Dissidia Final Fantasy NT - Was GENAU ist das jetzt eigentlich?
Drei gegen Drei in drei Minuten. Immer wieder, nur einmal noch.
Wie, könnte das einer dieser ganz großen Momente im Gaming sein, in denen etwas Neues entstanden ist? Etwas, das man nicht gleich mit einem Wort oder einem Genrenamen abschließend definieren kann? Nun... Ja, irgendwie wohl schon. MOBA könnte wohl am besten passen. Ist Dissidia Final Fantasy NT ein MOBA? Es ist Multiplayer, es ist online, Battle und auch Arena, also muss es ein MOBA sein. Irgendwie fühlt es sich aber direkter an, wie ein Turnier-Fighter, aber Tekken ist es dann auch wieder nicht gerade. Weit zurück könnte man an Power Stone denken, aber das hatte weniger MMO-Kampf-Feeling drin, etwas, das Dissidia definitiv mitbringt. Am Ende ist Dissidia wohl Dissidia. Die Frage ist nur, ob Innovation auch mit Genius gleichzusetzen sein muss.
Dissidia ist ein Final-Fantasy-Charakter-Best-of, in dem immer drei gegen drei Figuren antreten. Aus jedem großen Teil der Serie sind mal Helden, mal Schurken dabei, die alten Allianzen und Feindschaften spielen hier keine Rolle mehr. Dazu kommen dann noch ein paar der größeren Exoten wie Type-0 und Tactics und ihr habt einen ordentlichen Cast aus 30 Jahren RPG-Geschichte zusammen. Es gibt vier Klassen und jeder der Charaktere gehört zu einer davon. Assassinen geben die Nahkämpfer. Dann habt ihr Vanguards, die man ruhig Tanks nennen darf. Fernkämpfer sind genau das und Spezialisten sind jeder für sich ein wenig eigen mit unterschiedlichsten Fertigkeiten. Das ist im Groben auch die Reihenfolge, wie schwierig sich die Klassen initial spielen. Draufhauen ist leicht, unterschiedliche Reichweiten meistern und nebenbei Buffs raushauen schon schwerer.
Der Kampf findet in nicht übertrieben großen Arenen statt, die grafisch ehrlich gesagt ganz schön räudig wirken. Sie sind auf jeden Fall zweckmäßig, haben ihre strategisch verteilten Hindernisse und Höhenunterschiede und all das, aber für 2017, selbst wenn man bedenkt, dass immer 60 Frames gewährleistet sein müssen, ist das schon mager. Nun, Schönheit ist nicht alles und zumindest haben sich FF-typisch alle Protagonisten ordentlich in Schale geworfen. Selbst 8-Pixel-Veteranen wie der Warrior of Light wirken nun Cosplay-fähig. Die Musik dagegen ist brillant, vor allem, weil es alles Klassiker in neuen Arrangements sind. Man muss ja nicht alles neu erfinden.
Jetzt zum Spielablauf und das ist eine dieser Kisten, von denen man meinen sollte, dass sie leicht zu lernen und schwer zu meistern sind und Letzteres stimmt zumindest. Ersteres jedoch... Ich bin erstaunt über die Japaner, die diese Arcade-Automaten - NT basiert auf einem solchen im Land der aufgehenden Sonne - so lange geduldig fütterten, bis sie den Überblick hatten. Ich hätte mich nach fünf Runden umgeguckt, ob da nicht irgendwo was von Cave oder eine alte OutRun-Maschine steht. Okay, ich würde das immer noch tun, aber nach ein oder zwei Dutzend Runden habt ihr langsam die Orientierung.
Im Grunde ist es einfach: Erledigt den Gegner, werdet nicht getötet. Wenn man bei Pong jemanden getötet hätte, würde dieser Teil des Konzepts so weit zurückreichen, so sind es wohl ein paar Monate weniger. Der Trick ist, dass ihr erst Mut aufbauen müsst. Ihr habt Mut und Lebenspunkte. Haut mit Mut-Attacken - die aussehen wie ganz normale Attacken, "Mut" arbeitet also im Stealth-Modus - auf einen Gegner ein, wenn dann die eine Zahl hoch genug ist, benutzt ihr eine echte Attacke, die viel länger in der Ausführung braucht und gut getimt sein will. Habt ihr genug Mut, reicht dann schon ein Treffer für einen Kill, der alle gegnerischen Lebenspunkte raubt. Das Dumme ist, dass auch der Gegner Mut haben will und das Ganze ein Nullsummenspiel ist: Was er gewinnt verliert ihr und wenn er oder jemand in seinem Team euch vor dem Finale trifft, verliert ihr vielleicht Unsummen an Mut, die direkt gegen euch eingesetzt werden. Ist euer Mut-Wert auf null, seid ihr gelähmt und könnt für ein paar Sekunden nicht viel tun. Decken gibt es auch noch und ganz wichtig ist die Taste für schnelles Gleiten, denn Entfernungen zu überbrücken ist für viele Helden der Schlüssel zum Erfolg. Springen dagegen ist eher etwas, das man gelegentlich machen muss, aber kriegsentscheidend fühlte es sich erst mal nicht an.
So weit, so grundlegend. Das ist nicht so kompliziert, sieht aber in der ersten Stunde viel chaotischer aus als es ist. Habt ihr diesen Grundfluss aber erst mal drin, beginnt ihr, euch Gedanken über die Klassen und Charaktere zu machen. Assassinen sind definitiv die Einsteigerklasse. Immer ran und gib ihm, das kriegt man hin. Tanks sind schon diffiziler, ihr müsst mehr mit langsamen, weniger intuitiven Timings klarkommen und das in einem Spiel, das viel Tempo aufs Feld bringt. Fernkämpfer sind eigen. Schüsse werden nicht gezielt, sondern der anvisierte Gegner wird per Auto-Aiming ins Visier genommen. Da die Schüsse aber fast alle langsam sind, hat der Zeit zu reagieren und so sind die Schützen oft Supporter für die Assassinen oder beschäftigen andere Fernkämpfer. Die Spezialisten umfassen Multi-Reichweiten-Einheiten, die kurze und mittlere Distanzen abdecken, indem sie automatisch die richtigen Waffen wählen oder Buffs und Heilung anbieten. Für all das braucht ihr weit mehr Kampfübersicht, Gefühl für die Lage und auch ein klein wenig sinnvolles Teamwork.
Das wäre alles noch etwas zu oberflächlich, also kommen noch drei Spezialaktionen pro Figur dazu, die ihr aus einem Pool verschiedener Attacken, Buffs und Debuffs auswählt und als Battle-Sets zusammenstellt. Aus diesen Sets wählt ihr vor dem Kampf das richtige für euch aus. Diese Spezialattacken schaltet ihr nach und nach frei, es gibt also eine Progression für die Figuren, obwohl es natürlich durch die Struktur der Balance keine echten Level geben kann. Schließlich sollen ja alle Spieler auf dem gleichen Nenner starten. Als Letztes kommen dann noch die Esper dazu, die Final-Fantasy-Gottheiten. Es gibt aktuell acht von ihnen, darunter die üblichen Verdächtigen wie Shiva und Ifrit und jeder gibt der eigenen Gruppe einen kleinen Boost - ein paar mehr Lebenspunkte, Mut-Werte steigen schneller. Und wenn der Esper-Balken voll ist, geht es an die Beschwörung. Hier gibt es auch ein wenig Teamwork zu beachten. Wenn nur einer den Knopf drückt, dauert es lange, bis die Gottheit sich zeigt, wenn alle drei gleichzeitig die Taste halten, geht es fix. Dann gibt es eine kurze Show, Flächenattacken und einen Post-Beschwörungs-Buff.
Nach maximal drei Minuten ist alles vorbei, aber so lange hat keine Runde gedauert. Anderthalb Minuten waren schon viel, denn jedes Team hat nur drei Punkte zu verlieren, was immer dann passiert, wenn ein Charakter stirbt. Respawns gehen schnell, aber im Grunde sind drei Leben hier nicht sehr viel. Dem Arcade-Gedanken kommt das entgegen, schließlich will man nicht, dass die Leute sich an den Maschinen in halbstündigen Runden festbeißen.
Das war viel Erklärung, aber wie gesagt, da Dissidia nicht mit einem Genre-Wort komplett abgehandelt ist, war das wohl nötig. Die Frage ist nun: Macht es Spaß, zumindest dem ersten Eindruck nach? Ja, schon. Vor allem aber, weil wir hier ein echtes Arcade-Setup hatten. Nein, keine Automaten, aber eine PS4 gibt den Host, die anderen fünf die Clients und ihr habt eine perfekte kleine LAN-Party im Keller. Wenn alle Spieler oder wenigstens das eigene Team zusammensitzen, dann kommt hier viel Freude auf. Zugegeben, das gilt so ziemlich immer, wenn man mit Freunden zusammensitzt und ein paar Runden was zockt. Die Frage ist, wie diese ganz unterhaltsame Multiplayer-Battle-Arena dann online aussieht. Wie spielt es sich, wenn man alleine vor dem Screen sitzt und die anderen nur hört oder sogar nur die zahlreichen vorgefertigten Kommentare zwischen den Kämpfen aufpoppen lassen kann? Dieser Herausforderung muss sich Dissidia Final Fantasy NT erst noch stellen.
Das nächste ist der Preis und das relative Exotendasein als Genre-Definitions-abweisendes Spiel nur für die PS4 mit einem sehr japanischen Touch. Ich sage das sicher nicht oft und da ich weder Spiele-Designer noch Vermarktungs-Experte bin, unter großem Vorbehalt, aber wäre dies nicht der ideale Kandidat für free-to-play? Ein paar Charaktere sind so dabei, die anderen kann man nachkaufen? Genug Vanity-Kostüme hat Final Fantasy ja immer parat. Ich sage das, weil das Spiel so ungewöhnlich ist, dass ich Sorge hätte, dass genug Spieler bereit sind, das Risiko eines Kaufs für 50 oder 60 Euro einzugehen, um es lange genug auszuprobieren. Free-to-play zieht erst mal viele Spieler rein und dass es genug Leute gibt, die Final-Fantasy-Stuff kaufen, sieht man an mir selbst - ich wandle mich vom Brave-Exvius-Flipper gerade zum Baby-Wal - und dürfte auch sonst außer Frage stehen. Wie gesagt, es ist nur ein Gedanke und man muss Dissidia auch ganz klar zugutehalten, dass trotz dankbarer Ansätze für solche Dinge hier keine Lootbox weit und breit zu sehen ist. Also, nehmt es als Diskussionsanstoß, ob manche Spiele als free-to-play vielleicht mehr Sinn machen könnten, aber nicht als Kritik meiner Seite an Dissidia, in keiner Wiese.
Dissidia Final Fantasy NT ist, was es ist und auch wenn nicht ganz leicht zu sagen ist, was das genau ist, dann ist das nicht schlimm, denn nicht nur ist das ein Satz mit acht "ist", auch ist Dissidia ein wirklich ganz spaßiges Vergnügen. Dieser Aspekt kam jetzt hier vor lauter Erläuterungen ein wenig zu kurz, aber in der richtigen Gruppe kommt viel Action-Spaß in die schnellen Runden und dazu gibt es genug Taktik, um Dissidia-Abende und nicht nur halbe Stunden zu rechtfertigen. Der Reiz des Best-of-Final-Fantasy-Cast ist auf jeden Fall da, es spielt sich nach dem ein- bis zweistündigen Warmlaufen wirklich gut, eine neue Runde ist schnell genug gestartet und so kommt man in einen wohlig-warmen Gameplay-Flow. Wie lange dieser anhält und ob er auch im reinen Online-Play in Erscheinung tritt, stehen als nächste Fragen auf der Agenda. Die Grundlagen sind aber ausgesprochen solide, es macht definitiv viel Spaß und so ist Dissidia Final Fantasy NT mal wieder ein spannender Ausbruch der ewigen Serie Final Fantasy aus seinem üblichen Fahrwasser.