Die Meisterdetektiv-Pikachu-Macher über Herausforderungen, Zukunftspläne - und Twin Peaks
"Unser sprechendes Pikachu sollte sich möglichst stark von seinem typischen Erscheinungsbild abheben."
Weder Nintendo noch die an das japanische Unternehmen angegliederte Pokémon Company sind für übermäßige oder zumindest unüberlegte Risikobereitschaft berühmt. Diese Eigenschaft ist bei wirtschaftlich agierenden Firmen nicht weiter ungewöhnlich und in diesem konkreten Fall mit einem Verweis auf japanische Zurückhaltung sowie die minutiöse Imagepflege beider Akteure scheinbar schnell erklärt. Diese Faktoren mögen trotz ihrer Oberflächlichkeit durchaus eine Rolle spielen, machen aber nur einen Teil der Rechnung aus. Die weiteren Gründe sind mal schnell nicht mit wenig greifbaren Mentalitäten erklärt, sondern tief in der Struktur des Pokémon-Netzwerkes verankert, diesem gewissermaßen zwingend inhärent.
Wann immer wir vom "Konstrukt" Pokémon sprechen, meinen wir eigentlich (und zumeist ohne es zu wissen) vier eigenständige Unternehmen: Nintendo, Game Freak, The Pokémon Company und Creatures. Jeder dieser Akteure erfüllt präzise die ihm zugewiesene Rolle, von der Entwicklung der Hauptspiele über Marketing bis hin zur Merchandise-Produktion. Das macht die bis heute noch jeden Konkurrenten plattwalzende Pokémon-Maschinerie zu einer so gut geölten, führt aber zugleich zu einem verzweigten Netz aus sich überlagernden Zuständigkeiten, Freigabeschleifen, Entscheidungsgewalt, sprich: Nicht unbedingt einem Umfeld, das spontane Kreativitätsausbrüche provozieren würde.
Auftritt: Creatures, eines jener Unter-dem-Radar-Studios, von denen es da draußen so viele gibt. Seit 20 Jahren stehen sie Gewehr bei Fuß, wenn andere Nintendo-Studios eine helfende Hand benötigen. Auf diese zurückhaltende Weise haben sie an mehr als einem Dutzend Pokémon-Spielen mitgearbeitet, außerdem fast ebenso viele Poké-Spin-offs selbst entwickelt. Nun haben ausgerechnet sie, die unprätentiös im Hintergrund Bleibenden, dem Gewirr sich überschneidender Pokémon-Verantwortungen eines der zotigsten Konzepte der letzten Jahre abgetrotzt: Meisterdetektiv Pikachu.
Den sonst so fröhlichen glucksenden Elektronager - immerhin das Aushängeschild einer millionenschweren, crossmedialen Popkulturlegende - als kaffeeschlürfenden, zynischen Privatdetektiv mit Reibeisenstimme auf die 3DS-Besitzer dieser Welt loslassen? Selbst in der Post-Pokémon-Tekken-Welt kein wahnsinnig naheliegender Schritt, aber einer, der eine gewisse Chuzpe erfordert - und einige Fragen aufwirft. Fragen, die wir in diesem deutschlandexklusiven Interview zwei Creatures-Entwicklern in wichtigen Schlüsselpositionen stellen konnten: Produzent Hiroyuki Jinnai und Director Naoki Miyashita.
Meisterdetektiv Pikachu ist in Japan nun seit fast zwei Jahren erhältlich. Wieso erscheint es im Westen mit solch einer ungewöhnlich langen Verzögerung?
Miyashita-san: Da es sich hierbei um unser erstes Pokémon-Adventure überhaupt handelte, haben wir viel Zeit in die Sprachaufnahmen gesteckt. Außerdem gab es eine lange Checkliste an Dingen, die wir für eine gleichzeitige internationale Veröffentlichung von Detective Pikachu: Birth of a New Duo (eine japan- und E-Shop-exklusive Version des Spiels, die um neue Inhalte erweitert wurde und nun weltweit unter dem Namen "Detective Pikachu" bzw. "Meisterdetektiv Pikachu" erscheint, Anm. d. Red.) hätten abarbeiten müssen. Aus diesen Gründen haben wir uns zuerst für eine Veröffentlichung innerhalb Japans entschieden und anschließend mit den Vorbereitungen am zeitgleichen Release von Meisterdetektiv Pikachu im Rest der Welt begonnen.
Wie eng haben die Pokémon Company und Creatures Inc. zusammengearbeitet? Wie viele kreative Eigenständigkeit kann einem anderen Unternehmen bei solch einer wertvollen Marke zugestanden werden?
Jinnai-san: Die Planung und Produktion oblag Creatures. Wichtige Entscheidungen wurden aber mit Trunekazu Ishihara abgesprochen, dem Geschäftsführer der Pokémon Company und Hauptverantwortlichen der Pokémon-Marke.
Pikachu ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der wichtigste und bekannteste Charakter des Pokémon-Universums. Dort kennen wir ihn als unschuldige, etwas naive Frohnatur. Seine Detektiv-Persona hingegen schlürft literweise Kaffee und hat immer einen flotten Spruch auf den Lippen. Es wäre auch nicht verwunderlich, würde sich Spürnasen-Pikachu am Morgen mal ein Gläschen Whiskey genehmigen. Hat uns Pikachu mit seinem knuddeligen Charme also seit jeher an der Nase herumgeführt?
Jinnai-san: Zu Beginn ging es uns lediglich darum, ein Adventure-Spiel mit Pikachu in der Hauptrolle zu entwickeln. Schließlich haben wir uns von den Pokémon-Animationen inspirieren lassen, oder genauer: vom Zusammenspiel zwischen Ash und Pikachu, wie es den Fans seit 22 Jahren bekannt ist. Wir wollten ein ähnliches Gespann etablieren und haben uns dazu entschieden, eine Geschichte rund um Tim und Pikachu zu erzählen. Im Laufe der Zeit nahm diese vage Idee immer konkretere Züge an. Als wir uns für eine Detektivgeschichte mit Pikachu als Protagonist entschieden hatten, haben wir uns überlegt, Pikachu wie einen grantigen alten Kerl sprechen zu lassen, um das Spiel noch weiter aufzupeppen.
Was Pokémon von anderen ähnlichen Marken unterscheidet, ist der Umstand, dass viele Pokémon derselben Art existieren. Ashs Pikachu ist beispielsweise eben nur eines, aber es gibt viele weitere. In Meisterdetektiv Pikachu stellen wir Tims Pikachu ins Rampenlicht - und das ist nun mal zufällig eines mit einer sehr einzigartigen Persönlichkeit.
Tims Pikachu ist nicht die einzig populäre Spürnase mit einer Vorliebe für guten Kaffee. Ist dieser Wesenszug des gelben Hauptcharakters möglicherweise ein augenzwinkernder Querverweis in Richtung des großartigen Agent Cooper, der sich in einem verschlafenen Städtchen namens Twin Peaks einen Namen gemacht hat?
Miyashita-san: Für Meisterdetektiv Pikachu war es unser Ziel, ein sprechendes Pikachu zu erschaffen, das sich außergewöhnlich stark von jenem Bild abhebt, das man für gewöhnlich von seinen Artgenossen hat. Ein Teil seiner Persönlichkeiten wird durch seine Vorliebe für Kaffee definiert. Selbstverständlich ist uns Agent Cooper aus Twin Peaks bekannt. Er diente uns allerdings nicht als Vorlage für Pikachus Charakter.
Welche Schwierigkeiten gingen damit einher, die etablierte Pokémon-Formel in ein anderes Genre-Korsett zu übertragen - in diesem speziellen Fall das eines Adventure-Spiels? Gab es je "Wenn wir das tun, ist es kein Pokémon mehr"-Momente?
Jinnai-san: Wir haben bei Creatures bereits andere Pokémon-Spin-Offs entwickelt, aber wir haben noch nie an einem Spiel eines völlig anderen Genres gearbeitet. Es lief nicht immer alles glatt, Meisterdetektiv Pikachu sinnvoll in die Riege anderer Pokémon-Spiele zu integrieren. Besonders wichtig war uns, dass sich die Rätsel nie zu sehr in den Vordergrund drängen oder dem grundliegenden Flow des Spiels gar im Weg stehen. Zugleich mussten diese Elemente jedoch sinnvoll in den Pokémon-Kontext eingewoben sein - keine leichte Aufgabe. Überraschenderweise stießen wir aber nur auf wenige "Wenn wir das tun, ist es kein Pokémon mehr"-Momente. Game Freaks Charakterisierung eines jeden einzelnen Pokémon ist sehr rigoros und gründlich, sodass sie unserer kreativen Behandlung mehr als gewachsen waren.
Bislang macht Meisterdetektiv Pikachu lediglich vom parallel zum Spiel veröffentlichten Meisterdetektiv-Pikachu-Amiibo Gebrauch. Werden künftig noch weitere Figuren unterstützt?
Jinnai-san: Nein, es wird keine weiteren kompatiblen Amiibo geben.
Ein kleines Gedankenspiel mit Blick auf künftige Projekte: Würden Sie lieber ein Professor-Layton-, Pikmin- oder Donkey-Kong-Crossover entwickeln?
Jinnai-san: Das ist eine ziemlich knifflige Frage! Das sind alles großartige Spiele - jedes würde ein tolles Crossover abgeben. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass in der Welt von Pokémon noch jede Menge Potential schlummert. Deshalb würde ich mich zunächst gern darauf konzentrieren, das Meisterdetektiv-Pikachu-Konzept auszubauen.