Disgaea 3: Absence of Detention - Test
Beim Herrn der Unterwelt hängt der Haussegen schief. Aber was ist schon ein kleines Mordkomplott unter Verwandten?
Als Nippon Ichi 2003 das erste Disgaea veröffentlichte, war es ein erfrischender Gegenpol zum allgegenwärtigen Helden-Pathos, der den einschlägigen Größen im Genre der rundenbasierten Strategie-RPGs nachhing, wie ein zerfleddertes Cape. In Spielen wie Final Fantasy Tactics, Ogre Battle oder Fire Emblem, das sogar mit unbarmherzigen Perma-Deaths liebevoll hochgezüchteter Kampfgenossen Angst und Schrecken verbreitete, standen die ernsten Themen immer ein bisschen im Zwist mit der farbenfrohen Kopffüßler-Grafik. Anders als in diesen Geschichten von Krieg, Frieden, Verrat und Eroberung, spart Disgaea nicht mit Slapstick und auf die gute Weise dummen Sprüchen. Mehr Leben des Brian als Letzte Versuchung Christi, oder, um ritterlich zu bleiben, mehr Ritter der Kokosnuss als Ritter der Tafelrunde.
Mittlerweile bringt es die Reihe auf vier Teile, den hier für die Vita neu aufgelegten Dritten inklusive, und im Grunde ist die Welt noch immer eine reichere durch die frischen und ausgesprochen komplexen Rundenkämpfe in der dämonenhaften Netherworld. Hat man allerdings im letzten Herbst schon Hand an den vierten Serieneintrag gelegt, fällt der Schritt zurück zum vier Jahre alten PS3-Debüt ein wenig schwer. Denn nicht weniger und auch nicht wirklich viel mehr haben wir hier mit Absence of Detention vor uns. Zwar nahm sich Nippon Ichi die Zeit, die Charakterporträts in den Dialogen zu animieren und damit eine Idee aufzuhübschen, ansonsten sieht das Spiel aber noch genau so aus wie damals.
Daran ist an und für sich nicht allzu viel verkehrt, wären die in 3D drehbaren Umgebungen nicht schon damals ein wenig detailarm und deren Texturen etwas zu niedrig aufgelöst gewesen. Vor allem die kleineren Charakter-Sprites zu Felde sind nicht so fein gezeichnet, wie es die hohe Auflösung des Displays vermutlich hergeben würde. Die PS2-Vergangenheit steht Mao, Raspberyl und Co ins Gesicht geschrieben. Ein Blick rüber zu Disgaea 4, mit seinen messerscharf umrissenen Figuren und allgemein deutlich fortschrittlicher wirkender Optik, schmerzt daher ein bisschen und man würde sich wünschen, dass auf der Vita auch in dieser Hinsicht nachgebessert worden wäre.
Stattdessen hat Nippon Ichi inhaltlich nachgelegt. Neben einigen exklusiven neuen Charakteren und vier neuen Szenarien integrierte man alle zusätzlichen DLCs in die Vita-Ausgabe, die es seit der Veröffentlichung des Hauptspiels ins PSN geschafft haben. Das ist natürlich auf der einen Seite sehr lobenswert. Auf der anderen war aber der Umfang nie Disgaeas Problem. Diese Spiele dauern gut und gerne schon mal 100 Stunden und hat man die hinter sich ... sagen wir so: Die Chancen stehen zu diesem Zeitpunkt nicht schlecht, dass man schon mehr als genug Grinding in ein und demselben Titel hinter sich hat. Ab einem gewissen Punkt ist "mehr" eben nicht mehr gleichbedeutend mit "besser". Stattdessen hat man in dieser Hinsicht das Gefühl eine Game-of-the-Year-Edition vor sich zu haben, die nicht nur mit einiger Verspätung, sondern auch noch zum annähernden Vita-Vollpreis gut 40 Euro nachgereicht wird.
Dazu fehlt ein gedrucktes Handbuch, was spielerisch glücklicherweise nicht allzu viel ausmacht, denn Disgaea 3 erklärt sich zur Abwechslung mal selbst recht ordentlich. Auf einer Plattform, auf der physische Releases aber schon in sich einen Handhabungsnachteil darstellen, hätte ich trotzdem gerne etwas, das mir den Kauf der verpackten Ausgabe zumindest ein bisschen schmackhaft macht. Nippon Ichis Versuch, die Menüsteuerung durch das Rear-Touch-Bedienfeld komfortabler zu gestalten ging zudem gründlich nach hinten los. Wenn man erst herausfinden muss, wie damit die Menüs zu bedienen sind, und ab dann die Finger verkrampfen muss, um nicht zufällig ständig auf oder ab zu scrollen, ist das nicht intuitiv.
Wer während der letzten vier Absätze schon Chopins Trauermarsch in den Ohren klingeln hatte, der darf dennoch beruhigt sein, denn es gibt auch viel Gutes zu berichten. Denn so sehr "alles beim Alten" in diesem Zusammenhang bisher nach Schelte klang, so steckt doch auch ein Kompliment darin. Selbst wenn man den dritten Teil auf der PlayStation - die Vorstellung des Originals im Detail überlasse ich unserem Test von damals - schon gespielt hat, machen es einem der flapsige Charakter, das erstaunlich motivierende Grindwerk und nicht zuletzt der dynamische Schlachtenablauf sehr interessant, die Tiefen der Spielmechanik aufs Neue zu entblättern. Es gibt so viel zu tun, dass es unwahrscheinlich ist, dass man in einem Durchlauf sehen und erleben wird. Bedenkt: Jedes Item hat seine eigene Welt, in die ihr euch versetzen lassen könnt, um den entsprechenden Gegenstand aufzuleveln.
Das Spiel mit den Geoblocks, die auf dem Schlachtfeld Boni und Mali verteilen, ist nach wie vor eine attraktive Variable und auch die Zusammensetzung eurer Party und die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Kombo-Möglichkeiten sind für experimentierfreudige Unterwelt-Besucher ein Fest. Zu guter Letzt hat Nippon Ichi jeglichem Kämpfer auch noch einen Joker zugesteckt, der die Spielbalance deutlich verändert. Veteranen seien gewarnt: Schwer angeschlagene Gegner brennen neuerdings ein Offensivfeuerwerk ab, das vom Spieler Gründlichkeit bei der Tilgung seiner Feinde verlangt. Anders herum eröffnet der Poker mit niedrigem Gesundheits-Punktestand auch im Angriff attraktive neue Möglichkeiten.
Es ist nicht so, dass wir bisher auf der Vita selbst allzu großzügig mit strategischen Rollenspielen überhäuft worden wären. Daher ist auch für das zweite Disgaea 3 eine vorsichtige Kaufempfehlung fällig, sofern ihr das Original nicht schon absolut zu Tode gespielt habt. Dennoch hat man nicht das Gefühl, wirklich einen neuen Vollpreistitel zu bekommen. Zudem gibt es im PSN reichlich hochklassige Alternativen von der PSP zu, vergleichsweise, absoluten Spottpreisen. So sehr Disgaea 3: Absence of Detention also von den Qualitäten der Vorlage zehren kann und natürlich auch immer noch ein gutes Spiel ist: Letzten Endes hat man das Gefühl, die Vita hätte zu diesen Konditionen eigentlich den vierten Teil verdient gehabt.