Dissidia Final Fantasy NT - Test
Der epileptische Anfall unter den Fighting Games.
Es ist nicht so, dass ich etwas gegen gewisse Statusanzeigen in Spielen hätte. Aber ich finde es meistens doch kreativ, wenn das Spiel es irgendwie anders schafft, mir die Zahlen, die im Hintergrund durch den Code rattern, irgendwie kreativer mitzuteilen als durch schiere Anzeigen im Vordergrund. Dead Space fand ich hier beispielsweise ganz toll - es hat alles, was der Spieler wissen muss, einfach in den Anzug der Spielfigur integriert. Jetzt weiß ich aber auch, wie das krasse Gegenteil aussieht, denn ich habe Dissidia Final Fantasy NT gespielt und ein dermaßen überladenes Interface vorgefunden, dass mein Innenohr vor Nervosität schon angefangen hat zu summen. Ein schlechtes Spiel ist Dissidia trotzdem nicht - nur ein sehr eigenwilliges, das eine relativ lange Eingewöhnungsphase braucht und dann nochmal viele Stunden, um wirklich gut darin zu werden.
Ich bin an Dissidia Final Fantasy NT mit dem Gefühl herangegangen, dass mich hier so etwas ähnliches wie ein Prügelspiel erwartet. Das war ein grundlegendes Missverständnis, Dissidia ist irgendwas anderes und ich weiß nicht genau, wie ich es nennen soll. Final-Fantasy-Echtzeit-Kampfsimulator vielleicht. Dass das Spiel nicht mit gewöhnlichen Prügelspielen zu vergleichen ist, wird schon dadurch deutlich, wie es seine Angriffe kategorisiert. Es unterscheidet zwischen Lebenspunkteattacken und Mutattacken. Jede Spielfigur startet mit einem Mutwert von 1.000, ein Angriff auf den Feind senkt dessen Mut und erhöht den eigenen. Ist der eigene Mut möglichst weit oben, ist der perfekte Zeitpunkt für eine LP-Attacke gekommen. Die wiederum fügt dem Gegner Schaden in Höhe des besagtem Wertes zu. Es lohnt sich also, den Mut möglichst weit nach oben zu treiben, aber auch den richtigen Zeitpunkt für eine LP-Attacke abzupassen. Gelingt euch das nämlich nicht und werdet ihr zwischenzeitlich getroffen, sinkt der eigene Mutwert und somit auch eure Fähigkeit, wirklich Schaden auszuteilen. Zur Verteidigung könnt ihr wahlweise ausweichen oder blocken. Um möglichst schnell zum Gegner zu kommen, dürft ihr außerdem sprinten, das kostet in den teilweise recht großen Arenen aber Ausdauer.
Was man von Animes wie Dragon Ball kennt, nämlich dass Figuren gefühlte Ewigkeiten damit verbringen. eine Attacke aufzuladen, nur um sie dann in einem riesigen Gewaltschlag zu entladen, ist im Gameplay von Dissidia Final Fantasy NT Realität. Es führt auch dazu, dass sich die Kämpfe recht taktisch und spannend anfühlen. Wer es schafft, lang genug keinen Treffer einzustecken und seinen Mutwert in exorbitante Höhen zu treiben, kann einen Gegner vielleicht sogar mit einem Treffer komplett ausschalten. Nun kommt die Serie von der guten alten PSP - und die lange Zeit seit dem ersten Teil bringt einige Veränderungen mit sich. Neu ist bei Dissidia Final Fantasy NT die Tatsache, dass immer drei gegen drei antreten. Vier verschiedene Klassen gibt es: Fernkämpfer, Assassine, Spezialist und Frontkämpfer, die sich insgesamt auf etwa 30 verschiedene Figuren aus 17 Final-Fantasy-Spielen verteilen. Das Spiel legt seinen Schwerpunkt eindeutig auf den Online-Multiplayer-Modus und der verlangt von euch praktisch, dass ihr euch Leute zum Spielen sucht, die ihr kennt. Mit Wildfremden zu spielen, hat in meinem Fall so gut wie nie zum Erfolg geführt.
Das liegt auch daran, dass die oben genannten Mechanismen noch längst nicht alle sind. Im laufenden Match könnt ihr nämlich auch noch sogenannte Ex-Fähigkeiten aufladen. Je nachdem, welche ihr habt, führt deren Auslösen zu unterschiedlichen Buffs - ihr könnt beispielsweise den Mut eurer Mitspieler steigern oder negative Statuswerte heilen, etwa Vergiftungen. Und weil zu Final Fantasy nun mal zwangsläufig auch Espern gehören, könnt ihr auch die beschwören - das wiederum geht, indem ihr sogenannte Beschwörungskerne zerstört, die hin und wieder zufällig auf dem Schlachtfeld erscheinen. Vor jedem Kampf stimmt ihr darüber ab, welche Esper zu eurem Team gehört. Dabei habt ihr natürlich Klassiker wie Bahamut oder Shiva zur Verfügung. Ist eine solche Esper beschwört, randaliert diese nicht nur relativ effektiv in den gegnerischen Reihen - bereits vor der Beschwörung sorgt die Auswahl für bestimmte Buffs, etwa eine Erhöhung der Ausdauer, die wiederum dazu führt, dass ihr länger sprinten könnt.
So - und jetzt stellt euch vor, dass all die genannten Mechaniken mit einer eigenen Anzeige auf dem Bildschirm dargestellt werden. Fügt dann gedanklich die Tatsache hinzu, dass sich die Entwickler Mühe gegeben haben, fast alles im Spiel irgendwie spektakulär aussehen zu lassen. Mit bunten Lichtern, Blitzen und Explosionseffekten. Heraus kommt die spielgewordene Reizüberflutung, an die man sich zu Beginn nur schwer gewöhnen kann. Alles ist voller Zahlen, überall sind Anzeigen und wenn ihr auch nur kurz versucht, zu verstehen, was gerade passiert, beschwört euch irgendein Gegner eine Esper unter den Hintern. Nicht falsch verstehen - all das ist fassbar und begreifbar, lediglich die Einstiegshürde ist relativ hoch. Wenn ihr erst einmal verstanden habt, worum es geht, stellt ihr fest, dass euer anfängliches Button-Hämmern nie dazu geeignet war, auch nur zu einem Zufallserfolg zu führen. Es kommt auf strategische Entscheidungen an - nicht so sehr auf Geschick. Und wenn ihr erst einmal gelernt habt, all das zu lesen, was da auf dem Bildschirm zu sehen ist, fühlt ihr euch plötzlich wie einer, dem eine längst vergessene Sprache flüssig von der Zunge läuft.
Wer Fan der Final-Fantasy-Reihe ist, wird große Freude an den Szenarien und den Musikstücken haben, die das Spiel mitbringt. Jede Arena ist aus irgendeinem Spiel der Reihe entlehnt, die Musik ebenfalls, teilweise sogar ziemlich authentisch, ohne große orchestrale Aufwertung alter PS1-Hits. Es ist die Kombination ebendieser Darbietung mit dem strategischen Gefühl der Kämpfe, die wirklich den Eindruck erzeugt, einen Final-Fantasy-Konflikt aus einem Rollenspiel zu erleben - nur eben im Action-Modus. Ihr verliert übrigens, wenn euer Team drei Tode im Match zu verzeichnen habt - dabei ist es egal, ob etwa jedes Team-Mitglied einmal stirbt oder eines dreimal. Eine Ausnahme ist der Kristallmodus. Hier geht es lediglich darum, einen gegnerischen Kristall zu zerstören, was aber nur dann geht, wenn sich gerade kein Gegner in einem gewissen Umkreis befindet. Wer hier einmal stirbt, ist permanent tot - im regulären Modus kann man sich dagegen als Geist selbst wiederbeleben.
Es dürfte jede Menge Zeit vergehen, bis ihr euch mit jeder Figurenkombination einigermaßen ausgetobt habt, aber selbst dann könnt ihr bestehende Figuren noch weiter bearbeiten, ihre Ex- oder LP-Fähigkeiten austauschen oder ihnen neue Kostüme verpassen. Die wiederum bekommt ihr, indem ihr Gil oder sogenannte Schatzsphären ausgebt und ja, es handelt sich um Loot-Boxen. Aber: Per Echtgeld könnt ihr die aktuell nicht kaufen. Ich muss allerdings zugeben, dass sich in meinem Fall so langsam eine grundlegende Abneigung gegen diese Mechanik einstellt, ganz egal, ob ich dafür eine erspielbare Währung oder real existierende Euro ausgeben muss. Ich will einfach selbst entscheiden, was ich gerne hätte. Andere finden diesen Wundertüten-Charme womöglich reizvoll, was weiß ich schon.
Was ich aber wirklich als Nachteil begreife, ist der eher stiefmütterlich behandelte Einzelspielermodus. Es gibt wirklich so etwas wie eine Story in Dissidia Final Fantasy NT, sogar einen ganzen Modus, der sich so nennt. Was ihr in selbigem aber macht, ist enttäuschend. In jedem Kampf verdient ihr nach und nach sogenannte Memoriasteine, das geschieht ganz automatisch, während ihr im Charakterlevel aufsteigt - also dann, wenn ihr auch neue Ex- und LP-Fähigkeiten lernen könnt. Die könnt ihr dann im Story-Modus einsetzen und bekommt in den meisten Fällen... eine Zwischensequenz. Nicht mehr. Die Geschichte verästelt sich ein wenig und manchmal gibt es wundersamerweise auch wirklich Kämpfe. Meistens seht ihr aber einfach einer Geschichte zu, die nicht viel mehr als eine Entschuldigung dafür ist, dass man's halt einfach gewagt hat, Figuren aus unterschiedlichen Welten aufeinanderzuwerfen. Die erzählerische Qualität bewegt sich jenseits von Filmen wie Alien vs. Predator.
Glücklicherweise lässt sich diese aufgepfropfte Geschichte aber komplett ignorieren. Und wenn man das erst einmal geschafft hat, bleibt ein schönes Kampfspiel mit ungewöhnlicher Mechanik - dem man allerdings anmerkt, dass es seine Ursprünge vor ein paar Jahren mal in der japanischen Spielhalle hatte. Kämpfe gehen zu Beginn sehr schnell verloren, ihr müsst viel spielen, um Erfolge feiern zu können. Gut ist, dass ihr auf der PS4 keine Münzen nachwerfen müsst und wenn ihr geduldig seid, kann es auch helfen, sich in die relativ ausführlichen Tutorials zu vertiefen, die Dissidia Final Fantasy NT mitbringt. Und klar ist es auch einfach reizvoll, als Sephiroth oder Tidus gegen Feinde wie Lightning und Noctis zu kämpfen, zumindest, wenn man Final Fantasy mag.
Als Ganzes betrachtet, ist Dissidia Final Fantasy NT vielleicht nicht das, was man von einem Brawler erwartet - es hat weitaus mehr strategische Tiefe. Gleichzeitig ist es aber natürlich auch nicht das, was viele von einem strategischen Fantasy-Kampfspiel erwartet hätten. Es hat eben ein relativ ungewöhnliches und eigenwilliges Kampfsystem, das aber Spaß macht. Der wird lediglich anfangs getrübt durch eine hohe Einstiegshürde sowie durch viel zu viele Werte, deren Veränderungen permanent auf den Spieler einprasseln. Wer sich aber durcharbeitet, wird letztlich dem Final-Fantasy-Charme erliegen und irgendwann auch begreifen, was er da eigentlich macht. Dissidia Final Fantasy NT ist schnelle Action mit einem komplexen taktischen Hintergrund. Und es macht hauptsächlich im Multiplayer-Modus Spaß - wenn ihr wisst, mit wem ihr spielt.
Entwickler/Publisher: Team Ninja/Tecmo, Square Enix - Erscheint für: PS4 - Preis: 59,99 Euro - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: PS4 - Sprache: deutsche Bildschirmtexte, englische oder japanische Sprachausgabe - Mikrotransaktionen: Nein