Digital Foundry: Hands-on mit Project Morpheus
Eine umfassende Analyse von Sonys VR-Headset - und warum PS Move den Unterschied macht.
Fast ein Jahr ist es her, dass wir das erste Mal von der Existenz eines Virtual-Reality-Headsets aus dem Hause Sony hörten. Was als vages Gerücht einer möglichen Verbindung von Oculus Rift und PS4 begann, entwickelte sich zusehends zu etwas viel Größerem und unendlich Aufregenderem. Die Hardware, die wir nun ausprobieren durften, und die Demos, die wir darauf spielten, bestätigten, dass es sich nicht um eine bloße Kopie von Oculus handelt. Es gibt Gemeinsamkeiten bei der Technologie, aber Sony hat seine eigene Vision von Virtual Reality und eine konsolenspezifische Strategie, um das Meiste aus der Hardware herauszuholen.
Alles beginnt mit der Planung hinter den Kulissen - mit der Basis, auf die sich Sonys VR-Entwicklung stützt. Bei der Enthüllung auf der GDC vor ein paar Monaten sahen wir zwei vertraute Gesichter: Dr. Richard Marks und Anton Mikhailov, zwei der führenden Entwickler hinter PlayStation-Add-ons wie EyeToy und dem brillanten, aber wenig genutzten PlayStation Move. Ihnen zur Seite steht die neue "Sony Immersive Technology Group" aus Liverpool, im Grunde eine Evolution des Stereoskopie-Teams, das Sonys Experimente mit 3D-TVs anführte. Zu guter Letzt wäre da in Japan das Hardware-Team, das den eigentlichen Project-Morpheus-Prototypen erstellte.
Diese internationale Zusammenarbeit produzierte ein Headset, das noch nicht ganz verbrauchertauglich ist, gleichzeitig aber klar demonstriert, dass Sony auf dem richtigen Weg ist. Wie in unserer letzten Datenblattanalyse von Project Morpheus schon beschrieben, gibt es zahlreiche Parallelen zum Oculus-Rift-Dev-Kit der zweiten Generation, die nahelegen, dass zwei Teams begabter Ingenieure bei den gleichen Problemen zu ähnlichen Lösungen kamen. Jetzt, nachdem wir Project Morpheus selbst benutzen konnten, müssen wir sagen, dass die Unterschiede zwar subtil, aber dennoch ziemlich tiefgreifend sind. In einem Punkt - dem Display - hinkt Sony Oculus hinterher, in anderen ist es ihm weit voraus.
Mit PlayStation Move gibt es bereits einen 3D-Controller, der Teil der Infrastruktur der Konsole ist. Oculus dagegen hat auf dem PC kein Gegenstück, das es so unmittelbar nutzen könnte. Und dann ist da die Ergonomie des eigentlichen kopfmontierten Displays: Sony hat schon immer herausragende Hardware gemacht - und der Morpheus-Prototyp ist da keine Ausnahme. Die Brille ist relativ schlank und leicht, aber auch für Brillenträger geeignet, was bedeutet, dass die zusätzlichen Linsen des ursprünglichen Rift nicht gebraucht werden. Wie auch Rift wird Morpheus mit einem elastischen Band am Kopf befestigt. Ein ringförmiger Bügel stützt das Gerät zusätzlich an der Rückseite des Kopfes ab. Dadurch wird das Gewicht gleichmäßiger verteilt und der Ring beinhaltet sogar zusätzliche LEDs, was ermöglicht, dass die PlayStation-Kamera eure Bewegungen auch dann noch genau interpretieren kann, wenn ihr euch von ihr abwendet.
Ein klobiges, unpraktisches Head-mounted-Display (HDM) ist einer der größten Immersionskiller, die es gibt. Die hohe Ergonomie von Project Morpheus ist ein unglaublich wichtiges Feature. Das Headset bleibt jederzeit in Position und fühlt sich dabei sehr bequem an. Schnelle Kopfbewegungen erzeugen also nicht das Übelkeit erregende leichte Wackeln der Displays direkt auf eurer Nase. Auch dass es von einem Team unterschiedlicher Ethnien entwickelt wird, hilft der Ergonomie in Bezug auf die unterschiedlichen physikalischen Charakteristika von Menschen verschiedener Herkunft. Alle Sony-Territorien testen das Design, um einen einheitlichen Komfort zu sichern.
Obwohl das Gerät also für einen Prototypen überaus beeindruckend ist, steht Sony noch einiges an Arbeit bevor. Bizarrerweise ist die Buchse des Headsets aktuell noch im Inneren des Visors platziert, was nicht der beste Platz zu sein scheint. Und was die LCDs des aktuellen Entwicklungskits angeht, gibt es ebenfalls sowohl Gutes als auch Schlechtes zu berichten.
Um das Hauptproblem als Erstes zu nennen: Es ist offensichtlich, dass das Display unter Motion-Blur leidet, das bei jeder schnellen Bewegung voll zuschlägt - ein inhärentes Problem von LCDs, das noch dadurch verschlimmert wird, dass die Augen nur Zentimeter vom Bildschirm entfernt sind. Wir sind uns außerdem ziemlich sicher, dass das Field of View deutlich schmaler ist als im Oculus Rift, was an schwarzen, abgerundeten Rändern links und rechts des Blickfelds zu erkennen ist. Leicht ragen sie in das Field of View hinein, sind aber problemlos vom Gehirn herauszufiltern und beeinträchtigen das Erlebnis nicht über Gebühr.
Die gute Nachricht ist, dass die Displays noch nicht final sind - Sony prüft aktuell alternative Technologien, um das Blur-Problem anzugehen, wobei OLED in ihren Überlegungen an vorderste Stelle steht. Außerdem können wir berichten, dass wir die 960-mal-1080er-Auflösung deutlich beeindruckender fanden als zunächst angenommen. Bei den 640x768 Bildpunkten des ersten Rift bekam man noch den Eindruck einer enttäuschend geringen Auflösung, der "Fliegengittereffekt", bei dem man den Raum zwischen den Pixeln sehen könnte, war sehr irritierend.
"Obwohl es der PS4 an der rohen Render-Power eines High-End-PCs mangelt, bedeutet die Form der geschlossenen Plattform, dass die Entwickler ihre Spiele exakt auf die Konsolen-Hardware optimieren müssen. Und in Move haben sie einen superben 3D-Motion-Controller."
Mit Morpheus ist das weit weniger ein Problem und wir waren angenehm überrascht, wie gut die Bildqualität ist - vor allem in einer Umgebung, in der Auflösung ein Luxusgut ist. Im Gespräch mit Sony wird klar, dass man sich einige Mühe gegeben hat abzuschätzen, wie der Fischaugeneffekt implementiert werden sollte, der das Bild verzerrt. Dabei konzentrierte man sich darauf, die Auflösung im zentralen Blickbereich beizubehalten. Darüber hinaus wären wir nicht überrascht, wenn das schmalere Field of View letzten Endes noch zur Bildintegrität beitragen würde.
Auch hat Sony noch nicht ausgeschlossen, dass ein höher aufgelöster Bildschirm zum Einsatz kommt. Die HDMI-1.4a-Unterstützung der PS4 sollte - theoretisch - 2560x1440 in 60Hz ausgeben können. Wenn man davon ausgeht, das Morpheus irgendwann im nächsten Jahr auf den Markt kommt, sollte der Firma eine große Auswahl von Mobile-Screens zur Verfügung stehen. Wie dem auch sei, wir gehen noch immer davon aus, dass in der Verkaufsversion ein 1080p-Panel enthalten sein wird. Obwohl eine höhere Auflösung im Sinne der Bildqualität wünschenswert wäre (wenngleich eine weitaus größere Herausforderung für die Entwickler), ist dies immer noch gut genug für eine wirklich immersive Spielerfahrung.
Den Beweis tritt der 'Social-Screen' an - ein spezieller Video-Output, der aus Morpheus' Anschlussbuchse heraus mit den HDMI- und USB-Ports der PS4 verbunden wird. Der Social-Screen ermöglicht anderen Spielern im Raum einen Einblick in das Erlebnis des Spielers mit dem Headset. Einer der 960-mal-1080-Blickwinkel wird von dem Fischaugeneffekt befreit, etwas herangezoomt und dann auf den Fernseher geworfen. Das Resultat ist ein bisschen seltsam: Während der "Entzerrung" des Fischaugeneffekts wird die Auflösung in Richtung der Bildränder immer geringer. Aber es hilft zu verstehen, dass die notwendigerweise reduzierte Pixelzahl von VR immer noch gut genug ist.
Dennoch: Im Vergleich von Morpheus und Oculus ist die wohl größte Überraschung, dass das wahrhaft transformative Element ein Stück Hardware ist, das wir schon lange kennen: PlayStation Move. Unsere Hoffnungen für das Gerät haben sich nie erfüllt, aber die Paarung mit Morpheus ist ein echter Traum. Sollte es irgendwann wirklich zu einem Kampf um die Marktführerschaft mit Oculus (und möglicherweise Microsoft) kommen, ist der altbekannte Motion-Controller zweifelsohne eine der stärksten Waffen in Sonys Arsenal. Als wir uns das erste Oculus-Rift-Dev-Kit ansahen, war eine unserer zentralen Schlussfolgerungen, dass das Headset ein besseres Interface brauchte als bloß Maus und Tastatur oder ein Konsolen-Gamepad. Move ist nicht die perfekte Lösung, aber es ist ein fundamentaler Schritt in Richtung zutiefst immersiven Gameplays.
Sonys Burgdemo wurde das erste Mal auf der GDC präsentiert und demonstriert das mit einer spektakulär erfolgreichen Integration von Morpheus und Move. Schaut herunter und ihr könnt eure Hände sehen. Indem man zwei Move-Controller hält, wird die Bewegung eurer Arme perfekt auf den Bildschirm übersetzt. Zieht die Trigger und die Finger biegen sich. Greift nach unten nach einem Schwert, drückt und haltet den Trigger, um es zu greifen. Schaut in Richtung eines zweiten Schwertes in einem Ständer, wiederholt den Prozess mit dem zweiten Move und ihr nutzt im Dual-Wield zwei Klingen, die scheppernd aufeinanderprallen, wenn ihr die eine gegen die andere schlagt.
Vor euch eine leere Ritterrüstung, an der ihr eure Schwerter ausprobieren könnt. Hier kommt die nächste Waffe aus Moves Arsenal ins Spiel. Indem ihr in die Luft schlagt, wird all die kinetische Energie, die ihr produziert, akkurat auf den Bildschirm übersetzt. Ob ihr die Rüstung nur leicht mit der Spitze pieken wollt oder ihr mit einem mächtigen horizontalen Schwung den Kopf von den Schultern schlagt: Alles reagiert genau so, wie es sollte. Die Demo ist einfach gestrickt, aber als Machbarkeitsnachweis ist sie faszinierend. Bei Morpheus dreht sich alles um Immersion, aber erst Move liefert die wichtige Komponente, die wie bei unseren Proberunden mit Oculus bisher vermissten: Die Mittel, physisch in die Spielwelt greifen und mit ihr interagieren zu können.
Die Burgdemo schließt mit einer Bogenschießerei ab (in etwa wie Sports Champions 2); auch hier nimmt Move wieder die Hauptrolle ein, bevor ein bildschirmfüllender Drache erscheint, der demonstriert, was für ein gewaltiges Gefühl von Größe Morpheus zu simulieren in der Lage ist. Ich bin rückwärts gegen eine sehr echt wirkende Wand gelaufen, um das virtuelle Biest in seiner vollen Größe zu bestaunen. Aber Move ist definitiv der Star hier und mindestens einer - besser noch zwei - dieser Controller sollte zusammen mit dem Headset verkauft werden, wenn es irgendwann in den Handel kommt. Ja, so wichtig ist es für das Erlebnis. Es ist der definierende Faktor, der Sonys VR-Vision von der Konkurrenz abhebt.
Sonys zweite Demo - The Deep - ist weit weniger interaktiv. Eher eine Art Achterbahnfahrt, die gestaltet wurde, um über Immersion Gefühle zu erzeugen. In einem metallenen Käfig werdet ihr hier ins Meer hinabgelassen, um friedvolle Meereswesen zu bewundern, bevor ihr auf einmal von einem Hai attackiert werdet. Lediglich eine Leuchtpistole habt ihr zur Verteidigung und weil man mit dem Controller zielt, nicht mit Move, wirkt das Zielen entschieden zweidimensionaler als bei der Burgdemo. Es fühlt sich im Vergleich einfach nicht ganz richtig an. Aber auch Move eignet sich zum Zielen, es gibt ja sogar pistolenartige Plastikaufätze dafür. Was das für Ego-Shooter bedeuten könnte, liegt buchstäblich auf der Hand. The Deep ist ein interessantes Beispiel dafür, wie man Angst vor dem Unbekannten simuliert (ihr schaut ständig umher, um zu sehen, von wo der Hai als Nächstes zuschlägt), aber der Mangel an Interaktion ist spürbar. Ihr nehmt an einer Reise teil, übt aber keine Kontrolle aus.
"Sensorische Immersion ist eine Sache - PlayStation Move ist der Schlüssel, Interaktionen mit der Spielwelt auf bedeutsame Weise umzusetzen."
Wir werden uns dem Thema Morpheus demnächst noch einmal zuwenden, mit einem umfassenden Bericht von den langen Diskussionen, die wir mit Sonys Immersive Technology Group führten, wollen euch aber einige Highlights der Konversation nicht vorenthalten: Sony betrachtet VR beinahe wie eine eigene Plattform und nicht etwa wie ein PS4-Zubehör. Das Team spricht mit Entwicklern, implementiert Vorschläge und definiert bereits eine Reihe technischer Anforderungen, die ein gutes Spielerlebnis sicherstellen. Ein Schlüsselelement ist eine flüssige Bildrate: Das Team definiert 60FPS als Minimum für ein immersives VR-Erlebnis (tatsächliche Spezifikationen über das finale Display und seine maximale Bildwiederholrate sind noch unbekannt, aber es könnte eines mit höherer Frequenz werden).
Wir bekamen den Eindruck, Sony weiß, dass Umsetzungen von Triple-A-Konsolenspielen nicht unbedingt vollständig vereinbar mit VR-Gameplay sind. Stattdessen pusht man aktiv speziell entwickelte Inhalte. In Hinblick das Bildraten-Minimum von 60FPS rät die Immersive Technology Group zu Spielen mit PS3-artiger Grafik als Basis, bevor man versucht, etwaige Verschönerungen zu integrieren, ohne die 60 Bilder pro Sekunde zu gefährden. Eine hohe Bildrate ist das Fundament, auf das sich immersives VR mit vollem Gewicht stützt, und obwohl die PS4 in Sachen Pferdestärken gegen den PC den Kürzeren zieht, darf man die Vorzüge einer geschlossenen, unveränderlichen Plattform nicht unterschätzen. VR-Konsolenerlebnisse werden von ihren Entwicklern - und Sony - auf der gleichen Hardware auf Herz und Nieren geprüft, die ihr auch zu Hause stehen habt. Wenn es darum geht, ein Performance-Ziel zu erreichen und zu halten, ist das ein unbezahlbarer Vorteil.
Ebenfalls interessant war, wie das Team über die Spielintegration denkt. Obwohl die Ego-Ansicht die erste Wahl ist, hatte die ITG große - und vor allem leicht umzusetzende - Erfolge mit Ports von Third-Person-Titeln. Im Grunde könnte Morpheus so eine IMAX-artige Wirkung erzielen. Maßvoller Einsatz von Third-Person könnte zudem eine Rolle dabei spielen, das Problem der VR-Übelkeit anzugehen. Nehmt als Beispiel ein Rennspiel aus der Ego-Perspektive, in dem ihr einen Unfall baut, der euer Auto durch die Luft wirbelt. Die Cockpitsicht beizubehalten wird unter Garantie sehr unangenehm, aber wenn man die Kamera in diesem Moment auf eine Außenansicht umschaltet, könnte man das Problem umgehen. Die Burgdemo stellt Entwickler ebenfalls vor eine neue Herausforderung. Wenn es Objekte in der Spielwelt gibt, dann verlangt eine VR-Ansicht praktisch, dass es auch möglich ist, mit den Händen danach zu greifen. Es geht nicht nur um überzeugendes Rendering, tatsächlich bestehen ernsthafte Herausforderungen in der Simulation. Den Entwicklern helfend zur Seite zu stehen, das ist eine von ITGs zentralen Aufgaben.
Oculus VR gegen Sony. Ein Gedanke, der den Mund wässrig macht: Zwei vollkommen unabhängige VR-Ansätze, die zwei unterschiedliche Plattformen anvisieren, aber zusammen eine Zielgruppenreichweite haben, die Virtual Reality zu einer -hoffentlich - finanziell attraktiven Angelegenheit für Spielentwickler machen. Oculus hat den Schwung, Cutting-Edge-Technik und die Community im Rücken, Morpheus ein fertiges Ökosystem, VR-freundliche Interface-Hardware, ein internationales Team fähiger Hardware-Entwickler und erprobter Spielemacher. Das Potenzial hier ist geradezu berauschend: Virtual Reality könnte der echte Next-Gen-Sprung interaktiver Unterhaltung sein, auf den wir gewartet haben.