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Divinity: Original Sin - Test

Irgendwas mit "alte Schule" und so.

Eine aufrichtige Liebeserklärung an das klassische 90er-Rollenspiel mit allen Ecken, Kanten und vor allem den liebenswerten Dingen.

Das hat gesessen.

Divinity: Original Sin erscheint genau zur richtigen Zeit mit einer in den meisten Belangen sehr kompetenten Erinnerung daran, dass man einst verschossen war in diese Art von Spiel und sich langsam davon entwöhnte. Es erzählt weniger spannend als einige der alten Infinity-Schinken, aber was es tut, gelingt ihm fast durch die Bank mit einer ergreifenden Aufrichtigkeit.

In gewisser Weise erbringt es den Beweis, dass mehr vom Selben eine gute Idee sein kann, solange genug Zeit und Sehnsucht dazwischen liegen. Das hatte ich so definitiv nicht kommen sehen. Nicht nach diesen langen Jahren.

Ich sah mich im Vorfeld keine 40 Stunden in einer Woche spielen, bis es auf einmal passierte und sich ein engagiert eingefädelter, aber letztlich wenig origineller Plot um geächtete Quellenmagie, auferstandene Untotenkönige und Kultisten entsponn, den... hmm, keine Ahnung, wie es euch geht, doch der war nicht der Grund. Viel Text steckt da drin, Applaus dafür, gibt der Welt eine Form. So richtig zündete es bei mir nicht. Emotional eher lose involviert in das am Weltgefüge rüttelnde Geschehen hatte mich Original Sin aus anderen Gründen am Haken.

Es wirkt im Hier und Jetzt wie ein verrutschtes, merkwürdig verschlafenes Relikt des Weglassens. In den Neunzigern wäre es vermutlich ein ganz normales, epochentreues RPG gewesen, neben Fallout und Baldur's Gate vielleicht nicht mal ein überragendes, aber eben eines von diesem Schlag.

Draufsicht, Rundenkämpfe, offene Gebiete, viel zu entdecken - in Original Sin kann man lange versumpfen.

Seit vielen Jahren gab es keines der Sorte mehr und es jetzt in der Form zu sehen, das ist rührend. Wie gesagt: ein Relikt. Und als solches hält es nichts von den Komfortzonen, die uns moderne Rollenspiele mühevoll einrichten.

Darauf könnte man im ersten Moment nicht gefasst sein. Man kann es sogar hassen und dabei bleiben. Oder den Hass überwinden mit dem Eingeständnis, dass früher vielleicht nicht alles besser, aber vieles kerniger und abenteuerlicher war. Original Sin ist ein Rollenspiel für Leute, für die Tagebücher ein fundamentales Nachschlagewerk sind, kein nüchternes Quest-Verzeichnis mit Fortschrittsbalken.

Es gibt euch eine Welt und haufenweise zu tun, dazu nur so viele Ratschläge wie nötig, keine Pfeilmarkierungen oder bequeme Low-Level-Zonen. Der Trollkönig sitzt halt in seiner Mine. Wo die steht, darf man schön selbst herausfinden, indem man mit Leuten spricht und die Kulissen erkundet. Das Meiste ergibt sich aus der Umgebung heraus. Wo moderne RPGs das „Wer, wo und warum?" durch Quest-Marker kastrieren und sich ein Stück weit selbst entwerten, gibt sich Original Sin als dösiges Erlebnis, lässt es gemächlich angehen. Ich musste viel probieren.

Es zwingt uns seine Umwelt in gewisser Weise auf, und das nicht auf die böse Art, sondern als Teppich aus Indizien. Das ist bei weitem nicht immer so spannend, wie es sich anhören mag. Auch Original Sin erkennt, wie nett banales Holen und Bringen zur Abwechslung sein kann. Doch gerade in der Anfangsphase zeigen die Larian Studios viele gute Ansätze in ihrer kleinen, eigenen Crime-Story. Man muss den Mord an einem Ratsmitglied aufklären, weiß, wo man beginnt. Alles Weitere entspinnt sich nach und nach. Das Tagebuch enthält einige Hinweise, aber dass man auf dem Stadtfriedhof den Sarg des Mannes ausgraben kann, das darf man schön selbst herausfinden. Und wo gibt's eigentlich die Schaufel dafür?

Euer Inventar füllt sich sehr schnell. Das Meiste kann man irgendwie verwenden, verarbeiten, verbrauchen, es in die Umwelt packen oder sonst was damit tun. Viele Objekte in den Umgebungen kann man anfassen, verschieben oder benutzen. Das ganze Spiel ist verkramt, auf eine sehr, sehr nette Art.

Überhaupt, die Möglichkeiten. Selten gibt es nur eine fürs Vorankommen. Man kann Türen einschlagen oder das Schloss knacken und Hütten ausräumen. Vielleicht findet man ja eine Notiz oder eine Luke zum Keller voller Leichen. Oder den Schlüssel für die Tür, wenn man etwas mehr Zeit hat, aber ihr habt die Wahl. Man kann Wachen im Dialog ablenken und mit einem anderen Charakter durch die Hintertür. Das Inventar ist nach wenigen Minuten gesprengt. Oft genug musste ich einen Handlungsfaden liegen lassen, nur um ihn dann Stunden später ganz unverhofft mit einem weiteren losen Ende zusammenführen zu können. Vieles verläuft nebeneinander.

Vor allem, und das ist das Beste, teilt Original Sin seine Welt nicht in levelgerechte Zonen ein. Es lässt seine Gegnerstärke auch nicht mitwachsen, pfeift darauf, ob man sich eine blutige Nase holt, baut sogar auf den Effekt des Ausprobierens.

Nehmen wir das geschätzte Kingdoms of Amalur, das mir aus irgendeinen Grund in den Sinn kommt, wenn ich an eine etwa MMO-artige Weltbeschichtung denke. Nichts im Umkreis von x Quadratkilometern kann den ersten Schritten eines Level-2-Prügelknaben gefährlich werden. Seine Welt gibt euch größtmöglichen Auslauf, ohne etwas dafür zu fordern. Am besten mit rotem Warnschild oder, noch sicherer, gleich einem bis Stufe 6 verschlossenen Tor für das Gebiet dahinter. Keiner soll gefrustet sein.

Für Larian ist Freiheit nicht nur gleichbedeutend mit: „Hmm, soll ich das im Sterben liegende Packtier heilen oder seine Besitzer einfach in die Stadt eskortieren?". Auch in ihrer Umwelt lassen sie viele künstliche Grenzen weg und euch die Wahl, das als Einladung oder Warnung zu begreifen. Zu früh wagte ich mich aus der ersten Stadt heraus und hatte meine liebe Mühe mit den klapprigsten Untoten, ganz zu schweigen von den Zombies am Nordtor.

Alles Feindliche liegt zwei, drei Hausnummern über eurem Level, so wirkt es zumindest. Kruppzeug für die Stiefelsohle, das man „so wegfuttert", gibt es nicht, außer ihr lasst im Startgebiet einige Ecken aus und kommt später wieder.

Mangel an Gesprächsthemen herrscht in Divinity selten. Es hat nette Hintergründe, nichts Besonderes, aber es funktioniert und unterhält. Nicht mehr, nicht weniger.

So entsteht oft das Gefühl eines Marschs durch ein Minenfeld. Und das nicht nur im wörtlichen Sinne, wenn man tatsächlich einen fallengespickten Hang erklimmt oder sich durch das gefährliche Luculla-Bergwerk schlägt. Ein kleiner Abstecher in die Wildnis kann in einen Eiertanz umschlagen, und genau deswegen hat mich Original Sin am Haken. Ich mag das Vertrauen, das Larian in seine Kunden setzt, dass sie wissen, was sie tun, und selbst fündig werden, statt sich von den Spielmechaniken finden zu lassen. Wertvolle Meter muss man sich hart erarbeiten.

Rundenkämpfe mit eurer maximal vierköpfigen Party sind das Getriebe und mir fällt nicht allzu viel dagegen ein. Bis auf... halt, eine Sache gibt es. Sie trieb mich stellenweise in den Wahnsinn. Viele Gegner wackeln in einer Animation hin und her, während ihr am Zug seid. Wahrscheinlich um mehr optische Bewegung zu erzeugen. Sieht nett aus, keine Frage. Aber in einem Spiel, in dem die Entfernung zum Feind wichtig ist, muss man manchmal Zentimeterarbeit verrichten. Ich fahre also mit dem Cursor auf den Gegner, sehe 'Aha, dem kann ich einen Pfeil reinbraten', klicke und in dem Moment bewegt er seinen Körper weg. Der Klick geht auf den Boden. Bogenschütze läuft zu der Stelle, statt zu schießen. Buärgh! Passierte nicht bloß einmal.

Der Rest ist so kompetent wie altmodisch: Aktionspunkte für jeden Zug, Fertigkeiten und wichtige Items in der Zehnerleiste unten, abwägen, wo man wen bezaubern/beschwören/zuerst aus dem Spiel nehmen sollte. Und hoffen, dass alles klappt. In seinen besten Momenten erinnert Divinity: Original Sin etwa an die Vorbereitung der Drachenjagd aus Baldur's Gate 2. Fragen wie „Verdammte Axt, wie soll ich bei den Spinnen in der Bergregion weiterkommen?" geraten in den Hintergrund zugunsten von Überlegungen, ob man eine Spruchrolle gegen beschworene Wesen, einen Eiselementar zur Heldenparty eingeladen oder die richtigen Zauber gegen Feuerdämonen und Stinkepilze in der Tasche hat.

Aufs erste Beschnuppern folgt eine lose Taktik, später dann eine handfeste, bis man die Übermacht mit den verfügbaren Mitteln besiegt und sich über die dicke Beute hermacht. Schön auch, wie Larian das Schlachtfeld herrichtet. Explosive Fässer schreien nach einem Feuerball, Pfützen nach einem Blitz. Entzündete Öllachen sind eine Todesfalle, ein „Regenschauer"-Zauberspruch die Rettung für eine angekokelte Party.

Durchsucht man fremde Schränke, sollte man sich dabei besser nicht erwischen lassen.

Man kann Fässer mitnehmen und werfen, auf Eisflächen ausrutschen, Gegner zu den Stadttoren locken und die Wachen hineinziehen. Uh, und sammeln, furchtbar viele Gürtel, Stiefel, Helme, Schwerter, Ringe, Dolche und Äxte. Man kann das Zeug verkaufen. Oder es verschenken, wenn man vergisst, im Handelsfenster den Gegenwert in Gold auszugleichen. Passierte mir. Immerhin gibt es in der aktuellen Version eine Warnung. Aber erst mal kommt das große Wälzen in Statistiken. Denn neue Ausrüstung steht für mehr Wumms hinterm Klopp, mehr von einfach allem.

Original Sin beweist eine Gemütlichkeit beim Identifizieren und Verteilen gefundener Gegenstände. Wer gern mal eine halbe Stunde im Inventar verbringen möchte, Roben und Handschuhe zuteilen, sichergehen, dass jeder das bestmögliche Equipment hat, bekommt hier genug zu tun. Und das Spiel zieht sich. Zwanzig Stunden brachte ich allein im ersten Gebiet zu. Die folgenden sind mindestens genauso groß.

Was das Weltenbildnerische angeht: Das ist viel Hintergrund vorhanden, aber das Wenigste davon so interessant, dass ich Stunden mit Büchern zubringen würde. Vieles wirkt albern und cheesy. Dialoge mit Mäusen, Vögeln und Pilzen, in Katzen verwandelnde Zauberer... kann man machen. Am Ende ist man halt doch der strahlende, den Leuten zur Hand gehende Alles-und-jeden-Retter. Die Geschichte hat eine persönliche Ebene mit der elendig langen Quellenjäger-Quest, aber unterm Strich zieht man von Ort zu Ort und hilft, wo auch immer Hilfe gebraucht wird. Ist OK, wenn es solchen Spaß macht.

Was dem Spiel noch Höheres verwehrt, ist sein nach wie vor leicht brüchiger Zustand. Nicht einmal die Performance-Hänger beim Scrollen über die Karte oder die mitunter langen Ladezeiten, auch nicht die in der deutschen Version hängengebliebenen Englischfetzen oder texturlose Gegner. Das ist zu verschmerzen. Es geht tief in Bug-verseuchtes Territorium, das zu bereinigen Larian mit mehreren Patches pro Woche bemüht ist.

Fallen gehören natürlich auch zu jedem Dungeon und Ort, von dem sich Leute fernhalten sollen.

Zum Beispiel hatte ich nach 30 Stunden Abstürze beim früher einwandfrei vonstattengehenden Gebietswechsel. Ich konnte einfach nicht mehr woanders hin. Der Ladebildschirm war das Letzte, das ich vor der verhassten „Divinity funktioniert nicht mehr"-Meldung zu sehen bekam. Falls einer von euch dasselbe Problem hat: Löscht im Savegame-Ordner desjenigen Gebiets, in das ihr reisen wollt, die Levelcache-Datei. Das als vorläufiger Workaround. Man muss nur damit leben, dass der Nebel des Krieges wieder da ist und man alles noch einmal entdecken darf.

Hinzu kommen fehlende Items hier und dort, eine immer wieder viel zu weit herauszoomende Kamera, die Levelobjekte vor die Linse schiebt. Kleinigkeiten hier und da. Mit weiteren Gamebreakern kann ich nicht dienen, aber ich glaube auch nicht, dass die zahlreichen Berichte in den Foren frei erfunden sind. Larian dürfte mit dem an den Tag gelegten Tempo gut hinterherkommen.

Am Ende bleibt eine willkommene Erinnerung daran, wieso das in den Neunzigern nichts Besonderes war und man es so sehr liebte. Es schmerzt, diesen Satz fünfzehn Jahre später zu schreiben. All das hier gebündelt in einer vor Jahren fast verdrängten Form zu sehen, das macht ergriffen und traurig, weil es so etwas kaum noch gibt. Divinity: Original Sin ist den Abenteuern, vor denen es offenkundig seinen Knicks ausführt, nicht unbedingt überlegen - zumindest soweit sich das in nostalgischer Verzerrung beurteilen lässt. Es ist nicht mal überall auf Augenhöhe. Aber es erscheint zur richtigen Zeit mit dem Wissen, woher es kommt und wohin es will. Wenige Spiele werden heutzutage aus dem Grund entwickelt und wenigen gelingt das mit einer Aufrichtigkeit, wie es hier der Fall ist.

8 / 10

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