Die Erotik des Sammelns

Versiegelte Spiele zu sammeln, scheint übrigens eine kleine Wissenschaft. Denn manchmal ist es gar nicht so einfach zu erkennen, ob Titel wirklich neuwertig sind oder nachträglich verschweißt wurden. Pascal arbeitet deshalb an einem „Sealed Guide“, also einem Leitfaden, der für jedes System ganz spezifische Kennzeichen erläutert. „Hier erlangt man schnell ein fundiertes Wissen, mit dem es leicht fällt, fabrikneu versiegelte Spiele von Fälschungen zu unterscheiden.“ Ja, wo gesammelt wird, wird auch betrogen! Fälscher gibt es ja beispielsweise auch – Kenner wissen das – im Fall von Überraschungseier-Figuren oder bei Waffen für Star Wars-Miniaturen.

„Verschweißte Spiele zu sammeln, ist ein gefährliches Geschäft“, betont Anton. Nicht der aus Tirol, die blond gebleichte Trällerstrickmütze, sondern Anton, der Ingenieur aus St. Petersburg. „Einige Spiele sind sehr teuer. Tausende von Dollar, falls das jemand nicht weiß. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass ich auch etliche nachträglich versiegelte Games gekauft habe. Erst als ich sie öffnete, sah ich, dass sie gebraucht waren. Es ist eine Schande. Aber auch eine notwendige Erfahrung.“

Anton hat es ohnehin schwerer als viele andere Sammler auf der Welt. In Russland kann man nicht einfach in den nächsten Supermarkt spazieren, um Spiele zu kaufen. Es sind einfach nicht alle zu bekommen. Abgesehen davon wird häufig mit Raubkopien gehandelt. Die sind zwar fachmännisch gefälscht, aber eben keine Originale. Da verwundert es nicht, wenn der junge Mann aus St. Petersburg beim Gedanken, jemand könnte ein originalverschweißtes Chrono Trigger von 1995 aufreißen, Panik im Blick erkennen lässt: „Nur die Vorstellung … oh je, das wäre ein Verlust von 2.000 Dollar. Herzattacke!“

Anton ist einer der wenigen Extrem-Sammler, die auch PC-Spiele horten. Konsolen-Anhänger seien gemeinhin enthusiastischer als Computerspielezocker, meint der 26-Jährige. „Ich denke, die Videospielewelt bietet eine größere Auswahl, während der PC-Bereich sehr geradlinig ist und enger gesteckte Grenzen hat.“ Sein liebstes Stück für den Personalcomputer ist ein verschweißtes Baldur's Gate 2: Shadows of Amn. Natürlich kein gewöhnliches, sondern die Collector's Edition. In der asiatischen Fassung. Limitiert auf 7.000 Stück weltweit. „Somit ist es ein wirklich seltenes Juwel.“

Ins Schwärmen gerät der Russe, der sich auch „Dark Sol“ nennt, aber besonders wegen seines absoluten Lieblings. Defenders of Oasis (Sega Game Gear) erwarb er mit viel Glück zu einem Spottpreis. Den genauen Wert könne er nicht nennen. „Für den einen ist es nichts. Aber ein anderer Sammler würde vielleicht seine letzte Unterhose dafür verkaufen.“ Dankbar ist Anton einem Deutschen. Von dem bekam er Arcana für das Super Nintendo. Falls besagter Herr mitliest, weiß er jetzt, dass sich sein Spiel wahrlich in guten Händen befindet.

Auf den Gesamtwert seiner Sammlung angesprochen gibt sich Anton bescheiden. „Nicht all zu viel. Ungefähr 25.000 Dollar. Doch das ist nur der grobe Wert. Zeit und Aufwand sind unbezahlbar.“ Das wahrscheinlich teuerste Spiel in seiner Kollektion sei Panzer Dragoon Saga (Sega Saturn). Doch auch hier hält sich der Ingenieur mit einer genauen Preisangabe zurück. Wer danach fragt, welche Titel ihm noch abgehen, bekommt folgendes zu hören: „Viele! Und viele! Kürzlich habe ich aber Mystaria für das Sega Saturn erbeutet. Es war eins der letzten Spiele, die ich für meine Saturn-Sammlung brauchte. Ich bin glücklich“, sagt er und lächelt.

Dass Mädels nicht gerade auf Sammler abfahren, weiß auch Anton. Es ist ihm aber schnuppe. Zum einen, weil ihm eine verständnisvolle Freundin zur Seite steht. Zum anderen sieht es der 26-Jährige pragmatisch: „Jeder hat andere Hobbys. Einige sammeln getragene Unterhosen. Also was soll's?“ Apropos Unterhosen: Für den jungen Russen macht hinsichtlich seiner Sammelleidenschaft unter anderem der Geruch neuwertiger Games einen Teil der Faszination aus. „Er weckt Erinnerungen.“

Einen Rat für Spieler, die mit dem Sammeln beginnen wollen, hat Anton auch: „Versuche, nicht alles zu sammeln. Sammle nur Dinge, die du wirklich magst. Ich würde sagen: Beginne mit den Titeln, die du am sehnsüchtigsten haben möchtest und die am schwierigsten zu kriegen sind.“ Ein bisschen durchgeknallt sollte man obendrein sein: „Für die größten Errungenschaften der Menschheit waren total verrückte Leute verantwortlich. Um der Beste zu werden, musst du wahnsinnig sein!“. Sealed-Game-Sammler haben also tatsächlich kein Problem damit, als verrückt bezeichnet zu werden. Und Selbstironie macht sympathisch. Sehr sogar.