Disney Micky Epic
Entscheidungen (90s 3D-Kamera) = Konsequenzen (Leid des Spielers)
Auf der Habenseite steht trotzdem der Aufbau der einzelnen Stages, denen es gelingt, auf einem kleinen Areal recht viele Verstecke und Aufgaben unterzubringen, diese reizvoll zu halten und euch über weite Strecken motiviert, nicht zuletzt dank der kurzen Leine, von einer zur nächsten Aufgabe zu locken und dabei zu unterhalten. Das die gelingt, ist zu einem nicht kleinen Teil der Akribie zu verdanken, mit der die Welt und vor allem ihre Bewohner entworfen wurden.
Was Entscheidungen und Konsequenzen angeht, mag Micky Epic enttäuschen. Was aber hier an Figuren zum Leben erweckt wird, mit den einfachen und doch unendlich komplexen psychologischen und künstlerischen Mitteln, die schon Disney und seine Zeichner vor langer Zeit so meisterlich beherrschten, kommt nah an diese goldenen Zeiten des Trickstudios heran. Die Geschichte um die vergessenen Charaktere, die ihre eigene Parallelwelt bauen, ihren Herrscher Oswald, den fröhlichen Hasen, verehren und eigentlich gut über die Runden kommen, bevor Micky durch ein Versehen alles ruiniert, braucht zwar eine ganze Weile, um überhaupt mal auf den Punkt zu kommen, aber dann funktioniert es.
Hier keine Empathie für die beinahe zärtlich zurückgeholten und gepflegten Ex-Lieblinge der Zeichentrickwelt zu entwickeln, ist fast unmöglich. Über allem, dem etwas blass bleibenden Micky sowieso, steht mit Oswald eine der besten Spielfiguren, die je erschaffen wurden. Seine Motive, seine Ambitionen und Gefühle sind so komplex wie nachvollziehbar und werden mit schlichten Gesten, einfachen Worten und einem beinahe beängstigenden Gespür für Feinheiten im Timing umgesetzt. Wer auch immer für ihn verantwortlich war, sei es Spector selbst, jemand anders oder ein ganzes Team, sollte in Zukunft Charaktere für Trickfilme gestalten. Diese Figur, vergessen oder auch nicht, kann es locker mit den besten von Dreamworks und Co. aufnehmen.
Das mit dem „Vergessen" ist übrigens auch so eine Sache. Ich stehe da in vieler Weise zwiespältig gegenüber. Diese Welt hier ist düster und es umgibt sie die Melancholie der Verlierer des Lebens, die es trotzdem immer wieder versuchen und das Beste daraus machen. Ich weiß nicht, ob dieses sehr feinfühlige und in seinen Anlehnungen kritische Setting geeignet für das eher kindgerechte Gameplay darin ist. Es fühlt sich ein wenig wie ein Bruch an und vielleicht wäre ein anderes Spiel diesem klug entworfenem Abgesang auf eine Reihe von Figuren, die ihre Chance auf Unsterblichkeit verpassten, besser gerecht geworden.
In diesem Zusammenhang fallen die 2D-Hüpf-Einlagen seltsam positiv auf. Bei jedem Wechseln in eine neue Stage und auch zu ein paar anderen Gelegenheiten springt Micky in eine Leinwand. Dann taucht er in einer Welt auf, die in ihrem leicht vergilbtem Schwarz-Weiß, den Animationen und der Gestaltung so sehr an die frühen Disney-Kurzfilme erinnert, dass man meinen könnte, einem animierten Gespenst begegnet zu sein. Leider hapert es bei den Sprungkontrollen dann wieder ein wenig, sodass gelegentliche Flüche nicht ausbleiben, obwohl die Abschnitte weder besonders lang noch schwierig sind. Dass Sprungmechaniken eine Kunst sind, beweist Mario, von dem Micky in diesem Fall viel lernen kann.
Visuell und in seinen Figuren merkt man Micky Epic sofort an, dass dem Werk eine aufrechte und tiefe Bewunderung für Disneys vergessene Schützlinge zugrunde liegt, an der man den Spieler teilhaben lassen möchte. Und das gelingt. Ich weiß nicht, ob Oswald mit diesem Spiel ein Comeback feiert oder ob er in wenigen Jahren zurück in der schwerblütigen Welt der Ex-Publikumsmagneten landet. Ich weiß nicht, wie viele Leute sich an ihn erinnern müssen, um das zu verhindern. Wenn einer reicht, dann hat er zumindest bis zum Ende meiner Tage seinen Platz an der Sonne gesichert. Ich werde diese Figur sicher nicht mehr vergessen.
Was das restliche Spiel angeht, gibt es da Passagen, die ich wirklich gern vergessen würde, aber das wird ebenfalls schwerfallen. So eine End-90s-Kameraführung sah man schon lange nicht mehr und sie wiederholt alle Fehler, aus denen man längst hätte lernen sollen. Zum Glück wird statt komplexer Hüpfer viel mehr auf das nette und auch recht neue Konzept von Erschaffen und Löschen mit den Farben gesetzt. Das macht Laune und bietet Raum für ein paar gute Rätsel, auch wenn die Kreativität komplett auf der Strecke bleibt. Freiheiten finden sich kaum, was gerade angesichts der großen Worte zu Entscheidungen und Konsequenzen ein wenig bitter aufstößt. Das Spiel motiviert einen zu wenig, in verschiedenen Bahnen zu denken, um Probleme aus anderen Winkeln zu betrachten. Man nimmt die Lösung, die kommt, und wirkliche Konsequenzen im großen Sinne bleibt Micky Epic schuldig.
Was übrig bleibt, ist ein gutes Jump-Adventure in 3D, das spielerisch viel von einem Mario Galaxy lernen könnte. Im Gegenzug darf es dann dem Klempner zeigen, wie man auch mit einfachen Mitteln großartige Figuren schafft, die sich durch mehr auszeichnen als einen Schnurrbart. Schade für Disney Micky Epic, dass am Ende des Tages der spielerische Teil wichtiger ist.
Disneys Micky Epic (oder im Rest der Welt: Disney Epic Mickey) ist ab sofort für die Wii zu haben.