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Die faszinierende Welt der Hitman NPCs

Die Studie einer ganz besonderen Gattung

Hallo liebe Zuschauer und herzlich willkommen zu einer neuen Folge "Wunderwelt Videospiel"! Mein Name ist Professor Ford T. Sebben, und in unserer Reihe von Dokumentationen hoffen wir, Ihnen die Vielfalt und den Zauber virtueller Welten näherzubringen und Sie mit der ganzen Schönheit der pixeligen Wildnis bekannt zu machen. Heute haben wir ein besonders spannendes Vorhaben auf dem Plan, das uns einem der faszinierendsten Geschöpfe näherbringen soll, die in Gaming-Gefilden so ihr Unwesen treiben: dem gemeinen NPC.

Zu diesem Zweck haben wir uns heute ins wunderschöne Bangkok begeben, das offenbar hauptsächlich aus einem Hotel und etwas Umgebungsgrundstück besteht und vom Rest der Welt, so er denn existiert, durch unüberwindliche Barrikaden abgeschirmt ist. Bereits am Eingang erwartet uns eine bunte Vielfalt diverser exotischer Exemplare. Einige, nach meiner Interpretation Männchen in der Balz, tragen auffällige Kopfbedeckungen, um damit um die Weibchen zu werben.

Eine erste verblüffende Entdeckung: Egal, wie lange ich dieses prächtige Männchen beobachtete, es rührte sich in fünf Stunden nicht einmal von der Stelle. Beeindruckend auch die Reinlichkeit dieser Geschöpfe - das Exemplar mit dem Mopp im Hintergrund wienerte ebenfalls, bis sich die Sonne senkte.

Wie Ihnen jeder Naturforscher erzählen wird, der etwas auf sich hält, darf man seine Umgebung nicht stören und muss versuchen, sich ihr so gut wie möglich anzupassen. Der erste Schritt zur Beobachtung des NPCs in freier Wildbahn ist also vernünftige Tarnung. Nachdem ich in meinem Unterschlupf Stellung bezogen habe, locke ich also eines dieser possierlichen, aber leider sehr scheuen Geschöpfe mit der geballten Expertise eines erfahrenen Dokumentarforschers zu mir. Der Herr vom Zimmerservice erscheint daraufhin auch prompt, und mit der sicheren Hand eines Naturfreunds betäube ich ihn fachgerecht. Keine Sorge, ich versichere Ihnen: Kein NPC wird im Zuge unseres Abenteuers zu Schaden kommen.

Ein anderes neugieriges Männchen mit demselben verzierten Kopfschmuck war über die Betäubung des ersten sehr aufgebracht und musste ebenfalls ruhiggestellt werden.

Aus dem Federkleid unseres ruhiggestellten Freundes basteln wir uns nun eine schicke Tarntracht mitsamt zugehörigem Schmuckkgefieder. Übrigens, bevor wir weiter vorstoßen, an dieser Stelle eine Warnung: Probieren Sie nichts von dem, was sie hier sehen, zu Hause! Ich, Professor Ford T. Sebben, bin ein ausgebildeter Spezialist auf dem Gebiet der Gaming-Zoologie mit vielen Jahren Erfahrung in meinem Feld. Überlassen Sie die Wildnis den Profis!

Im Vorhof des Hotels mache ich schon bald eine spannende Entdeckung: Ein vollkommen einzigartiges Exemplar von NPC, das aus einem der Wissenschaft noch nicht bekannten Grund optisch keinem seiner Artgenossen gleicht! Es ist aus der Distanz selbst für den Fachmann nicht immer leicht zu erkennen, aber sein im Vergleich schlichtes graues Äußeres lässt mich annehmen, dass es sich hier um ein Weibchen handelt, bis ich später die Gelegenheit habe, seine Genitalien zu untersuchen. Es ist beschlossen: Sie soll das erste Subjekt meines heutigen Forschungsausflugs sein, und drum gebe ich ihr vorsorglich den Namen Bertha.

Bertha ist eine echte Entdeckung. Sehen Sie nur das im Vergleich minimale Gefieder am Kopf und schlichte graue Färbung - offenbar zur Tarnung in Bodennähe und im Unterholz gedacht.

Flugs imitiere ich gegenüber Bertha das bereits etablierte Lockgebahren und habe Erfolg - ohne Frage der Verdienst meines überaus schmucken Balzhutes. Mit dem Versprechen auf einen Besuch der Königinnen-Suite - offenbar der Terminus für ein besonders prächtiges Nest - folgt sie mir brav. Ich locke Bertha zurück zu meinem Unterschlupf, in dem ich auch sie mit einem fachmännischen Griff um den Hals betäube. Keine Angst! Durch die natürliche dicke Haut eines NPCs spürt Bertha davon nicht das Geringste! Da sich im Schlafzimmer bereits vier andere befriedete Exemplare befinden (weitere neugierige NPCs inspizierten in der Zwischenzeit mein Domizil und waren so stark irritiert, dass ich sie zum Selbstschutz schlafen legen musste) und ich Bertha in Ruhe und isoliert studieren möchte, befördere ich sie sanft ins Badezimmer. Nun wird das Wartespiel gespielt: Mit meiner schallgedämpften Betäubungspistole Kaliber 9mm im Anschlag warte ich darauf, dass Bertha aufwacht.

Doch dann schlägt das Schicksal zu. Verwirrt und desorientiert erwacht unser Prachtexemplar und zeigt ein Maß an Aggression, das selbst ich nicht erwartet hätte. Ich habe keine Wahl, als Gebrauch von meiner Betäubungspistole zu machen. Doch dann, die Tragödie! Offenbar hat Bertha eine unvorhersehbare allergische Reaktion auf mein vielfach erprobtes Betäubungsmittel, die dazu führt, dass sich spontan mehrere Wunden bilden, aus denen Blut schießt. Obwohl ich das Möglichste tue, um das majestätische Wesen zu retten, kommt jede Hilfe zu spät. Immer, wenn mich diese Art von Trauer erfasst, erinnere ich mich an eine der obersten Maximen der Naturforschung: Der Tod ist ein integraler Bestandteil des Lebens. Es ist der Kreislauf des Lebens, niemand ist hier der Böse und keiner hat schuld.

Die Dinge gerieten aus den Fugen. Die Forschungsergebnisse, die Bertha uns beschert hat, werden nicht vergessen.

Es wird Zeit, die Tragödie abzuschütteln und nach weiteren Forschungsobjekten Ausschau zu halten. Im Zuge dieses Vorhabens stelle ich fest, dass einige der NPCs stark ausgeprägtes Revierverhalten zeigen. Je nachdem, welche Tarnung ich wähle, schirmen sie mich von bestimmten Teilen des Hotels komplett ab. Liegt es daran, dass hier die Jungtiere großgezogen werden? Lag ich mit meiner Einschätzung, es sei Paarungszeit, falsch? Eine spätere Untersuchung wird es zeigen müssen. Interessant aber, dass es offenbar ein klar ausgeprägtes Rollenverhalten gibt. "Wachen" oder "Soldaten" zum Beispiel kennt man auch bei anderen Rudeltieren, etwa Kaninchen, die gezielt dafür abgestellt werden, den Bau zu bewachen. Wir lernen heute wirklich eine Menge.

Eine weitere Feststellung ist allerdings, dass die possierlichen Racker zwar neugierig, jedoch nicht in hohem Maße intelligent sind. So stromern zum Beispiel immer wieder aufdringliche Exemplare in Richtung meines Unterschlupfes, geraten in den bereits beschriebenen Zustand der Erregung und müssen dementsprechend anästhesiert werden. Äußerst störend für unsere Arbeit und kein Zeichen eines ausgeprägten Überlebensinstinktes. Offenbar haben NPCs nicht nur die Sozialstrukturen von Karnickeln, um sich derartige Leichtfertigkeit erlauben zu können, vermehren sie sich wahrscheinlich auch wie welche.

Ich denke, ich brauche ein neues Versteck.

Für eine Weile bleibt meine Suche erfolglos, doch dann erblicke ich das schönste NPC-Exemplar, das ich je gesehen habe! Das Hawaii-Shirt! Die verspiegelte Sonnenbrille! Der Schlapphut! Ganz eindeutig ein Alphatier. Höchstwahrscheinlich liegt ein ähnliches Phänomen vor wie bei höheren Primaten, wo der Rudelführer eine spezielle Phänomenologie aufweist. Einfach wundervoll. Ich muss es haben! Leider befindet sich unser Freund in einem der eben erwähnten abgesperrten Bereiche. Wer als Dokumentarfilmer etwas auf sich hält, muss allerdings gewillt sein, jede Gefahr auf sich zu nehmen und alles zu versuchen, um die wilde Welt zu erforschen.

Mein mutiges Vorhaben, mich vom Balkon meines Unterschlupfes ins untere Stockwerk fallenzulassen, scheitert an einem ganz einfach Umstand: Ich würde mir die Beine brechen. Nachdem ich wenig Glück dabei habe, meine Tarnung in einem Maße zu modifizieren, das es mir erlauben würde, in das Revier unseres Freundes vorzustoßen, besinne ich mich auf meine jahrelang antrainierte Finesse. Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann muss eben eine Ablenkung, in diesem Fall ein Feueralarm dafür sorgen, dass der Berg zum Propheten kommt.

Der Beruf des Dokumentarfilmers ist mit ungeahnter Gefahr verbunden.

Leider versetzt das Getümmel einige der aggressiveren Wachkaninchen in Unruhe. Als ich mich unserem NPC-Silberrücken nähere, zeigen sie höchst bedrohliches Verhalten. Ich habe keine Wahl, als abermals Gebrauch von meiner Beruhigungspistole zu machen. Als sich der Staub legt, sind zwar die weiß gefiederten Wachen besänftigt, doch unser zu erforschendes Exemplar ist unauffindlich getürmt.

Es nutzt nichts, wir werden die Expedition noch einmal starten müssen. Schalten Sie das nächste mal wieder ein, wenn wir mittels alternativer Methoden versuchen, eines der kostbarsten Geschöpfe der Natur besser zu verstehen. In der nächsten Folge untersuchen wir, wie der NPC in freier Wildbahn auf Veränderungen seiner Umgebung reagiert. Bis dahin bereiten wir von Wunderwelt Videospiel schon einmal das C4 vor.

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Leo Schmidt Avatar
Leo Schmidt: Ruiniert sich seit 1990 die Gucker und Stummeldaumen mit Telespielen. Erforscht das Berliner Nachtleben aus sicherer Distanz übers Internet und kriegt Krämpfe, wenn er länger als 15 Sekunden keinen blöden Witz machen darf. Rettet immer versehentlich den Drachen und erschlägt den Schatz.
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Hitman

PS4, Xbox One, PC

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