Die Zufriedenheit, nachdem man Redfall angespielt hat: Vampire, coole Skills und eine schöne offene Welt
Und bald nicht mehr "always-online"!
Na endlich konnte ich mal selbst Hand an Redfall legen. Es wurde wirklich so langsam mal Zeit, denn aus den ersten Trailern des Vampir-Shooters wurde wohl nicht nur ich nicht so richtig schlau. Dabei war ich nicht mal einer von denen, denen missfiel, was sie da sahen. Ich hatte nur den Eindruck, es sei eine Art Left 4 Dead nur mit Vampiren. Aber nachdem ich das Spiel nun 90 Minuten zocken durfte und mich anschließend mit Design-Legende Harvey Smith über den neuen Titel unterhielt, habe ich ein ziemlich konkretes Bild davon, was uns erwartet.
Wollte ich es kurz machen, würde ich sagen, es ist ein Arkane-Spiel der Action-lastigeren Sorte, das man wahlweise auch zu zweit, zu dritt oder zu viert angehen kann. Laut Smith, der unter anderem ein kleines Spielchen namens Deus Ex als Lead Designer maßgeblich zu verantworten hatte – das Original, nicht das Soft-Reboot von Eidos Montreal – war Redfall von Anfang an so geplant, dass man es auch im Koop spielen kann. Allerdings hat sich der texanische Arm des Studios selbst ein paar wichtige Regeln aufgestellt:
“Von Tag eins an stellten wir uns die Frage: Was, wenn wir Arkanes Spiele nähmen, und ein Open-World-Koop-Spiel daraus machten? Wir stritten darüber, ob das funktionieren würde. Ich war davon überzeugt, denn Open-World-Spiele sind schon recht nahe an Immersive Sims. In der Frage, ob es im Koop funktionieren würde, kamen wir zu dem Schluss, dass es unermesslich wichtig sein würde, den Einzelspieler das komplette Projekt hindurch zu schützen”, beschreibt Smith den Denkprozess zum Start der Entwicklung.
Immersive Sim oder nicht? Das hängt davon ab!
“Wir wollten keine einzige Fähigkeit haben, bei der steht ‘im Koop macht dieser Skill dieses oder jenes’. Es mussten Fähigkeiten sein, die sowohl Solo als auch im Mehrspielermodus funktionieren.” Und für Smith war klar, sobald das Einzelspielererlebnis gut funktioniert, ist alles in Butter. “Wir wissen, dass der Koop wahrscheinlich einfach nur noch mehr Spaß macht, wenn das Spiel solo funktioniert.”
Laut Smith fühlt sich Redfall am ehesten nach der klassischen Arkane Genre-Hausmarke der Immersive Sim an, wenn man es allein oder zu zweit spielt. Zumindest für den ersten Teil dieses Satzes kann ich das bestätigen, denn Solo ist alles, was ich an diesem Tag in Berlin ausprobieren durfte. Von den vier Charakteren wählte ich Layla, die mit ihrem schützenden Telekineseregenschirm Projektile fängt, geisterhafte Fahrstühle erscheinen lässt, die die Spieler zehn, 15 Meter in Luft schleudern. Als Ultimate beschwört sie ihren vampirischen Ex-Freund (!), der unter den Gegnern wütet, wie ein besonders sadistischer Wolf im Karnickelstall. Jede der vier Figuren bringt einen eigenen überschaubaren, aber mächtigen Dreier-Satz an Skills mit nach Redfall, von denen jeder einen eigenen Fähigkeitenbaum besitzt.
Und natürlich reagiert auch jeder Charakter mit eigenen Gedanken auf das Geschehen in der Stadt, die in einer ewigen Sonnenfinsternis gefangen ist, seit die Experimente eines Pharma-Unternehmens zu einer Vampirplage führten. Smith fährt fort: „Was den Koop betrifft: wenn man alleine spielt, großartig! Dann fühlt es sich wie ein Arkane-Spiel an. Auch wenn wir zwei zusammen spielen und es ernst meinen damit, fühlt es sich wie ein Arkane-Spiel an. Wir schleichen ein bisschen, warten aufeinander, wenn einer von uns etwas checken will. Aber sobald eine dritte oder vierte Person dabei ist, fühlt es sich nicht mehr wie eine Immersive Sim an. Dann ist es eine Party. Zu viert laufen die Leute wild herum, einer schießt plötzlich ohne Vorwarnung, Gelegenheiten zu schleichen oder sein eigenes Tempo zu gehen, gibt es nicht mehr. Dann ist es ein komplett anderes Spiel. Ob es im Koop also noch eine Immersive Sim ist? Hängt davon ab!“
So fühlt sich Arkanes Redfall an
„Aber ja, wir haben den Eindruck, dass jeder aus dem Hands-on mit dem Eindruck herauskommt, dass es sich wie ein Arkane-Game anfühlt“, versichert er. „Das ist sehr befriedigend für uns.“ Und ja, so wie ich das Spiel allein erlebt habe, sind die Arkane-Wurzeln unübersehbar. Neben Dingen, die aus den Spielsystemen heraus entstehen, gibt eine Menge handgemachter Orte und Begegnungen, Quests in Gebäuden, mit geskripteten Ereignissen, Rätseln und Story-Einsprengseln. In jedes der betretbaren Gebäude — viele Häuser sind seit der Katastrophe verrammelt — führen mehrere Zugänge, für Leute, die genau hinschauen und Devinders Teleport-Maschine, Jacobs Unsichtbarkeit oder Laylas magisches Fahrstuhl-Sprungkissen klug einzusetzen wissen.
In der Praxis knallt das Waffenfeedback ordentlich, die Bewegung fühlt sich schmissig an und als Layla massiv Airtime zu sammeln, machte mir eine Menge Spaß. Vor allem, nachdem ich durch Upgrades auf dem Skilltree noch mehr Schaden aus der Luft anrichtete, kreierte ich regelmäßig Situationen, in denen ich kaum noch den Boden berührte. Höchstens noch, um angeschlagenen Vampiren mit dem Pflock-Bajonett an meiner legendären Schrotflinte den Rest zu geben. Auf rein mechanischer Ebene fühlt sich Redfall schon mal gut an.
Die Arbeit im Open-World-Rahmen war für das Studio aber wohl nicht ganz einfach, immerhin hat man Ansprüche an das eigene Weltdesign in den vergangenen Jahren recht weit hochgeschraubt: „Stellt euch eine L-förmige Straße wie in Dishonored vor, diese Straße hat etwa 20 Punkte von Interesse”, so Smith. “Stell’ dir diese Dichte in einem kompletten Häuserblock vor… Es ist exponentiell mehr Arbeit, wenn du dieselbe Detailfreude haben willst. Es ist schließlich nicht gut, wenn einige Bereiche leer und verlassen wirken. Du willst, dass es konsistent voller Leben steckt.“
Finde deinen eigenen Weg!
Und auch in der Tatsache, dass man den Spielern oft die Wahl lässt, in welcher Reihenfolge sie Kampagnenmissionen angehen wollen, liegt eine Menge Arkane-Identität. Sehr positiv fiel mir auch auf, dass trotz Open World mit diversen verstreuten Gegner-Mobs und in diesem Genre eher typischen Aktivitäten keine Missionsmarkierungen direkt zum nächsten Einsatz führen. Erst, wenn man auf der Karte selbst ein Ziel markiert, weist einem der Kompass den Weg, was für den Willen der Entwickler spricht, dem Spieler die Zügel in die Hand zu geben.
„Tatsächlich hatten wir zuerst automatische Marker im Spiel, aber die Leute rannten immer nur in gerader Linie darauf zu.“ Das gefiel einem so auf Freiheiten bedachten Studio natürlich nicht. Aber nachdem man die Zielmarkierungen entfernt hatte, fanden die Spieler sich nicht mehr zurecht. Also wählte man den Mittelweg: Die Spieler sollen das Ziel selbst festlegen und wenn man nah am fraglichen Ort ist, hilft einem ein Zeiger ebenfalls ein wenig. Mir hat das in der Praxis gut gefallen. Es war diskret genug, den Blick für die hübsch gestaltete Welt nicht zu verhängen. So kann man spektakuläre Panoramen, wie die gigantische, in der Zeit eingefrorene Flutwelle an der Küste der Stadt viel besser genießen und ist offen für andere spielerische und erzählerische Gelegenheiten, die sich spontan auftun.
Im Koop wird, mit Ausnahme des Story-Fortschritts, den nur der Host einer Partie bekommt, alles für alle Mitspieler gespeichert. Wenn man mit Smith darüber spricht, ist das durchaus kein triviales Problem. „Alle Charakterlevel, die du erreichst, alle Waffen und Ausrüstung, die du findest, die Gravelocks, die du bekommst, all das wird gespeichert“, erläutert Smith. „Aber das Spiel hat diverse Kampagnenmissionen, die in unterschiedlicher Reihenfolge angegangen werden können. Manchmal bekommst du drei angeboten und suchst dir aus, welche du annimmst. Manche Missionen können sogar übersprungen werden. Manchmal spielt man die Kampagne, dann eine Nebenmission, dann ein Safehouse und dann weiter in der Kampagne. Es fühlt sich nach deinem ureigenen Weg an.“
„Doch stell dir vor, du spielst eine Nacht mit mir, aber ich bin schon halb durchs Spiel, Mission sieben oder so. Wenn wir das für dich speichern würden, hast du nach der Session Mission sieben, acht, neun praktisch hinter dir. Dann spielst du mit jemand anderes, der vielleicht schon am Schluss des Spiels ist. Später will jemand, dass du hostest, der vielleicht bei null anfängt.“ Während dieser Schilderungen wird mir klar, dass eine Alternative wäre, Spielern den Zugang zu Missionen zu verwehren, die sie im Rahmen der Kampagne noch nicht erreicht haben. Doch das würde wohl die Mitspielersuche erschweren und fühlt sich auch nicht richtig an.
Smith sieht es so: „Ich glaube, manche Leute wünschen sich etwas, das sie nicht komplett verstehen.” Er räumt aber auch ein: “Natürlich gibt es für alles Lösungen. Man kann eine Menge Zeit darauf verwenden, ein System zu entwickeln, das vielleicht ein Menü aufruft und dir Checkboxen anzeigt … so etwas ginge, aber das ist einfach zu viel. Ich glaube, wir haben einfach irgendwann entschieden, dass uns lieber wäre, dass man von Beginn an spielt, und dann, wenn man einen hohen Level hat, sich schneller hin und her durchs Spiel bewegt.“
Redfall ist bald nicht mehr always-online
Weniger komplizierte und durchweg gute Neuigkeiten gibt es an der Always-online-Front. Smith betont, dass diese Funktion für die Designer unsagbar wertvoll ist, weil man damit etwaige Probleme an der Spielbalance untersuchen kann. „Wir können zum Beispiel sehen, wie viele Leute durch Stürze sterben. Wenn wir sehen würden, dass 80 Prozent der Leute sterben, weil sie irgendwo herunterfallen, ist das ein gigantisches Warnsignal. Außerdem werden durch Online-Anbindung einige Barrierefreiheits-Features für Leute verfügbar, die sie benötigen. Aber es stimmt, eigentlich gibt es keinen Grund, dass man den Solo-Modus nicht auch optional offline spielen können sollte. Wir arbeiten gerade daran, das zu ermöglichen.“
Ich muss zugeben, ich hätte mich noch länger mit Smith über seine Design-Philosophie unterhalten können. Fast war ich ein wenig sauer auf mich selbst, dass ich den falschen Schnurrbart und die Fensterglasbrille zu Hause vergessen hatte, mit denen ich mich sonst noch einmal in die Interview-Schlange hätte schummeln können. In so gut wie jeder Entscheidung seines Studios stecken eine Menge Abwägungen, nichts ist aus Zufall drin und die Art, wie er zu überlegten, ausführlichen Antworten ausholt, lässt Spieldesign wie den interessantesten Job auf der Welt wirken.
Ob Redfall am Ende das Open-World-Experiment wert war, wenn doch schon Dishonored in seiner überragenden Dichte betörte, werden wir ab dem 2. Mai sehen, wenn das Spiel für Xbox Series und PC erscheint. Aber wenn ich Smith so zuhöre und auf den Katalog an aufregenden Arkane-Spielen zurückblicke, bin ich froh, dass es ist, wie es ist. Ich liebe es, dass sich Arkane wieder und wieder an Spiele wagt, die schwierig zu beschreiben sind und die man nach ihren ersten Trailern nicht so ganz erfassen kann. Denn diesen besonderen und oft verqueren Titeln auf den Grund zu gehen, ist für mich Teil des Abenteuers, das gute Spiele sein können.
Entwickler: Arkane – Publisher: Bethesda – Plattformen: PC, Xbox Series S/X – Release: 02. Mai 2023 – Genre: Open-World-Shooter – Preis (UVP): knapp 70 Euro, im Game Pass enthalten