Die Eurogamer-Textwerkstatt: Anatomie eines Spieletests - Teil 2
Verbeugung und Vorhang: Das Fazit
Nichts Neues und nicht zu viel
Was man auf jeden Fall vermeiden muss, ist, neue Aspekte im Fazit auftauchen zu lassen. Das gilt für alle Varianten. Wenn im Text die Grafik als Schandfleck nicht einmal erwähnt wurde, ist es sehr seltsam, wenn im Fazit ein Satz wie "Die Grafik war furchtbar" auftaucht. Warum, wenn es so wichtig ist, wurde nicht vorher darüber gesprochen? Warum ist sie so furchtbar? Das Fazit ist nicht der Ort für solche Ausführungen. Wenn man etwas vergessen hat, wird es hier nicht nachgeholt, sondern an der passenden Stelle im Text eingefügt.
Über den Umfang des Fazits entscheidet bei der Form der Zusammenfassung der Umfang des Tests und die Art des Spiels. Wo es viel zu erzählen gab, wird auch viel zusammengefasst. Bei der Variante, die den Text abschließt statt noch einmal in verkürzter Form wiederzugeben, gibt es kaum ein richtiges Maß, außer, dass es nicht länger als drei Absätze sein sollte. Wenn man danach immer noch etwas zu sagen hat, sollte man sich Gedanken machen, warum das im Text keine Erwähnung fand oder nicht weiter ausgeführt wurde. Man kann es nicht oft genug sagen: Ein Fazit enthält wertende Aussagen und/oder verkürzte Wiederholungen dieser aus dem Text, aber niemals neue Informationen.
When in Rome... - Wie kann man ein Fazit aufbauen
Wie schreibt man jetzt ganz konkret ein gutes Fazit? Dafür gibt es kein Rezept. Jedes Spiel ist anders, jeder Text ist anders, jeder Stil ist anders. Demzufolge gibt es auch immer verschiedenen Arten, an ein Fazit heranzugehen. Der erste Ratschlag wäre: "When in Rome, do as the Romans do". Man muss sehen, wo der Text veröffentlicht wird und schon hat man das Grundgerüst stehen oder weiß zumindest, in welche Richtung es geht. Man sollte sich dann, sofern es sich nicht um eine der Fazit-losen Publikationen handelt, eine Liste im Geiste machen, was die drei oder vier wichtigsten Aspekte des Spiels sind, seine sie nun gut oder schlecht. Danach macht man sich wie ein Anwalt der Gegenseite gedanklich auf die Suche nach genauso vielen Dingen, die diese erste Liste relativieren oder einen wie auch immer gearteten Ausgleich bieten. „1) Umfangreich 2) schöne Grafik 3) Gute Steuerung 4) Schwache Story" wären ein Beispiel für Liste 1, Liste 2 dazu könnte lauten „5) wenig Abwechslung 6) Einige starke Charaktere".
Auf diese Weise hat der Leser einen generellen Überblick über Kernaspekte und man selbst vergisst im Eifer der Formulierung diese Eckdaten nicht. Jetzt muss der Inhalt in Form gebracht werden. In den allermeisten Fällen lassen sich diese Informationen auf relativ wenige Zeilen pressen, da ausführliche Erklärungen, warum etwas gut oder schlecht ist, bereits abgehandelt wurden. Ein Fazit, das nur einen Absatz einnimmt, ist nicht schlecht. Es heißt einfach nur, dass die Lage in diesem Falle eindeutig war, Gut und Böse sind leicht zu erkennen und zu erklären.
Manchmal ist die Welt aber nicht so einfach gestrickt. Ein Spiel kann alles richtig machen, zumindest auf einem grundsätzlichen Level, aber Spaß hatte man am Ende trotzdem nicht. Das lässt sich nicht einfach so festmachen, es ist halt das Gefühl des Spielspaßes, das sich trotz allem nicht einstellt oder, eben genau andersherum, man hat viel zu kritisieren, liebte das Game aber trotzdem. Dieser scheinbare, aber doch relativ häufig im richtigen Leben auftauchende Widerspruch erfordert in den meisten Fällen ein paar Worte mehr. Hier sollte das Fazit nicht der erste und einzige Ort im Text sein, wo das angesprochen wird, aber es ist der mit Abstand wichtigste.
Es darf auch spätestens hier wirklich persönlich werden. Selbst wenn man im bisherigen Text einen sehr objektiven Stil verfolgte, an diesem Punkt muss die eigene Meinung zu dem Spiel kommen und diese kann halt auch entgegen einzelner Punkte laufen. Selbst offensichtlicher Schrott darf einem manchmal gefallen. Man muss es nur irgendwo ein wenig begründen können. Deadly Premonition ist halt Trash und diesen darf man lieben. Man muss halt nur klar sagen, dass es Trash ist, bevor man in Lobeshymnen verfällt.
Das Beste kommt zuletzt - Der letzte Satz
Zum Schluss das Wichtigste. Wie schon zu Beginn angesprochen, ist in einem Test der letzte Satz mehr als nur der letzte Satz. In der Regel ist das Fazit der erste Teil eines Tests, der gelesen wird und sehr oft der letzte Satz der Part davon, auf den der Blick zuerst fällt. Deshalb ist dieser Satz vielleicht der Bedeutendste im ganzen Text. Es ist der Satz, der in Erinnerung bleiben wird, mit dem man den Test später zitieren wird, das in vielen Fällen einzige, was bleibt. Wenn überhaupt.
Deshalb sollte der letzte Satz eine kernige Aussage enthalten, die die Essenz zusammenfasst und das gilt für alle Arten von Fazits, die hier genannt wurden. Man beendet das nicht einfach auf einem beliebigen Feature, sondern sollte dem Leser ein Gefühl mitgeben, mit dem er in das Geschäft gehen kann und an das er sich erinnert, sobald er die Packung sieht.
Wenn man es geschafft hat, dass genau das passiert, dann hat man erfolgreich beraten und kann sich zufrieden zurücklehnen. Bis dann die Beschwerde-Postings hereintrudeln, wie dämlich die geäußerte Meinung doch sei. Aber damit muss man dann leben.