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Disciples Liberation Test - Noch mehr Rollenspiel, noch weniger Heroes of Might & Magic

Disciples: Liberation wagt nach zehn Jahren einen Neustart mit mehr RPG- und weniger Aufbau-Elementen. An sich kein Problem, aber die Balance der zahlreichen Kämpfe lässt stark zu wünschen übrig.

Ein Neustart mit mehr RPG und weniger Aufbau. An sich kein Problem, aber die Balance der zahlreichen Kämpfe lässt zu wünschen übrig.

Das neue Disciples... Allein das ist schon ein eigenartiger Satz. Disciples? Da war doch mal was, vor langer Zeit. 1999 begann die Reise, die in weiten Zügen ein Heroes-of-Might-&-Magic-Klon war, 2003 der Nachfolger und dann 2010 einen eher leidlich geliebten dritten Teil, damals auch schon von Kalypso vertrieben. Jetzt also, nach einer kleinen Pause von mehr als einer Dekade, versucht Disciples: Liberation den Reboot. Kein schlechtes Timing, denn King's Bounty 2 verbeutelte seine Chance, das HOMM des Jahres zu werden, indem es sich in einem mäßigen 3D-Rollenspiel verzettelte. Disciples wird ja wohl nicht so ungeschickt sein, oder?

Disciples: Liberation - Kennt man. Mag man?

Nun, ja und nein. Es verzichtet zumindest auf die 3D-Eskapade, aber vom Rollenspiel, davon will man nicht lassen. Viel mehr als seine Vorgänger fühlt sich Disciples: Liberation nach einem RPG an, während ihr mit eurer Heldin und ihrem initialen Begleiter durch eine euch unbekannte Welt stolpert, erste Kämpfe und Quests beendet und vor allem lernt, wie die mitunter undurchdringlich wirkende Menüstruktur funktionieren könnte. Altmodisch trifft hier keineswegs nur die Optik, der ganze Ablauf einer Quest besteht aus zig Textzeilen, die mittels spärlicher Portraits ausgetauscht werden. Das Problem wäre wohl, dass das hier kein Disco Elysium ist und der textliche Level eher unterhalb von Drizzt Do'Urdens frühen Eskapaden einzusortieren ist. Mit anderen Worten: Das ist mitunter schon fast schmerzhaft klischeetriefende Fantasy-Prosa.

Weniger ein Disciples und mehr ein weiteres Iso-RPG. Könnte schlimmer sein. Es könnte ein King's Bounty 2 sein.

Dass es kein reines Rollenspiel ist, lernt ihr schnell. Nach einem fast schon lächerlich inkompetenten Versuch, mit Level-1-Helden den lokalen bösen Priester zu stürzen, endet die Geschichte nicht. Stattdessen findet ihr eine mystische Stadt, in der ihr zunächst nur wenige und später immer mehr verschiedene Truppen aus vier Fraktionen rekrutiert. Diese ergänzen eure Truppe aus den "echten" Helden und erweitern eure Schlagkraft auf dem Feld dramatisch. Initial noch nicht so sehr, denn es gibt den Command-Wert, der bestimmt, wie viele dieser Einheiten ihr haben dürft. Kennt man alles.

Diese Truppen bieten am Ende auch nicht so viele Überraschungen. Manche haben AOE-Angriffe und Zauber, manche nutzen Fernkampf, andere ziehen schnell und weit, wieder andere sind für Support und Heilung zuständig. Der richtige Mix macht am Ende die Killer-Truppe aus, wobei das je nach Gegner schon mal leicht variieren kann. Dazu kommt wie immer, dass sich die Fraktionen untereinander nicht immer ganz grün sind und es spielt für Boni und Abzüge auch eine Rolle, wie sehr ihr im Rahmen der Handlung und Quests einer Fraktion aushelft oder auch nicht. Ich könnte das jetzt im Detail runterbeten, aber ehrlich gesagt ist das alles seit dem ersten HOMM wohlbekannt und hat sich im Konzept nur in Feinheiten geändert. Hier kann man eigentlich nur eine Sache falsch machen. Leider schafft Disciples: Liebration genau das.

Zu mächtige Helden, zu viele Kämpfe

Die Balance dieser Kämpfe ist immer ein Knackpunkt, in all diesen Spielen. Das hat auch damit zu tun, dass ihr so viele Möglichkeiten habt, eine Truppe zusammenzustellen. Deshalb bietet fast jedes dieser Spiele des Genres einen Autokampf und oft ist es so, dass viel schwächere Gegner einfach aufgeben. Letzteres passiert auch hier, aber nur, wenn der Gegner nicht Teil einer Quest war. Sehr, sehr viele Gegner sind das aber, deshalb ist das weit seltener möglich, als man es gerne hätte. Das an sich wäre noch nicht mal das Problem. Das fängt erst an, wenn ihr merkt, dass Disciples: Liberation nur zwei Gänge kennt: Fast unmöglich oder kompletter Selbstläufer, gemixt im Verhältnis 1:10.

Die Dungeons haben durchaus Charme.

Im Grunde wisst ihr schnell und vor dem ersten Zug, ob ihr gewinnt oder nicht. Die KI ist so solide wie berechenbar, die Fertigkeiten aller auf dem Feld definiert. Entweder ihr habt die Level und Einheiten oder ihr habt sie nicht. Ein Blick auf das Feld genügt. Wenn sie nicht reichen, dann könnt ihr fast immer gleich neu laden und noch mal woanders gucken und leveln. Wenn doch, dann müsst ihr da durch, egal wie absonderlich, lächerlich einfach es ist. Irgendwann stehen zehn oder mehr Einheiten auf jeder Seite und das dauert dann einfach. Selten hat ein Spiel so konsequent Lebenszeit mit lahmen - selbst auf 200% Kampftempo - Animationen vergeudet. Es war fast schon beleidigend, so muss sich ein Schachmeister fühlen, der gezwungen wird, ständig gegen Anfänger zu spielen.

Das ist wirklich schade, denn mit einem generellen Autokampf könnte ich das restliche Spiel viel mehr genießen. Die Welten sind abwechslungsreich genug, an jeder Ecke wartet ein Typ, der nichts anderes zu tun hat, als zu hoffen, dass endlich einer kommt und sich um sein Problem kümmert. Das macht ihr dann und entscheidet fast jedes Mal, wie genau ihr etwas lösen möchtet. Im Grunde läuft es immer recht gut ablesbar darauf hinaus, dass ihr einer Fraktion was Gutes tut und dabei einer anderen schadet. Das Fraktions-Balance-System verlangt eine Welt, die alles als Nullsummenspiel sieht und das kann auch mal für Frust sorgen. Statt "mal kurz drüber reden" gibt es zu oft nur Extreme in der Auswahl, aber das kann man wohl als Grundproblem vieler Rollenspiele betrachten. Zumal hier alles recht düster bleibt und keine der Fraktionen sich als direkter Sympathieträger etablieren kann.

Wie schon gesagt, der zuvor so wichtige, übergeordnete Ausbau- und Ressourcen-Aspekt fällt dieses Mal weit zurück, bis an den Punkt, wo ich mich kaum noch damit aufhielt, alles zu sammeln, was des Weges kam. Sicher, ihr übernehmt noch Minen und Mühlen, das ist am Ende auch wichtig, dass es passiert, aber es fühlt sich nicht mehr wichtig an. Wie gesagt, mehr ein Rollenspiel als ein Disciples.

Bunte Zauber helfen nur wenig die Spannung zu erhöhen.

Technisch sollte hier niemand aus der Haut fahren, weder vor Freude noch vor Entrüstung. Disciples begeht nicht den Fehler von King's Bounty 2 und will auf Biegen und Brechen Mittelmaß-3D, sondern bleibt schön in der Iso-Sicht. Nichts, was man hier sieht, hat man nicht schon vorher und auch schon mal in schöner gesehen, das ist das durchgängige Motto des Spiels - selbst wenn es nicht wirklich in Bezug auf seine etwas anders gestrickten Vorgänger gilt. Aber das heißt nicht, dass Disciples: Liberation nicht hübsch wäre. Ich mag den Proto-Dark-Fantasy-Look der Dungeons und der Oberwelten. Es wirkt sofort vertraut und einladend und so klingt es auch. Netter Soundtrack, halbwegs gelungene Sychro, das ist alles gefällig genug. Sicher nicht modern, aber das war wohl auch nie das Ziel.

Disciples: Liberation Test Fazit

Disciples: Liberation fühlt sich sowieso alt an. Seine Mechaniken stammen aus einer anderen Zeit, endlose Dialogzeilen klöppeln zwischen kaum animierten Portraits hin und her, dunkle Depri-Fantasy ist auch nicht gerade eine frische Erfindung. Alles an diesem Spiel sagt "Ich bin ein Remaster", aber es ist eben keins. Es ist auch kein Disciples, jedenfalls nicht im alten Sinne. Dafür ist der Ressourcen- und Armee-Aufbau-Ansatz zu sehr zurückgefahren worden, bis an den Punkt, an dem man sich fragen muss, ob die Reste davon noch einen Sinn ergeben. Ahahahabeeer... Disciples: Liberation macht Spaß. Nichts von diesen Dingen hat wirklich einen Einfluss auf diesen Punkt, wenn ihr jetzt nicht auf die heißeste Spitze aktuellsten Gamedesigns besteht. Auf hübschen Karten rumlaufen, nette Quests erfüllen und deren Schlachten auf einem Hex-Feld austragen, damit kann man Abende rumkriegen.

Das größte Problem in Disciples: Liberation ist die mangelhafte Balance - und die bricht Disciples zwar nicht völlig das Genick, verursacht aber schon massive Kopfschmerzen. Einige Kämpfe sind absurd schwer bis unfair. Viel zu viele andere, von denen sich leider auch beileibe nicht genug überspringen lassen, sind praktisch komplette Selbstläufer, in denen man wenig tut, außer fünf bis zehn 10 Minuten seines Lebens zu vergeuden. Das ist wirklich schade, denn eigentlich steckt hier sonst ein absolut valides, umfangreiches und sympathisch altmodisches RPG drin. Ich hatte meine Freude damit, allen Schwächen zum Trotz, aber von der glorreichen Wiedergeburt einer alten Serie zu schwärmen, das klappt dann leider doch nicht. Disciples, wir sehen uns dafür dann hoffentlich 2032 wieder.

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