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Die Eurogamer-Textwerkstatt: Anatomie eines Spieletests - Teil 4

Die Relativität von Objektivität und Subjektivität: Die Wertung

Alles in einer Zahl: Die Wertung

Jetzt werden die Wasser tief und trügerisch. Es gibt wohl kaum ein heiß diskutierteres Thema als die Wertung eines Tests. Die Bandbreite der möglichen Wertungsvarianten reicht von Texten ohne eine wie auch immer geartete Form einer solchen bis hin zu ganzseitigen, mit Diagrammen verzierten Kunstwerken. Der Kern der Debatte ist dabei mögliche Objektivität gegenüber automatisch unvermeidlicher Subjektivität.

In diesem Diskurs habe ich mich vor langer Zeit für eine Seite entschieden und werde darlegen warum, aber auch die Argumente anführen, die für die andere Seite sprechen können.

Die qualifizierte Subjektivität

Ich bin ein zwar nicht hundertprozentiger, aber doch recht glaubensfester Anhänger der Subjektivität einer jeden Wertung. Zumindest der qualifizierten Subjektivität. Das hängt mit der Natur der Wertung eines Mediums zusammen, dessen Qualitäten so stark im Auge des Betrachters liegen wie die eines Videospiels. Man kann einige Eckdaten wunderbar festlegen. Spieldauer, Feature-Umfang, Grundwerte der Grafik, solche Dinge lassen sich zählen und vermessen. Eine reaktionsfreudige Steuerung ist besser als eine hakelige, eine intelligente Wegfindungs-KI besser als eine an den Brücken scheiternde.

Dummerweise spiegeln diese Einzelaspekte nur sehr bedingt den Gesamteindruck eines Spiels wieder. Hier entspricht praktisch die Summe der Teile nie dem Ganzen. Ein Spiel kann trotz verfehlter Punkte beinahe restlos begeistern, so wie gut umgesetzte Grundlagen noch lange keinen Hit garantieren müssen.

Daher gibt es eigentlich nur einen wichtigen Eindruck und das ist das eigene Gefühl nach dem Spiel. Man spielt es durch, schläft am besten noch einmal darüber, nimmt den Eindruck, wendet ihn geistig ein wenig hin und her, denkt über gute und schlechte Momente nach und bekommt so eine gute und in der Regel schon sehr genaue Richtung. Warum mochte man etwas und warum mindern die schlechten Aspekte dies nicht sonderlich? Warum hasste man ein Spiel und waren es gute Gründe? Stellt man sich diese Fragen und beantwortet man sie ehrlich, dann hat man in der Regel das Ergebnis geistig vor sich stehen.

Ehrlichkeit mit sich selbst

Das mit der Ehrlichkeit ist manchmal so ein Problem. Es passiert schnell, dass man einem Spiel entweder zu positiv oder auch zu negativ gegenüber eingestellt ist und das aus den verschiedensten Gründen. Es kann eine eigene Vorliebe zu einem Franchise sein. Star Wars, Halo oder Dragon Age ist meine Leib- und Magenspeise, da ist mir auch schon mal egal, ob mit allen Zutaten gekocht wurde. Es kann sein, dass einem der Grafikstil von Brink stilistisch auf ganz persönlicher Ebene einfach nicht liegt. Vielleicht fand man den Hauptdarsteller in Duke Nukem Forever so widerlich, dass man es schwer hat, noch klaren Blickes den Rest des Spiels zu betrachten.

Das sind Dinge, über die man im Text reden muss. Sie müssen erwähnt und ausgeführt werden und sie können auch eine Herab- oder Aufwertung nach sich ziehen. Aber so etwas muss man sich erst einmal selber klarmachen – und das so schonungslos wie es geht – und dann dem Leser angemessen vermitteln. Das Ergebnis kann sogar eine Wertung sein, die deutlich unter dem liegt, was die vermeintlichen Einzelaspekte hergeben sollten - oder über dem Ganzen. Konkrete persönliche Beispiele von meiner Seite wären das letzte Bond-Spiel Blood Stone, das trotz Shooter-Kompetenzen einfach nur Langeweile aufkommen ließ, während ich einem Alone in the Dark oder Fable 3 ihre definitiv vorhandenen Schwächen verzeihen konnte. Sie minderten das Spielerlebnis nicht so sehr, so wie Blood Stone keine Gewinne aus hübscher Grafik oder guter Steuerung ziehen konnte. Diese Aspekte müssen – wirklich MÜSSEN – im Text detailliert angesprochen werden und es muss klar werden, warum sie auf die Wertung keinen großen Einfluss in diesem ganz speziellen Fall hatten. Dann ist die eigene subjektiv gefundene Wertung erst qualifiziert und auch zu rechtfertigen.

Ein Teil der Akzeptanz des subjektiven Ansatzes besteht genau darin. Man muss die persönlichen Anteile der Wertung analysieren, gegebenenfalls korrigieren und darf die eigene Meinung nicht über aller Gebühr freien Lauf lassen. Willkür darf nicht auftauchen, so wie die Grundgefahr reisender Spieljournalisten, nämlich Sympathien für nette Entwicklungsteams, die man kennenlernte, gebändigt werden muss.

Die eigene Ansicht muss seziert und gewogen werden. Steht man dann immer noch fest bei dem, was man denkt, was das Spiel wert ist, hat man die Wertung. Es ist keine Aufschlüsselung und gewichtete Verteilung im Geiste notierter oder – je nach Publikation – ausgeschriebener Einzelnoten, sondern das eigene, qualifiziert begründete Empfinden über das Erleben des Spiels, konzentriert in die Form von wenigen Zahlen.

Objektivität ist sehr subjektiv

Der Gegenansatz dazu wäre die rechnerische Objektivität einer Kombinationswertung aus einzeln bewertbaren Aspekten. Hierbei beurteilt man einzeln – entweder für sich selbst oder im Rahmen eines aufgeschlüsselten Bewertungsschemas – Bereiche wie Grafik, Sound, Steuerung, Story, Spielspaß und so weiter. Diese werden dann, möglicherweise unter Berücksichtigung von Genre und damit auch Zielgruppe, unterschiedlich gewichtet. Der nächste Schritt ist Mathematik, um eine Gesamtwertung zu erhalten, die dann entweder so stehen bleibt oder im Rahmen der Meinung des Testers leicht angepasst werden kann.

Dieser Ansatz suggeriert eine höhere Objektivität als der der qualifizierten Subjektivwertung, weil er mehr messbare Variablen mit sich bringt. Das Problem beginnt aber genau bei diesen. Die Ermittlung der Gesamtzahl und sogar ihre Anpassung basiert auf einem scheinbar faktischen Fundament, dessen Werte belastbares Zahlenmaterial sind. Dass das nicht der Fall ist, macht eine kurze Betrachtung der Einzelmerkmale klar. Die Wertung einer Geschichte oder des Spielspaßes, sogar eines Grafikstils oder der Musik liegen erneut zu weiten Teilen im Auge des Betrachters.