Disintegration angespielt: Das neue Spiel des Halo-Schöpfers hat noch einen langen Weg vor sich
Immerhin liefert die technische Beta in Sachen Technik.
Marcus Lehto hat eines der großen Konsolenmaskottchen auf dem Kerbholz: Der Master Chief - überhaupt die komplette "Space-Marine aus dem Apple-Store"-Optik der Halo-Reihe - gehen auf den ehemaligen Creative Art Director von Bungie zurück. Wenn der Herr also ein neues Spiel macht, tut man gut daran, genau hinzusehen. Genau dazu hatte ich Ende letzter Woche und das Wochenende hindurch Gelegenheit, als ich die Technical Beta von Disintegration ausprobieren durfte.
Disintegration war nicht ohne Grund in unseren Vorfreude-Top-40 für 2020 gelandet: Die Idee, einen Shooter mit Echtzeitstrategie zu mischen, mag nicht unbedingt neu sein, verspricht aber immer, einen interessanten Querschnitt an Talenten vom Spieler einzufordern. Diese Art Hybrid drückt einfach ein paar Knöpfe, die Spiele aus den jeweiligen Quell-Genres gar nicht erst anrühren und das macht es so interessant. Auch Disintegration ist als konstante Übung in Multitasking angelegt, in der ihr stets zwischen eigener Positionierung auf dem Schlachtfeld und dem eigenem Schadensdurchsatz und dem Management eurer drei KI-Untergebenen balancieren müsst.
Es ist ein zweifellos spannender Ansatz mit großem Potenzial. Allerdings wirkte der technische Test kaum mehr als das: Ein Testflug, ob infrastrukturell alles soweit steht. Den kann man als gelungen bezeichnen, denn Probleme - außer, dass mir ein paar Einstellungen fehlten, wie etwa FOV oder unbegrenzte Bildrate - hatte ich in meiner kompletten Testphase kaum. Das Spiel an sich hatte jedoch noch so seine Probleme, mich zu fesseln. Das lag an diversen Design-Entscheidungen, angefangen bei so zentralen Dingen wie Spielgefühl in der Bewegung und beim Einsatz der Waffen und Extras. Jeder Spieler in den vierköpfigen Teams sitzt in seinem eigenen "Grav-Cycle", einem schwebenden Gefährt mit schwerer Bewaffnung - und einer Fähigkeit vom EMP bis hin zu einem Heilungsfeld -, das gewissermaßen frei über das Schlachtfeld fliegt, wenngleich in der Höhe streng "gedeckelt" ist.
So oder so: Zwei Spielmodi waren in der Beta verfügbar: Eine Angriff-und-Verteidigung-Variante, bei der das offensive Team so genannte Cores zu einem zentralen Punkt auf der Karte liefern muss, sowie eine Domination-Version mit zu haltenden Kontrollpunkten. In deren Rahmen manövriert ihr über die Map und dirigiert nebenbei eure Fußsoldaten dorthin, wo ihr sie haben wollt. Die Kollegen bringen ihrerseits Ausrüstung wie Verlangsamungsfeld, Granaten und so weiter mit und folgen jedem eurer Rechtsklicks an die Stelle, auf die gerade euer Fadenkreuz zeigt - oder attackieren darunter liegende Feinde. Auch wie sie ihre taktischen Ressourcen einzusetzen haben, unterliegt allein eurer Weisung. Der Grad an Kontrolle ist in jedem Fall hoch, außerdem schießen die Kollegen je nach Klasse recht genau und gehorchen euren Kommandos gut. Gehen sie zu Boden, nähert ihr euch kurz, um sie zu bergen, woraufhin sie nach einer kurzen Wartepause wieder in den Fight einsteigen.
Alles funktioniert wie es soll, aber richtig gutes Spielgefühl kommt weder beim trägen Flug (der sich je nach Klasse eures Gefährtes gerne deutlicher unterscheiden dürfte) durch die postapokalyptische Welt auf, noch beim Ziehen des Abzugs. Die Waffen klingen nicht gerade kraftvoll und das Trefferfeedback beschränkt sich vor allem beim Anvisieren gegnerischer Grav-Cycles noch sehr darauf, mit gezogenem Trigger der Lebensleiste des Gegners beim langsamen Schmelzen zuzuschauen. Man sieht, dass man Schaden anrichtet, fühlt es aber nicht so richtig. Dazu kommen teilweise geradezu komödiantisch kleine Magazine, die bewirken, dass man regelmäßig lange mit Nachladen beschäftigt ist. Besonders als Unterstützer-Klasse fühlt man sich in der Offensive beinahe sinnlos: Das Fünferpack Raketen, das man verschießt, hat eine zu lange Flugzeit und sogar Kugelabfall. Das verspricht Taktilität für Könner, vermittelt sie aber in der Praxis nicht, nicht zuletzt, weil auch ihr Schaden extrem gering ist.
Und der taktische Anteil kommt allein deshalb schon nicht so sehr zum Tragen, weil es keine Minimap gibt, die ein wenig Bewusstsein für den Schlachtenverlauf, Truppenbewegungen und strategisch wichtige Punkte geben könnte. Den Rest der Übersicht rauben dann das wilde Durcheinander der KI-Begleitereinheiten, die regelmäßig gute Deckungsgelegenheiten ignorieren und die durch die "Flügel" des Grav-Cycle eingeschränkte Sicht.
Wie gesagt: Es kommt einem vor, als wäre das Spiel noch lange nicht fertig. Besonders in Sachen Bewegungsmodell und Waffenkraft darf V1 Interactive gerne noch gründlich nachpfeffern und sobald das Kampfgeschehen ein wenig besser lesbar wird, kann ich mir gut vorstellen, dem Spiel noch einmal eine Chance zu geben. Für den Moment aber ist festzuhalten, dass Disintegration eines der wenigen Spiele ist, in denen mir das Tutorial mehr Spaß bereitete als die eigentlichen Matches und das ist kein allzu vielversprechendes Voraburteil, denke ich.
Gleichzeitig mag ich, wie die Welt aussieht, das Design der Figuren und die allgemeine Farbpalette. Der grundlegende Gedanke klingt nach etwas, das ich spielen wollen würde und dass eine gut zehnstündige Kampagne bestätigt ist, stimmt ebenfalls zuversichtlich. Auf einen Story-Modus mit guter Geschichte und aufgeräumteren, weil entwicklergesteuerten Schlachten, in die ich mit einem (hoffentlich) gut geschriebenen Squad KI-Begleiter aus der Luft eingreifen darf, hätte ich tatsächlich große Lust.
Entwickler/Publisher: V1 Interactive/Private Division Erscheint für: PC,PS4 Xbox One- Geplante Veröffentlichung: 2020 - Angespielt auf Plattform: PC