Skip to main content

Die Erotik des Sammelns

Von der Faszination, Spiele nie auszupacken

Geschichten in modernen Spielen können großartig sein. Episch. Wie etwa bei der Final Fantasy-Reihe. Weil es darin nicht nur um den kalten Programmcode geht, nicht nur um Nullen und Einsen. Doch manchmal sind auch Geschichten über die Menschen hinter den Spielen einen Blick wert.

Solche Geschichten können spannend sein.

Lustig.

Traurig.

Oder verrückt. Zumindest ein bisschen. So wie die folgende.

Diese Geschichte, und jetzt geht's in medias res, handelt von Männern, die für ein einziges Spiel manchmal vierstellige Beträge zahlen – es dann aber nicht mal auspacken. Von Gamern, die im Internet zehn Exemplare eines Titels ersteigern, um letztlich eins zu bekommen, bei dem es sich wirklich um die Erstauflage handelt. Von Enthusiasten, die ihren Spielen ein eigenes Zimmer widmen, dessen Fenster nach Norden gerichtet ist – um die Liebhaberstücke vor der Sonne zu schützen – natürlich! Von Menschen, die an Verpackungen schnüffeln, weil sie so schön neu riechen. Von Menschen, die nicht böse sind, bezeichnet man sie als ein bisschen verrückt.

Kurz: Diese Geschichte handelt von Extrem-Sammlern.

Richie, Sammler aus Ipswich, hat Spiele im Wert von 40.000 Euro zu Hause.

Stellt Euch vor, Ihr hättet eine neue Freundin. Oder auch einen neuen Freund, falls Ihr eine Frau seid oder Klaus Wowereit heißt. Wie auch immer, stellt Euch vor, es ist ein lauer Sommerabend. Der neue Partner: sexy, gut riechend. Ihr habt vielleicht ein Gläschen Wein getrunken. Was passiert? Logisch: Falls Ihr nicht streng katholisch erzogen wurdet oder gerade die Sportschau läuft, wollt Ihr das neue Herzblatt bestimmt an- und vor allem auspacken. Besser früher als später.

Spiele generieren hin und wieder ähnliche Vorfreude. Von Erotik zu sprechen, wäre vielleicht zu viel. Ein gewisses Knistern ist aber sicher nicht abzustreiten: Man hat sich soeben das heiß erwartete God of War 3 oder Diablo 3 besorgt, kommt zu Hause an, startet die PlayStation beziehungsweise den PC und zieht – vielleicht sogar mit leicht zitternden Fingern – am Abrissstreifen der Schutzfolie. Es ist, als entkleide man das Spiel. Jetzt geht’s gleich los. Wahnsinn!

Doch was beim einen die Glückshormone Dopamin und Serotonin gemeinsam Lambada tanzen lässt, verursacht beim anderen möglicherweise Albträume: Menschen, die Games kaufen, aber nicht auspacken. Sammler, die sich hier und da treffen, um über originalverschweißte Spiele fachzusimpeln.

Ausgerechnet zwei Deutsche stecken hinter dem Projekt „Sealedgameheaven.com“: Der 24-Jährige Pascal Schubert aus Rheinland-Pfalz und sein Freund Hardy haben vor zwei Jahren jenes Paradies für die Königsklasse der Sammler ins Leben gerufen. Es sei die erste, größte und einzige Community dieser Art, betont der Mathematik-Student.

Ein Blick in Richies Wohnung zeigt: Er sammelt auch andere Dinge.

Doch was macht das Hobby „Sealed Games“ so reizvoll? Um dieser Faszination auf die Spur zu kommen, unterhielt sich Eurogamer.de nicht nur mit den Gründern des Forums, sondern auch mit einem britischen und einem russischen Sammler.

Ein Spiele-Zimmer, dessen Fenster nach Norden gerichtet ist – der 28-jährige Richie aus dem britischen Ipswich hat sich ein solches kleines Reich geschaffen. „Mit geschlossenen Vorhängen, um zu verhindern, dass die Spiele vom ultraviolettem Licht beschädigt werden“, wie er sagt.

„Ich versuche auch, die Temperatur konstant zu halten, um Feuchtigkeit und Kondenswasser zu minimieren, weil Nässe die in Plastik aufbewahrten Sammlerstücke angreifen könnte“. Darüber hinaus hat der Engländer eine Extra-Versicherung abgeschlossen. Was zunächst übertrieben klingt, relativiert sich ein wenig, wenn man weiß: Der Sammler beziffert den Wert seiner 1.200 Konsolenspiele, von denen 900 versiegelt sind, auf knapp 35.000 Pfund. Das entspricht umgerechnet fast 40.000 Euro. „Einige meiner Sammlerstücke sind quasi unersetzlich“, sagt Richie – der in der Szene „Gemini-Phoenix“ heißt.