Dishonored - Test
Die Stadt unter euch, den Geruch der Jagd in der Nase und am Horizont die Zukunft freien Spielens.
Bethesda scheint aktuell ein Händchen dafür zu haben, Enttäuschungen zu liefern, die sich auf einem so hohen Level abspielen, dass die Erwähnung des Wortes schon praktisch den Tatbestand des Hohns erfüllt. Aber ja, wie auch Skyrim zuvor ist Dishonored ein fantastisches Spiel und eine Enttäuschung zugleich. Wenn auch wieder eben zuerst das eine und dann sehr viel später erst das andere. Und aus ganz anderen Gründen, als es bei der Fantasy-Welt der Fall war.
Dishonored hält sein Versprechen echter spielerischer Freiheiten im Sinne von "macht doch, was ihr wollt" ein, daran besteht nach einigen Durchgängen kein Zweifel mehr. Seine Level sind nicht unbedingt "Open-World", aber es sind in sich geschlossene Abenteuerspielplätze sehr ordentlicher Größe, durch die ihr toben könnt, wie ihr lustig seid. Alle übernatürlichen Fertigkeiten, die das Spiel bietet, finden irgendwo Anwendung, Kämpfen, Schleichen oder beides lässt sich in Hülle und Fülle an allen Orten und Ecken praktizieren. Ob düstere Kanalisationen oder höchste Dächer, sie sind euer, wenn ihr einen Weg dorthin findet.
Oder vielmehr: wenn ihr ihn finden wollt. Diese absolute Freiheit alles, aber eben auch nichts zu tun, kommt zu einem überraschenden Preis. Ihr dürft ganz vieles auch geflissentlich ignorieren. Ein Spiel, das keine Ahnung hat, wie eure Spielweise aussehen wird und sich nie darauf verlassen kann, dass ihr die eine oder die andere Fertigkeit überhaupt habt, darf euch auch nie Rätsel geben, die sich nur mittels dieser lösen lassen.
Deus Ex hat dies bis zu einem gewissen Punkt besser verstanden. Hier gab es immer verschiedene Wege um ein Problem herum. Sei es Ballern, Schatten oder Hacken, jeder Weg bot eine Lösung, sobald ihr mit der richtigen Fertigkeit davor standet. In der Regel wurde immer noch nichts geschenkt, aber die anderen Wege waren euch häufig genug verschlossen, so wie euer Weg den Leuten bis zu einem gewissen Grad versperrt blieb, die einen anderen Fertigkeiten-Weg einschlugen. Nicht so in Dishonored.
Es gibt zwei Grund-Künste, die dem zu Unrecht des Kaiserinnen-Mordes bezichtigten Helden Corvo zur Verfügung stehen. Die eine ist eine Art Detektiv-Sicht, die euch durch Wände blicken lässt, wichtige Gegenstände hervorhebt und vor allem innerhalb eines gewissen Radius die Wachen anzeigt, ihre Bewegungen und wohin sie gerade blicken. Die andere ist ein relativ großzügiger Teleport, der euch hinbringt, wo ihr sein müsst. Nicht immer im ersten Hüpfer, aber doch mit praktisch absoluter, immer planbarer Sicherheit.
Diese beiden Fähigkeiten allein sind so mächtig, dass sie ausreichen, um das Spiel von vorn bis hinten nicht nur durchzuspielen, sondern mit den ganz wenigen Ausnahmen einiger kleiner, weitestgehend belangloser Ecken auch vollständig zu erkunden. Das heißt nicht, dass der Wiederspielwert gering wäre, ihr kommt oft genug in die Level zurück, um etwas zu erforschen oder auszuprobieren. Es bedeutet jedoch, dass ihr nichts weiter braucht, um das zu tun. Und angesichts etwa neun weiterer Fertigkeiten ist das ein wenig ernüchternd.
Dabei sind diese so nett: Rattenschwärme rufen, die Wachen angreifen und sogar fressen können, die Leichen einfach nach einem Kill verschwinden lassen oder einen Windstoß aussenden, der Gegner zurückschubst. Auf der etwas weniger tödlichen Seite sind es das Anhalten der Zeit für ein paar Sekunden oder die Übernahme eines kleinen Tieres oder einer Person. Es ist auch nicht so, dass es nicht auch ein paar Möglichkeiten gäbe, diese Skills zu nutzen. Überall finden sich Löcher, um als vorübergehende Ratte durchzuschlüpfen, Wächter rekeln sich verlockend an Geländern oder warten in einsamen Gassen nur auf die Ratteninvasion.
Aber leider ist es immer ein "kann man machen, muss man nicht". Wortwörtlich. Es wird zwar etwas einfacher, aber so schwer ist das Timing nie, als dass nicht eine einzige feste Spielweise komplett ausreichen würde, um überall passieren zu können. Dishonored ist damit ein wenig ein Spiel, dass das ist, was ihr daraus macht. Nehmt nur eine Fertigkeit oder zwei und ihr kommt durch. Ihr werdet nicht wirklich etwas verpassen, ihr verschließt euch keine neuen Areale, aber es ist der Spaß, der dabei ein wenig auf der Strecke bleibt. Dadurch, dass alles sein kann, aber nicht muss, braucht man auch nie lange Grübeln, wie es weitergeht. Man macht einfach, was man bisher tat und es wird wieder funktionieren. Und zwar bis zum Ende durch.
Ein weiteres Problem der Verteilung der Fertigkeiten ist es, dass das Spiel eigentlich Stealth voraussetzt, um das Ende zu sehen. Hier und da mal eine Wache eliminiert wird toleriert, aber um das gute Ende zu sehen, müssen die spaßigen Todes-Powers im Arsenal eingeschlossen bleiben. Und ich meine wirklich "gutes" Ende. Nicht wirklich eine Variante von mehreren gleichwertigen Zukunftsvarianten sondern Schwarz- und Weiß-Zeichnerei. Es macht Spaß sich das "böse" Ende anzugucken, aber letztlich ist es erstaunlich, dass das Spiel in seinen Mitteln eine faire Zweiteilung anbietet, bei den damit zu erreichenden Zielen darauf jedoch verzichtet. Vielleicht sind Mörder aber auch wirklich nicht geeignet, um eine Stadt zu retten, egal wie rein ihre Absichten sonst sein mögen.
Das ist die Kritik an diesem Ansatz. Auf der anderen Seite muss man einfach sagen, dass es etwas alles andere als Alltägliches darstellt und der Versuch, von Deus Ex aus zu starten und dem Spieler mehr Freiheiten einzuräumen, indem man die Spielwelt noch mehr ihm und auch sich selbst überlässt, ist mutig. Selbst wenn nicht alles, wie gerade ausgeführt, hundertprozentig klickt, wenn man sich teilweise ohne Not etwas mehr einbringen muss, als sinnvoll erscheint, um alle Möglichkeiten auszureizen, ist Dishonored trotzdem aus meiner Sicht absolut ein Schritt in die richtige Richtung. Es setzt den Spieler nicht auf einer vorgedachten Route ab, sondern lässt ihn selbst sein Abenteuer finden.
Während ein Call of Duty und alle anderen mal mehr, mal weniger gescripteten Spiele - dazu zähle ich hier auch ein Deus Ex: Human Revolution - in Einzelmoneten oder halt im Dauerzustand dramaturgisch nichts anbrennen lässt und Feuerwerk liefert, ergibt sich dieses hier vereinzelt von selbst oder eben auch mal nicht. Tüftelt ihr in Dishonored einen Plan zu gut aus, dann klappt er meist einfach. Das sieht schick aus und wie Hannibal schon sagte liebt man es, wenn ein Plan funktioniert, aber die großen Momente entstehen in Dishonored aus der Improvisation.
Diese Momente könnten jedoch häufiger auftauchen. Die KI ist zu verlässlich, Wachen noch zu blöd, als dass das von Dishonored angestrebte Konzept schon ganz aufgehen würde. Eine echte Wache würde eben nicht tagaus, tagein die gleichen Schritte abwandern. Selbst wenn es nur kleinere Variationen wären, sie würden nach ein paar Runden auftreten. Vielleicht würde sie sich unmittelbar kurz abwenden, um mit einem Kollegen zu sprechen. Oder einen anderen Weg ein paar Meter herunterlaufen. Dass das technisch kein Problem ist, zeigen die letzten und in dieser Richtung mit Abstand stärksten Missionen. Die Wachen bewegen sich innerhalb relativ großer Bereiche weitestgehend frei und statt nur Muster zu lesen, müsst ihr auch mitunter in Sekundenbruchteilen umdisponieren, wenn einer doch einen Betäubten entdeckt, den ihr für sicher versteckt gehalten habt. Hier zeigt Dishonored, was wirklich in ihm steckt und zwischen zwei Wachen hindurchzuschlüpfen, nur um einer Dritten dann in die Arme zu laufen, lässt den Blutdruck viel weiter steigen, als einen schönen Plan abzuarbeiten. Wenn Dishonored loslegt, dann richtig und es ist eine der intensivsten Erfahrungen, die ihr aktuell für Geld im Videospielbereich kaufen könnt. Schade, dass es sich so selten traut.
Zum Kämpfen jedoch ist die KI keinesfalls zu blöd, ganz im Gegenteil. Der direkte Weg dürfte zwar immer noch der schnellste sein und der Grad an grafischer Gewalt ist dabei unterhaltsam, ohne in diskussionswürdige Borderlands-Regionen abzudriften. Mit der Pistole Schädel runterzuschießen, hat aber schon was, vor allem insoweit, als das es die Wirksamkeit des Arsenals unterstreicht. Trotzdem würde ich jedem raten, wenigstens auf dem dritten von vier Schwierigkeitsgraden zu spielen, um die gute Herausforderung anzunehmen. Die Gegner ducken sich weg, blocken wie die Meister und einfach nur drauf und fertig ist bei mehr als spätestens zwei Widersachern gleichzeitig - was ganz schnell passiert, wurde erst mal Alarm geschlagen - keine echte Option mehr. Dafür hält Corvo nicht annähernd genug aus. Drei, vier Treffer und das war es dann. Heiltränke sind zwar in großer Menge verfügbar, aber sie werden bei Konfrontationen auch genauso schnell verbrannt. Kämpfen macht wirklich Spaß. Selbst wenn man es ja eigentlich nicht tun sollte. Aber da die Areale ja, wie schon gesagt, einen hohen Wiederspielwert bieten, könnt ihr ja alles mal ausprobieren.
Die Spielplätze für all diese Aktionen sind dabei wirklich genau das. Die Stadt Dunwall wird nicht als zusammenhängendes Bild gezeichnet, sondern in etwas mehr als ein halbes Dutzend Ausschnitte aufgesplittert, die Arm, Reich und Untergegangen sehr schön zeigen und so ein gesamtes Bild erahnen lassen. Das Design dahinter ist stellenweise schlicht fantastisch und der gewählte Comic-Stil komplementiert dies vortrefflich, selbst wenn der technische Level, auf dem sich alles bewegt gar nicht so hoch ist. Eher schlichte Texturen an vielen Stellen, eher simple Modelle und ähnliche Tricks und Abkürzungen zu einer auch auf kleineren Rechnern praktisch perfekten Performance werden zumeist elegant durch die künstlerisch nahtlos umgesetzte Halb-Cell-Shading-Optik kaschiert. Aber High-End sieht aktuell anders aus.
Was so gezeichnet wird ist Steampunk in Reinkultur. Halb-mythische, halb-mechanische Konstrukte finden sich an allen Ecken und Enden, alles und jeder hat sich dem Post-viktorianischen Modestil unterworfen, der weit klassischer scheint, als er es in vielen Fällen wirklich ist. Vom Design-Standpunkt ist Dishonored ein Meisterwerk, selbst wenn man manchmal ein "City 17" unter einem Husten versteckt andeutet. Oppressive Regime denken wohl ähnlich, egal woher sie kommen.
Woran es ein wenig hapert, ist die eigentliche Mythologie und Historie dieses Ortes. Ihr erfahrt Dinge über Land und Leute und die vielen Bücher, Memos und Gespräche geben über die relativ dünne Haupthandlung hinweg viel Hintergrund. Und trotzdem scheint vieles im luftleeren Raum zu hängen. Manchmal auf eine gute Art, so wie die alte Republik, bevor Episode I erschien. Es klingt cool, man kann sich irgendwas drunter vorstellen und vielleicht ist es manchmal auch besser, nie zu genau nachzufragen. Das betrifft insbesondere die Welt, die Dunwall umgibt. Andere Städte werden erwähnt, aber fast nie benannt, das Leben jenseits der Stadt ist eine Art Vita Incognita und das größte Problem dürfte der Outsider sein.
Er bleibt bis zum Ende Gott, insoweit, als dass er sich nie erklärt und seine Motive nur ihm selbst vorbehalten bleiben. Warum er euch hilft, indem er Corvo die magischen Fertigkeiten gab, warum er offensichtlich zuvor auch anderen half, die im Laufe des Spiels gegen euch kämpfen, weiß nur er selbst. Das gibt einerseits einen Hauch von der divinalen Gravitas des Unbekannten (oder so), auf der anderen Seite ist es ein wenig ein Lynch, der keine Lust hat, sich zu erklären und so am Ende einfach nur ist, statt mehr zu sein als schiere Existenz. Es ist eine interessante Figur, aber wenn eine solche nie mit etwas rüber rückt, verliert man doch ein wenig das Interesse.
Das gilt auch für die eine oder andere Nebenrolle. Sie sind alle so gut ausgearbeitet, wie es für ihre Rolle erforderlich ist, aber dahinter zeigt sich, dass Dishonored als Spiel sich mehr um seine Mechaniken kümmert, als um Hintergründe. Ich mochte die meisten Figuren oder brachte das richtige Maß an Antipathie auf, aber hier wurde eine Chance verpasst, das Spiel auf einer anderen Ebene ebenso vielschichtig werden zu lassen, wie es in seinen Abläufen sein kann.
Das stört am Ende aber zum Glück aus einem anderen Grund relativ wenig: Dishonored spielt sich einfach wie ein Traum. Jede Bewegung läuft genau richtig ab, die Verbindung zwischen Spieler, Pad/Maus/Keyboard und Spielfigur klappt ohne Reibungsverluste. Es gehört zu den Spielen, die ihr spielt, weil es Spaß macht, sie zu spielen. Weil ihr nie mit den Kontrollen kämpft, weil ein Plan sich millimetergenau umsetzen lässt, weil es einfach klappt. Manchmal schon zu gut, aber das Thema hatten wir ja bereits.
Was jedoch etwas zu kurz kommt, ist die Synchronisation. Es ist keine Katastrophe, überhaupt nicht. Es wurde eine ganz solide Leistung mit brauchbaren Sprechern. Dumm nur, dass das Original einen Allstar-Cast aufbietet, der selbst in kleinen Randzeilen zeigt, was einen guten Sprecher auszeichnet: Emotionen vermitteln zu können. Als ich nach erfolgreicher Entführung einer adligen Widersacherin den englischen Text des von ihr besessenen Grafen hörte, dem ich sie übergab - "She will learn to love me. She has the rest of her life to do it", lief mir ein kalter Schauer den Rücken runter. Dieser Stimme traute man alles zu. In der deutschen Synchro dagegen ... ja, Zweck erfüllt. Haken hinter, Nächster bitte.
Die Xbox-Version enthält Deutsch und Französisch als Sprachen, die PS3 hatte ich leider keine Gelegenheit, zu testen. Die PC-Steam-Version enthielt aber auch den englischen Originalton. Da die PC-Version sich nicht auf dem allerhöchsten Stand der Technik bewegt, ist die Xbox-Version grafisch praktisch identisch. Die Spielbarkeit ist eh die gleiche. Was aber am PC noch einmal deutlich besser ausfällt - und da ist es schon sehr gut -, sind die Ladezeiten. Ein paar Sekunden, dann ist ein Level im Speicher oder ein Spielstand neu geladen. Fast schon zu schnell. Das senkt die Hemmschwelle, selbst einzelne Attacken noch mal optimiert zu versuchen, dramatisch.
Dishonored liefert einen ersten Einblick, wie die Zukunft des freien Spiels im Mainstreambereich aussehen könnte. Nicht bei den Indies, sondern mit technischen und künstlerischen Produktions-Aufwendungen, die sich an (fast) jeder Ecke zeigen. Und wenn man erst einmal Blut geleckt hat, dann wird es kein geradliniger Shooter oder Schleicher in Zukunft mehr einfach haben.
Selbst wenn hier noch nicht alles auf den Punkt sitzt, wenn die Mechaniken häufig genug über ihre eigene Freiheit stolpern, selbst mit all diesen kleinen Verfehlungen, die euch immer wieder nach dem verlangen lassen, was sein könnte - oder zumindest dem, was man sich plötzlich sehr real vorstellen könnte -, ist Dishonored am Ende immer noch ein absoluter Gewinner. Es versucht etwas anderes, es hat nicht immer Erfolg dabei, aber zur Hölle damit: Dieses Spiel einfach nur zu spielen, macht an sich einfach schon zu viel Spaß und ist noch dazu eine gute und überhaupt nicht alltägliche Erfahrung. Das allein wäre schon selten genug, aber zusammen im Paket könnte ich euch den ganzen Tag vorheulen, was sein könnte. Aber das, was ist, das, was ihr in Form des nicht perfekten Dishonored von dieser möglichen Zukunft des Spielens schon als Vorschuss bekommt, ist immer noch eine Million gerade gezogener Shooter wert. Selbst wenn die besser krachen.