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Dishonored - Vorschau

Möglichkeiten und Wege, Entscheidungen und Konsequenzen, Attentäter und Pestratten, Steampunk und Magie. Nicht viel, was hier fehlen könnte.

Wie erschafft man das aufregendste neue Franchise des Jahres? Einfach. Man nehme sich erstens sieben Jahre Vorlauf. In dieser Zeit lässt man Leute, die bereits entscheidende Beiträge zu Half-Life 2, Deus Ex, Arx Fatalis, Thief 3, System Shock und noch mehr großen Spielen leisteten - auch Ultima 8, aber einen Aussetzer darf jeder haben ... -, eine neue Welt bauen. Und sie geben dann dem Spieler die Möglichkeit alles zu tun. Fast.

Nicht im räumlichen Sinne. Dishonored ist kein Titel, in dem es um die weitschweifende Erkundung ganzer Kontinente geht. Nicht einmal die Stadt Dunwall werdet ihr vergleichbar eines Assassins Creeds in allen Ecken erkunden können. Dishonored entschied sich bewusst gegen die Bandbreite im Weitwinkelformat, sondern sucht seine Erfüllung in unendlich vielen Details, während es ein viktorianisches Zeitalter rekreiert, das es so niemals gab.

In diesem herrscht eine Zeit des Niedergangs. Tyrannei und die totale Kontrolle machen sich breit, so wie auch die Seuche durch die Stadt rast und alle Betroffenen in leidende Bündel Elend verwandelt. Die Aristokratie versucht nur bedingt, dies aufzuhalten, sondern sucht das Heil in der Isolation. Es werden nur die betroffenen Bereiche abschottet, die reichen Bezirke und die wichtigen Handelskontore müssen ja geschützt werden. Wer sich dem in den Weg stellt, muss durch die "Wand aus Licht", überall zu findende Prüfschranken, die nur Wächter erkennen und passieren lassen, jeden anderen jedoch sofort desintegrieren. Aufstände werden radikal zusammengeschossen und zu allem Überfluss wurde auch noch die junge und beliebte Kaiserin, das einzige Gegengewicht von Macht wider dem Lord Regent ermordet.

Der Täter steht zum Glück fest, sodass dem Volk ein Bauernopfer versprochen werden kann. Ihr kennt den gehetzten Blick Corvos aus dem beeindruckenden, kürzlich veröffentlichten Trailer. Er war es nicht, aber solche Details spielen in dieser gereizten Stadtatmosphäre keine Rolle. Er hat nur einen Verbündeten und es könnte kein unwahrscheinlicherer Spieler auf diesem Feld von Macht, Tyrannei und Grausamkeit sein. Der Outsider - Außenseiter - ist... ja, was eigentlich? Gott? Der Teufel? Beides und nichts ist wahrscheinlich die beste Antwort, aber in jedem Fall ist Dunwall seine Spielwiese. Er beobachtet und manipuliert, ohne jedoch wirklich in Erscheinung zu treten. Seine Stimme kennt ihr nach dem Trailer ebenfalls und auch sein Geschenk an Corvo. Das Zeichen auf der Hand gibt den Trägern übernatürliche Macht, aber sie kommt zu einem Preis. Wie hoch dieser ausfällt, lässt der Outsider im dunkel. Aber jede Hilfe ist Corso in diesem Moment bei seiner Rache recht. Vergleichbar eines Edmond Dantès war er ein Mann von Macht, Ansehen und Reichtum. Nimmt man einem solchen Mann diese Dinge, bleibt stets ein für die Dramaturgie unersetzlicher Wunsch übrig: Rache.

Es ist eine klassische Geschichte, die Dishonored erzählt, aber es erzählt sie auf sehr vielfältige Weise. Der eigentliche Weg dabei ist linear, zumindest relativ. Das etwas mehr als ein Dutzend Missionen baut aufeinander auf und ihre Reihenfolge ist definiert. Die Missionen selbst jedoch sind ein Zeugnis ihrer geistigen Herkunft, des Werdegangs des Teams hinter Dishonored. Euer "Hub", das Hauptquartier des neu geschaffenen Assassinen ist ein alter, verlassener Pub und wer schon mal in einem britischen Pub der vorletzten Jahrhundertwende war, wird viele Charakteristika sofort wiedererkennen. Wie alles wurde dieser Raum mit vielen kleinen Twists geschaffen und umgesetzt, so nah jedoch an unserer Realität, dass es in diesem Moment auch fast London sein könnte.

Zieht ihr hinaus in die Straßen, wird weiter klar, wie tief hier der Einfluss der englischen Industrie-Ästhetik geht, dass die Entwickler wirklich durch die Streets of London zogen und diese von dort aus mit Einflüssen des Steampunk durchsetzten. Ornament-verzierte Gebäudezeilen treffen auf pferdelose Kutschen, frühe Panzer und Wachtürme, die eine Stimmung konstanter Bedrohung vermitteln. Diese ist sehr real, überwältigend, es ist eine raue, ständig gewaltbereite Welt. Nicht mehr ganz das Mittelalter, aber kurz bevor die Zivilisation wirklich aufkam. Ihr werdet Zeuge von kleinen Zwischenfällen auf der Straße, aber von Interesse ist das für Corvos höhere Mission nicht wirklich. Sein Ziel in diesem Falle ist das Golden Cat Badehaus, in dem zwei einflussreiche Industrielle zu Gast sind.

Ihr müsst sie nicht unbedingt töten. Ihr müsst niemanden in Dishonored töten, keine Ausnahmen. Es kann euch völlig genügen, sie in Ungnade fallen zu lassen, sie zu ruinieren und in den eigenen Minenschächten verrecken zu lassen. Für viele sicher viel süßer, als nur das Messer.

Was sofort auffällt, ist Corvos elegante Beweglichkeit und das trotz der Ego-Sicht. Diese wirkt ein wenig wie eine Mischung aus Half-Life 2 und Mirror´s Edge vom Gefühl. Schnell und kraftvoll. Es gibt kein Denkungssystem im Sinne von Deus Ex. Licht und Schatten haben Einfluss, die Sichtweiten der Gegner, und bevor ihr aus einer Blickdeckung huscht, könnt ihr euch nach links oder rechts hinauslehnen. Keine Selbstverständlichkeit bei einem Spiel, das auch für Konsolen erscheinen wird.

Der Weg in das Badehaus ist der Teil, wo mit der Linearität von einem Moment auf den anderen Schluss ist. Arkane Studios liebt es nach eigener Aussage, Umgebungen zu schaffen, darin die KI zu platzieren und den Spieler den Rest austüfteln zu lassen. Zumindest soweit das möglich ist. Hier sind es nicht weniger als acht Eingänge in das Haus und zwei mögliche Startpunkte. Habt ihr einen vorigen - hier nicht gezeigten - Teil der Mission erfolgreich bewältigt, kommt ihr über das Dach herein, was vieles einfacher macht, sonst müsst ihr euch über die Straße nähern. Fenster können geöffnet werden, Luken unter dem Dach gibt es dort und auch der Haupteingang ist keine Unmöglichkeit. Nur halt sehr gut bewacht.

Dies sind die regulären Möglichkeiten, aber die vom Outsider verliehenen Fertigkeiten geben euch erst den richtigen Schneid, sie zu nutzen. Alles wurde noch nicht gezeigt, es werden eine ganze Reihe sein. Einige passiv, andere bei Bedarf einsetzbar. Eine von diesen ist das "Blinzeln". Ihr peilt für eine Sekunde einen Punkt an, ein Marker erscheint und im nächsten Moment seid ihr dort. Das kostet Kraft oder vielmehr Essenz, der zweite Balken neben der Lebensenergie. Nach Belieben kann man also nicht umherhüpfen. Springt vom Dach zu einer sonst nicht - auch nicht per Blinzeln - erreichbaren Kante ab, blinzelt erst im Sprung und landet sicher. Oder teleportiert euch direkt hinter eine der zahlreichen patrouillierenden Wachen und schaltet sie lautlos aus, entweder vorübergehend oder endgültig.

Die nächste Power ist weit spannender und zwingt den Spieler, ein klein wenig umzudenken. Ihr könnt entweder in Tiere oder auch - hochleveln dieser Fertigkeit vorausgesetzt - in einen Menschen schlüpfen. Jeden Menschen. Ratten und Fische sind in einer Pest-geplagten Hafenstadt allgegenwärtig, sodass ihr oft die kleinen und behänden Beine einer Ratte nutzen könnt, um durch schmale Spalten zu huschen, bevor die Energie aufgebraucht ist. Ihr steuert dabei nicht nur das Tier, in gewisser Weise seid ihr es und materialisiert euch auch dort, wo ihr es verlasst. Also, in Ratte rein, durch Tür huschen, durch die Kanalisation, auf der anderen Seite wieder raus. Und sich vor den schweren Stiefeln der Wache hüten.

Mit Menschen ist das nicht so leicht, ihr Unterbewusstsein wehrt sich und die Energie reicht nicht lange. Ihr könnt sie nicht zum Selbstmord zwingen und es würde keinen Sinn machen von einem Balkon zu springen, schließlich bewohnt auch ihr in dem Moment den Körper. Es eignet sich aber wunderbar, um in diesem Körper durch eine verschlossene und bewachte Tür oder die Wand aus Licht zu kommen. Ein besonders kreativer und fieser Einsatz wurde von Test-Spielern gefunden. Sie froren in der Sekunde, in der die Wache auf euch schoss, die Zeit ein - eine weitere Power, die wenige Sekunden hält -, sodass die Kugel vor der Wache schwebte. Jetzt schlüpften sie in die Wache und wanderten vor die Kugel. Alle von euch "bewohnten" Objekte könnt ihr in der Zeitstasis normal bewegen. Er stand jetzt neben der sich nähernden Kugel und der Spieler verlies den Körper. Die Zeit startete wieder und die Wache schoss sich selbst in die Schläfe. Es sieht nicht nach Fremdeinwirkung aus. Gäbe es CSI, würden sie sofort Selbstmord bestätigen ...

Eine andere Anwendung wurde ebenfalls von Spielern entdeckt und dürfte bei den Leveldesignern für einige Aufregung gesorgt haben. Normalerweise endet der Sturz aus dem vierten Stock auch für Super-Assassinen tödlich. Wenn diese jedoch unten ein Ziel haben, können sie es "bewohnen", bevor sie aufschlagen und dann einfach wieder verlassen. Plötzlich sind große Höhen kein Problem, solange unten eine Wache wartet. Das Ziel selbst ist nach der Aktion des Spielers selbst für ein paar Sekunden verwirrt und kann nicht gleich reagieren. Aber wie schon gesagt, alles ist in der Phase des "Körper-Bewohnens" nicht machbar. Umstehende bemerken, dass etwas nicht stimmt und werden reagieren, wenn ihr zu auffällige Dinge tut. Dann rufen sie zum Beispiel die Wachen oder greifen gleich selbst an.

Ihr seht, wie vielfältig allein diese eine Power ausfällt und wie viele Möglichkeiten sie euch gibt. Mit solchen Talenten landet ihr leicht im Badehaus. Wo die beiden Ziele jedoch stecken, davon habt ihr nicht nur keine Ahnung, sie werden auch jedes Mal beim Start der Mission neue verteilt, was ja geradezu zu neuen Durchspielrunden einlädt. In diesem Fall befand sich einer in einem der Sauna-Räume im Keller und der andere auf einem Balkon im ersten Stock. Lassen wir es wie Unfälle aussehen. Belauscht Gespräche der Wachen um zu erfahren, wo die beiden stecken, sucht nach Wertgegenständen, Runen und Talismanen. Mit den Ersten beiden verbessert ihr eure Ausrüstung und euer Powers, die Talismane sind etwas Besonderes. Es gibt 50 von ihnen und in einem Spiel-Durchgang könnt ihr etwa 15-20 von ihnen finden. Jeder gibt euch eine kleine Extra-Fertigkeit. Nichts Weltbewegendes, etwas bessere Heilung, Schnelligkeit, Nettigkeiten statt Notwendigkeiten halt. Aber es ist ein zusätzlicher Anreiz, das Spiel erneut zu versuchen und dabei dann andere Talismane zu nutzen.

Dem Lauschen der Dialoge, auch schon mal gerne durch ein Schlüsselloch hindurch, kommt in Dishonored weit mehr Bedeutung zu als sonst. Neben Informationen über den Missionsverlauf erfahrt ihr hier auch von wichtigen Nebenzielen und sogar Dingen, die folgende Missionen maßgeblich beeinflussen können. Habt ihr also die Gelegenheit, Mäuschen zu spielen, selbst wenn ihr dafür in eine Ratte schlüpfen müsst, dann nutzt sie. So erfahrt ihr dann, dass ein Dampfventil neben der Sauna defekt ist. Ihr schleicht in den Raum, nutzt diesen Defekt aus und kocht den eigentlich Abgebrühten einmal ordentlich durch. Alle werden denken, es war ein Unfall. Sein Bruder zwei Stockwerke weiter wird ob der Verzweiflung Selbstmord begehen. Ihr schleicht euch nach oben durch, fahrt in seinen Körper, wandert zu einem nahen Balkon, der den Hafen überblickt, schnell raus aus ihm, dann ein Windstoß - eine weitere Power - und schon segelt er nach unten. Unfall? Selbstmord? Sicher wird niemand einen Mord vermuten.

Der zweite Durchgang durch das gleiche Szenario zeigt mehr vom Arsenal des Assassinen. Pistolen, tödliche Armbrüste, Granaten, Dolch und Degen. Dishonored hält sich dabei mit der Gewalt nicht zurück und explodierende Köpfe sind schon fast ein klein wenig zu viel für den restlichen Stil, ein wenig zu comichaft. Und wo es vorher recht komplex war, geht es nun direkt zur Sache. Ezio wirkt gegen diesen Assassinen wie ein zaghafter Anfänger, was nicht zuletzt an den Powers liegt. Zeit einfrieren, Pfeile in drei Wachen jagen, Zeit starten, drei Tote, schneller als in Max Payne und Matrix. Gegnerische Explosiv-Bolzen werden mit dem Windstoß zurückgeworfen, mit dem Blinken geht es in den Rücken der Feinde, heraus aus einer vermeintlichen Ecke, in die Corvo getrieben wurde.

Dieser Weg ist nicht unbedingt einfacher, da die KI scheinbar recht genau weiß, was sie tut und es gibt auch einen anderen Nachteil. Obwohl, vielleicht ist "Nachteil" das falsche Wort, es kommt immer auf die eigenen Ziele an. Dishonored - in Spielbegriffen ausgedrückt der Outsider - beobachtet euch, ohne das auszusprechen, und die Spielwelt reagiert auf euch. Charaktere begegnen euch anders, Missionen verändern sich ein wenig und die Stadt selbst erhält langsam ein anderes Antlitz, abhängig davon, ob ihr euch zurückhaltet und leise tretet oder wie ein Racheengel durch die Straßen marodiert. Die Häuser kommen weiter herunter, mehr Ratten und damit mehr Pestkranke, ihr scheint ein wenig auch Rache an der Stadt selbst zu nehmen, solange ihr ohne Rücksicht zuschlagt. Aber vielleicht wollt ihr das ja auch.

Dishonored - Trailer

Die visuelle Veränderung dieser Stadt allein könnte zwei Durchgänge rechtfertigen. In beiden Fällen dürfte es eine stilistisch spannende Erfahrung sein, denn für Dishonored hat man einen sehr geschickten, aus verschiedenen Kunst- und auch Karikatur-Stilen von 1850-1930 gebildeten Weg gefunden, dem Spiel eine ganz eigene Identität zu geben. Harte, kantige und sehr ausdrucksstarke Gesichter in einem nur entfernt an klassisches Cell-Shading erinnernden und weit mehr an feine Aquarell-Technik angelehnten Stil, zeigen eine dunkle, aber alles andere als langweilige Welt. Ein ewiges Zwielicht gibt eine unwirkliche Stimmung, komplexe Beleuchtungstechniken zaubern harte Schatten und Kontraste, die für Dishonored sehr charakteristisch zu sein scheinen. Unwirklich und doch vertraut zugleich, mit Flashbacks zu Bioshock, Half-Life, Thief, architekturbegeisterten Filmklassikern wie Metropolis oder Blade Runner und immer wieder zurück in die Dampf- und Kohle-Zeit des Union Jack. Aus all diesen Elementen und viel eigenständiger Kreativität gelingt es Dishonored, sich mit scheinbarer Leichtigkeit abzusetzen und einen ganz eigenen Stil zu schaffen.

Dishonored sah schon letztes Jahr so vielversprechend aus, dass man gar nicht so recht glauben wollte, dass alle diese Ideen in sinnvoller Weise in einem Spiel zusammenfinden könnten. Eine aufregende neue Welt, deren frischer Stil sofort auffällt und all diese Möglichkeiten! Ich kann es kaum erwarten, selbst zu spielen und auszuprobieren, ob dem Spieler hier wirklich so viel Macht gegeben wird. Wenn das jedoch der Fall sein wird, dann werden selbst die Möglichkeiten eines Deus Ex: Human Revolution vergleichsweise blass wirken.

Die Vielfalt, die in der Mischung aus Fertigkeiten und den Umgebungen steckt, die nicht durchchoreografierten, sondern sich auf natürliche Art anbietenden Wege könnten eine Freiheit bedeuten, die wir so schon lange nicht mehr erfahren haben. Dishonored sieht verdammt gut aus und ist die spannendste, neue Marke der letzten Jahre. Wenn hier all die einzelnen Teile im fertigen Spiel richtig zusammenfinden, dann könnte Dishonored für die Arkane Studio der große Durchbruch sein, der ihnen damals mit Arx Fatalis leider vorenthalten blieb. Wünschen würde ich es ihnen. Aus purem Eigennutz und dem Wunsch das zu spielen, wonach Dishonored derzeit aussieht.

Dishonored erscheint dieses Jahr für PC, Xbox 360 und PS3.

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Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
In diesem artikel

Dishonored

PS3, Xbox 360, PC

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