Double Fine startet mit Kickstart durch
Einige Gedanken zum Crowdfunding
"Ein guter Tag für alle Spieleentwickler." So schrieb es gestern gegen Abend ein befreundeter Game-Designer auf Facebook. Und eine Menge Leute innerhalb und auch außerhalb der Branche stimmen ihm zu. Was war passiert? Über welche Art von News freuen sich Spieleentwickler?
Tim Schafer, der Mann hinter Spielen wie Full Throttle, Grim Fandango, Psychonauts oder Brütal Legend, und Ron Gilbert, der Schöpfer von Maniac Mansion, Monkey Island und Deathspank, sind die Männer der Stunde. Weil ihre Fans sie immer wieder um ein neues Point-&-Click-Adventure baten, aber scheinbar kein Publisher bereit war, Geld in ein angeblich totes Genre zu investieren, griffen die beiden Spieldesign-Koryphäen zur Ultima Ratio und gingen direkt zu den Fans. Über die Webseite Kickstarter rief Tim Schafer die Fangemeinde zur Crowdfunding-Aktion auf.
Das bedeutet: Jeder kann selbst einen gewissen Betrag verbindlich zusagen. Ist das gesetzte Limit erreicht, dann werden die genannten Beträge tatsächlich an Schafers Firma Double Fine überwiesen und die Produktion eines neuen Gilbert-Schafer-Adventures kann beginnen. Der angestrebte Betrag: 400.000 Dollar. Zum Vergleich: Das Budget für The Secret of Monkey Island betrug 1990 135.000 Dollar (inflationsbereinigt heute ca. 230.000 Dollar). Wer mehr als 15 Dollar spendet, der bekommt diverse Beta-Versionen des Spiels, das fertige Werk über Steam, und wenn man mehr gibt, auch diverse Goodies wie den Soundtrack, Poster, eine Erwähnung in den Credits und anderes. Nun, 400.000 Dollar bis zum 13. März - das ist eine Menge, schien Donnerstagvormittag aber durchaus machbar.
Es kam etwas anders. Nachdem die Aktion nicht einmal einen halben Tag im Netz stand, waren die 400.000 Dollar bereits zusammen. Während ich diese Zeilen schreibe, steht der Zählerschon weit über eine Million Dollar. Das ist mehr als nur beeindruckend. Lasst euch das doch mal auf der Zunge zergehen. Über 35.000 Menschen haben Donnerstagabend diesen Betrag in das kommende Adventure investiert. Das sind pro Person knapp über 35 Dollar. Für einen frühestens im Oktober erscheinenden Steam-Download, von dem sie den Namen nicht kennen und nicht wissen, worum es geht. Sie haben den Helden noch nicht gesehen, kennen keinen Trailer und auch keinen Screenshot. Nicht einmal das Setting ist bekannt. Nur das Genre und die Macher.
Das ist vor allem sensationell, weil das ganze Adventure-Genre in den USA bis zuletzt als klinisch tot galt. Ja, in Europa sind die guten, alten Point-&-Clickereien noch recht beliebt (ich verweise da nur auf den Test des feinen Deponia aus dem Hause Daedalic), in den USA kräht dagegen kein Hahn danach, von Ausnahmen wie Telltale Games einmal abgesehen. Aber hier wird die Sache eben interessant. Warum waren Schafer und Gilbert nicht erstmal bei Telltale? Nicht nur ist Dave Grossman ja ein Kumpel aus alten Lucasarts-Zeiten, die Firma läuft ja auch recht ordentlich. Passte da das Double-Fine-Adventure nicht ins episodische Geschäft? Und was ist mit den anderen Publishern? Die benötigten 400.000 Dollar sind für Electronic Arts oder Activision Peanuts. Hat Double Fine bei diesen Häusern mittlerweile einen derartigen Ruf als Kassengift? Nun, egal wie problematisch der Ruf von Tim Schafer und seinen Mannen bei den Publishern sein mag, die Fans lieben ihn nach wie vor und haben das eindeutig in einer universellen Sprache bewiesen: mit dem Geldbeutel.
Jetzt ist natürlich die große Frage, welche Konsequenzen dieser Präzedenzfall haben könnte. Sicher werden einige Parteien erst einmal Blut lecken. Es ist sicher damit zu rechnen, dass demnächst so einige weitere Crowdfunding-Aktionen anlaufen werden. Genauso ist aber auch damit zu rechnen, dass die meisten nicht annähernd so erfolgreich sein dürften. Ron Gilbert und Tim Schafer sind eben Namen, die bei den Fans ziehen. Und sollten bei künftigen Aktionen nicht gerade Namen wie Roberta Williams, Al Lowe, Mark Crowe oder Scott Murphy fallen, dann wird es sicher nicht einfach. Oder vielleicht doch? Könnte dieses Modell Schule machen? Oder wird es nicht lange dauern, bis ein anderer Entwickler etwas Ähnliches versucht, das Projekt aber in den Sand setzt und letzten Endes nur verbrannte Erde hinterlässt? Und natürlich ist auch nach wie vor nicht sicher, dass Schafers und Gilberts Projekt dann das sein wird, was sich die jetzigen Geldgeber wünschen. Aber das wird die Zeit zeigen.
Letzten Endes unterscheidet sich das Schafer´sche Crowdfunding-Prinzip ja nicht allzu stark von einer Vorauszahlung - nur, dass man hier eben die Katze im Sack kauft. Die Adventure-Gemeinde zahlt jetzt und kriegt ein paar Monate später ein Spiel, das im Idealfall ganz auf ihre Wünsche zugeschnitten ist. Der Entwickler weiß bereits, dass das Budget drin ist. Das ist durchaus ein Gedanke für die Zukunft, mit dem ich gut leben könnte. Natürlich werden das nächste GTA und das kommende Final Fantasy nicht per Kickstarter entstehen, aber wenn auf diese Weise kleinere Projekte, die sich für die großen Anbieter nicht lohnen, aber von einer überschaubaren Fangemeinde weiterhin geschätzt werden, wieder Oberwasser bekämen... Sagt selbst, wäre das nicht eine tolle Sache?
Es ist auf jeden Fall gut möglich, dass es auch gerade bei den Publishern ein wenig rumort. Fans, die nur auf Vertrauensbasis einem Studio über eine Million Dollar zukommen lassen, das kann man nicht ignorieren. Das sind potenzielle Umsätze, die den großen, die das Projekt ablehnten jetzt durch die Lappen gehen. Und vielleicht ist es gar keine so schlechte Idee, die kreativen Leute mal wieder ein wenig von der Leine zu lassen und den Spielern das auch mitzuteilen - es müssen ja nicht gleich zweistellige Millionenbudgets sein. Ein schöner Gedanke, der heute möglicherweise nicht nur Idealisten, sondern auch so manchem großen Publisher durch den Kopf geht. Wie wäre es denn, Activision, Electronic Arts und Square Enix? Warum nicht mal ein kleines Indie-Sub-Label ins Leben rufen, in dem ehrgeizige Kreative auch mal an überschaubaren Projekten abseits der gängigen Normen basteln können?
Eines ist heute mal sicher: Der 9. Februar 2012 ist einer dieser Tage, an dem der ganze Spielemarkt sich mal wieder von einer faszinierenden Seite gezeigt hat. Vielleicht genügt es doch nicht, nur noch auf Marktanalysen und Trendforschung vertrauen. Sicher, Multiplayer-Shooter und Browser-Games sind heute eine recht sichere Bank. Aber eben nicht die Einzige. Gestern hat eine bestimmte, vielleicht nicht allzu große, sicher aber kaufkräftige Gruppe von Spielern, die sich in der heutigen Marktlandschaft kaum noch wahrgenommen fühlt, klar gezeigt, dass sie bereit ist, für Spiele die, sie interessieren auch im Voraus eine Menge Geld locker zu machen. Double Fine kann sich jetzt über ein gewaltiges Adventure-Budget freuen und den Fans steht, wenn alles gut geht, in diesem Herbst ein potenzieller Point-&-Click-Knaller von den Großmeistern des Genres ins Haus. Und dazu kann man Double Fine und seinen treuen Fans nur gratulieren.