Stuhl des Spieldesigners. Abgesehen von den ersten Monaten einer Neuentwicklung, in denen man jede Menge Ideen haben und diese umsetzen kann. "Bei einem der EA-Projekte war ich der zweite oder dritte Creative-Director, das Spiel längst in der Entwicklung - das war der langweiligste Teil."
"Als ich hörte, dass ich Spieldesigner werden sollte, fragte ich nur: Was ist das?"
Früher war das anders. Alles begann 1998 bei Ubisoft Montreal, wo sich Morin ursprünglich als Autor bewarb. Eines Tages der Anruf und die Einladung zum Gespräch. Aber nicht für die Stelle, die auf seinem Bewerbungsschreiben stand, sondern als Spieldesigner. "Ich fragte nur: Was ist das?", lacht der 45-Jährige heute. Schnell lernte er es.
Sein erstes Spiel: Donald Duck - Goin' Quackers, erschienen Ende 2000, in einer Zeit, als die Playstation 2 so richtig an- und die Dreamcast überrollte. Die Budgets waren noch nicht automatisch ein millionenschweres Risiko, die Teamgrößen ein Bruchteil dessen, was sich heute täglich in den Fluren von EA, Square-Enix oder Ubisoft zwischen Cafeteria, Konferenzraum und Toilette bewegt. Entsprechend weniger spezialisiert war das Personal damals. "Ich konnte in jedem Bereich etwas beisteuern: Spieldesign, Levelaufbau, Zwischensequenzen, Animationen", denkt Morin zurück.
All das ging in den Folgejahren immer mehr verloren, je stärker Team, Budget und die damit verbundenen Risiken anwuchsen. Es ist ein bekanntes Klagelied vieler, die sich abwandten von ihren aufgepumpten, mitunter aufgekauften Studios, eigene gründeten und damit zurückkehrten zu kleineren, überschaubaren Teamstrukturen. "Es steckt viel weniger von dir selbst in so einem großen Spiel", bedauert Morin. Er muss es wissen, war an Assassin's Creed und Prince of Persia beteiligt, hatte Hunderte Leute unter sich.
Interesse an einem Horrorspiel hatte Ubisoft in dieser Zeit nicht. "Ungefähr 2008 oder 2009 versuchten David und ich, sie zu überzeugen, aber es hieß, alles abseits von Resident Evil könne nicht genug Geld einspielen." Unter die mangelnde Abwechslung mischte sich Routine, da die beiden hauptsächlich an Fortsetzungen arbeiteten, die das finanzielle Risiko minimieren sollten, und ein Projekt nie bis zum Ende begleiten konnten. Sie mussten das Schiff ab einem bestimmten Punkt nur noch auf Kurs halten.
Woher nehmen, wenn nicht stehlen?
"Wir hätten besser wissen müssen, worauf wir uns da einließen."
Unzufriedenheit, Langeweile und eine gehörige Portion Wagnis waren es, die Anfang 2011 den zögerlichen Anstoß für die roten Fässer leisteten. Ein Horrorspiel sollte ihr Debüt werden, so viel war klar. Ideen hatte man haufenweise, Lust sowieso, nur Geld, das war nicht da. "Wir hätten unsere Hausaufgaben besser erledigen und voraussehen müssen, worauf wir uns da einlassen", weiß Morin heute, nachdem Outlast im Steam-Shop Erfolg hatte und als eines der ersten PS4-Spiele in Sonys PS-Plus-Programm landete. Diesem Erfolg gingen eineinhalb harte Jahre voraus, in denen Red Barrels nach Leibeskräften versuchte, eine Finanzierung auf die Beine zu stellen.
Der klassische Weg war einer des Misserfolgs: In den ersten Monaten produzierten gerade einmal drei Leute mithilfe einiger Freunde einen Trailer, darin ein Vorgeschmack auf das, was später durch die Anstalt kriechen sollte. Rein in den Koffer und ab zu den Publishern, zeigen und unterschreiben, so der Plan. So einfach war es leider nicht.
Das nötige Budget für ein Projekt wie Outlast lag höher als bei einem günstig zu produzierenden Facebook- oder Mobile-Spiel und deutlich unter einem Triple-A-Titel. "Wir waren so ein 'Mittelding' und viele wussten mit uns nicht so recht etwas anzufangen", erinnert sich Morin. Ein potenzieller Start-up-Investor hatte keine Ahnung von der Materie und schickte jemanden, der es wissen muss: "Wir zeigten das Konzept einigen Leuten, die Geld hatten und nach Möglichkeiten suchten. Als ich am Reden war, bemerkte ich jemanden, der viel jünger aussah als alle anderen. So jung, dass ich mich wunderte, wie er zu dieser Gruppe gehören konnte. Nach dem Pitch konnte jeder Fragen stellen und es kam heraus, dass der Junge von seinem Vater geschickt wurde, um unsere Vorstellung einzuschätzen", erinnert sich Morin mit einem lauten Prusten. "In unseren diversen Meetings sagten Investoren dann öfter, dass sie sich vorher mit ihren Kindern absprechen wollen." Monate zogen ins Land. Anfang 2012 stand das Team immer noch ohne Finanzierung da. Einige von ihnen lebten derweil von persönlichen Ersparnissen, einige hatten Lehrverträge als Übergangslösung. Es ging eben irgendwie. Musste gehen.
Erfolg im zweiten Anlauf
Glücklicherweise ist Vander Caballero, der Entwickler von Papo & Yo, ein alter Bekannter aus EA-Tagen. Er machte sie auf den Canada Media Fund aufmerksam, eine Förderung für Medienschaffende, die am 1. April 2010 aus dem Canadian Television Fund hervorgegangen war. Ein CMF-Zuschuss darf nicht mehr als 75% des Gesamtbudgets betragen. Nachdem der erste Antrag aufgrund mangelhafter Finanzstruktur und fehlender Distributionsvereinbarung abgelehnt wurde, mussten Morin und seine Kollegen etwas über 300.000 Dollar selbst aufbringen. Verwandte wurden angepumpt, Sparbücher geplündert. Statt eines klassischen Publishers sprang Valves Steam als Vertriebskanal ein und im Frühjahr 2012, nach einer sechsmonatigen Sperrfrist, bekam Red Barrels im zweiten Anlauf die Zusage vom CMF.
Dass Amnesia von Frictional Games bereits erschienen war, half sehr, gibt Morin zu. "Als wir den Antrag stellten, sagten wir: Schaut euch das an, damit kann man Geld verdienen." Nach fast eineinhalb Jahren waren die Mittel da und man konnte etwas verschnaufen. Aber nur leicht. Denn so, wie Outlast ein Spiel über konstanten Druck, das Gefühl von Unwohlsein und die Angst vorm Scheitern ist, waren es die Umstände, unter denen es entstand. Eine Million Dollar schaden niemandem, reichen allerdings nicht ewig, und so musste sich Red Barrels an einen straffen Zeitplan halten. "Kurz gesagt: Wir mussten das Spiel fertigstellen, bevor uns das Geld ausging" - gerade einmal 14 Monate blieben für die reine Produktion, nachdem die CMF-Finanzspritze abgedrückt wurde. Zum Glück hatte man in den vergangenen 18 Monaten reichlich Bedenkzeit. Experimente? Undenkbar. Bestenfalls die, von denen die Geschichte in ihren zahlreichen Notizen berichtet.
"Outlast zielt auf die Angst vor dem Alleinsein in der Dunkelheit und dem Verfolgtwerden in einer fremden Umgebung ab."
Finden kann man sie in einem First-Person-Spiel, das ohne Waffen auskommt. Die einzelnen Teammitglieder waren an so vielen Third-Person-Spielen beteiligt, konnten keine Schwerter und Pistolen mehr sehen, hatten in den vergangenen Jahren hauptsächlich befolgen müssen, was der Markt diktiert. Outlast übt sich dagegen in Reduktion. In seinen besten Momenten ist es eines der intensivsten Horrorspiele der letzten Jahre und entmachtet den Spieler bis auf die Knochen. Vor allem mit einer Videokamera als Trennwand zwischen seinen Augen und den Schrecken der Anstalt. Flucht statt Kampf. Verstecken und Ausharren statt Siegen und Triumphieren. Es zielt auf unsere Urängste ab, die Angst vor dem Alleinsein in der Dunkelheit und dem Verfolgtwerden in einer fremden Umgebung. Situationen, die uns überfordern. Outlast pflegt dieses Verständnis von Spielspaß, auch wenn es streng genommen keiner ist.
Für Morin und seine Kollegen stand das Konzept recht schnell. Der Spieler sollte leiden und unter konstantem Druck stehen. Zombies? Waren keine ernsthafte Überlegung. Das Team mochte die Vorstellung mental gestörter Insassen mit krimineller Vergangenheit, einem unberechenbarem Faktor, der diese Individuen ausmacht. Die Agentur Thwacke Consulting, die es sich zur Aufgabe macht, authentische wissenschaftliche Hintergründe für Videospiele zu liefern, steuerte sogar Profile von echten Serienkillern bei. Besonders ein Charakter verkörpert diesen Wahnsinn: ein Doktor mit rostiger Schere, nicht mehr am Körper als eine blutbesudelte Schürze, der den Hauptcharakter durch die Gänge hetzt und sich nicht abschütteln lässt. "Wie schön wäre hier eine Waffe", dachten sich viele von euch, hm?
Zumal die blanken, wehrlosen Hände im angestrebten Überlebenskampf, den Red Barrels vermitteln will, Sinn haben, jedoch weniger erzählerisch. Klar, der Kerl ist ein Reporter und muss mit der Kamera in der Linken die Story seines Lebens einfangen, aber er greift sich nicht mal einen morschen Knüppel. Und das, nachdem er ein Dutzend Mal dem Tode entrinnt, vor Irren mit Macheten flüchtet, sich fast in Ohnmacht keucht und zittert? Wer würde das nicht tun?
"Hier, jetzt schieß ihm ins Gesicht"
"An wenigen Stellen hatten wir tatsächlich eine Pistole angedacht. Als Belohnung mit zwei, drei Kugeln drin", verrät Morin. "Für diesen Kerl, der dich die letzten 30 Minuten verfolgte und dir die Zeit zur Hölle machte. Hier, jetzt kannst du ihm ins Gesicht schießen." Aber dazu kam es nicht, und großen Anteil daran hatte die Premiere in der Öffentlichkeit: PAX East 2013 in Boston.
Red Barrels war mit einem Stand vertreten. Das erste Mal konnte man einen Blick auf das werfen, was noch in Jahren irgendwelche "Die gruseligsten Spiele aller Zeiten"-Listen zieren wird. Darüber war man sich in den damaligen Stunden nicht sicher. Das Team war nervös. Als Entwickler ist man schnell blind gegenüber seiner eigenen Arbeit - würde es den Leuten Angst einjagen, so zünden wie erhofft? Die Anspielstationen waren in Dunkelheit gehüllt, Probespieler so weit isoliert, wie man es auf einer Messe nur sein kann. "Als wir ihre Schreie hörten, waren wir erleichtert", feixt Morin, "wir kicherten die ganze Zeit über nur noch". Einige Kerle sprangen aufgeschreckt durch den Stand und rissen eine Wand um. Fürs Team war es der größte Moment. Ein unglaublicher Motivationsschub.
"PAX East war wahrscheinlich der größte Moment für uns"
An diesem Tag fiel kurzzeitig die Last ab, der Druck, dass es bis hierher alles länger dauerte, als es sollte. "Das Schöne ist dieser Punkt, an dem man denkt: Jetzt hast du es! Der Rest gestaltet sich dann deutlich einfacher." Die Altlasten der großen Studiokultur schleppte Red Barrels während der Produktion noch lange mit sich herum. Sie mussten sich selbst zwicken und daran erinnern, dass die Zeiten von Ubisoft vorbei sind. "Es kommen nicht mal eben 50 Leute dazu und helfen dir, sobald ein anderes Projekt beendet ist", so Morin, und in seiner Stimme liegt kein Bedauern. "Diese alten Reflexe kehrten ein paar Mal wieder, aber dann schauten wir aufs Budget und kamen schnell in die Realität zurück", lacht er.
Am Ende hat es mit zehn Leuten geklappt, jedoch nicht für alles gereicht, was man gern umgesetzt hätte. Die athletische Seite des Charakters wollten die Entwickler deutlicher betonen. Nicht Mirror's-Edge-deutlich, indem man ihn von Dach zu Dach springen lässt oder zum Stuntman ausbildet. Das hätte weder zu seinem Wesen noch zum Körperbau gepasst. Angedacht war beispielsweise das Festhalten an Objekten, wenn man fällt, das Rutschen über Tische, um die Verfolgungsjagden spannender zu machen. "Die Umgebungen in der Anstalt hätten das nicht gerechtfertigt", erklärt Morin, "in Zukunft werden wir hoffentlich Kulissen mit größerer Abwechslung schaffen können".
In Zukunft? Ja, die ist inzwischen gesichert. Eine Fortsetzung gilt als beschlossene Sache. Bereits im Frühjahr will man in die Produktion gehen. Diesmal mit sicherem finanziellen Hintergrund, mehr Zeit, weniger Druck und ohne die Startschwierigkeiten, denen das Team fast eineinhalb Jahre lang ausgesetzt war. Und auch wenn diese Geschichte an einigen Stellen holprig verlief, man sich unsicher war und bangen musste, ist am Ende alles gut gegangen. All das, was man selbst durchlebte, konnte ins Spiel einfließen. "Wir wollten starke Emotionen erzeugen", gibt sich Phil zufrieden, "und das haben wir geschafft".