Dragon‘s Dogma 2 im Test: Auf dieses Spiel habe ich 12 Jahre gewartet. Es hat sich gelohnt
Euer Dogma für die nächsten Wochen: Dragon's Dogma 2 nicht verpassen!
Oh, gut, dass ihr da seid! So habe ich einen Grund, nach 60 Stunden Kampagne und einen Abend im New Game Plus von Dragon’s Dogma 2 eine kleine Pause einzulegen und ein wenig darüber nachzudenken, was das Spiel so mit mir gemacht hat. Ich will das hier trotzdem so kurz wie möglich halten, schließlich muss ich zurück. Es ist noch so viel zu tun, zu sehen und zu erleben. Denn, wenn ich nach dem “Ende” eines meiner neuen Lieblingsspiele eines weiß, dann dass ich im Grunde immer noch nur sehr wenig darüber weiß.
Wo soll ich nur anfangen? Bei den verzweigten Quests mit viel Entscheidungsfreiheit, die Dragon’s Dogma 2 in seiner unnachahmlich eigenen Art nicht sichtlich zwischen Haupt- und Nebenquests unterteilt und von denen ich aus Gesprächen mit einem Kollegen gut die Hälfte nicht einmal kannte? Oder von den gleich zwei Biomen, die ich auf meinem Abenteuer, das Komplott eines falschen Erweckten gegen mich auffliegen zu lassen, komplett verpasst habe? (Zumindest hoffe ich, dass es nur zwei waren). Oder bei den zehn Klassen, von denen sich jede substanziell anders spielt und von denen ich bisher nur zwei aufs Maximum bringen konnte und zwei weitere nur gut zur Hälfte?
Rollenspiel der Marke Capcom
Vielleicht müssen wir uns mit Details gar nicht so sehr aufhalten, denn wie viele der besten Spiele ist auch Dragon’s Dogma 2 vor allem das magische “Mehr als die Summe seiner Teile”. Was nicht bedeuten soll, dass diese Teile nicht für sich genommen schon sehr, sehr gut sind. Aber es ist insbesondere die Art, wie und wo die einzelnen Elemente hier zusammenkommen: Mit größter Freude an verspielten Sandbox-Systemen; in einer europäischen Rollenspiel-Fantasy-Welt, die so nur bei japanischen Kampfspielexperten entstehen konnte. Es ist der Zauber einer Sache, die so eigentlich nicht möglich hätte sein sollen.
Dragon’s Dogma 2 gibt euch auf seinen langen Wegen ordentlich Leine, will, dass ihr eures eigenen (Un-)Glückes Schmied seid. Sei es, weil ihr eine zeitlich limitierte Quest verstreichen lassen habt, oder wichtige Figuren auf dem Gewissen. Oder weil ihr theoretisch auch wichtige Gegenstände an dahergelaufene NPCs verschenken könnt. Das überrascht die komplette Länge des Spiels hindurch immer wieder, auch wenn die Figuren nicht durchweg natürlich oder mit viel Gedächtnis auf die Sauereien reagieren, die ihr in dieser Rollenspiel-Sandkiste anrichtet. In diesem Fall würde mich dies aber auch zu sehr meine Experimentierfreude bremsen. Mit anderen Worten: Das hier ist nicht Baldur’s Gate 3, obwohl man sich bisweilen schwer wundert, welche Wellen die eigenen Taten schlagen. Das ist nicht nur für ein Spiel mit Lust auf Action und Spektakel im Herzen allerhand, sondern auch mehr, als die meisten RPGs erlauben.
Vor allem aber kommt man sich oft wahnsinnig smart vor. All die empfundene und tatsächliche Freiheit gaukelt einem schließlich überzeugend vor, dass man komplett allein auf die Lösung eines Problems gekommen ist. Dragon’s Dogma 2 spielt sein physikbasierter, logischer Ansatz da mächtig in die Karten, der nicht nur für coole Kettenreaktionen gut ist. Andere Spiele haben schließlich keine dedizierte Taste zum Anfassen und Festhalten von Gegenständen, Gegnern und Figuren. Ich bin mir zwar nicht sicher, welche Lehren ich davon fürs Real Life mitnehmen soll, aber in Dragon’s Dogma 2 hatte es mehrheitlich positive Auswirkungen, einfach mal eine Person über die Schulter zu werfen und ein paar Schritte mit ihr zu laufen.
Fantasy-Physik ist eure Freundin!
Diese Körperlichkeit kommt auch im Kampfsystem gern und oft zum Einsatz. Waffen besitzen Werte wie Schlagstärke und Niederschlagstärke, die zwar nie erklärt werden, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beeinflussen, wie effektiv sie große Feinde ins Wanken bringen. Gleichzeitig sind diverse Fähigkeiten aufs Schubsen, Schieben und Ziehen von Feinden ausgelegt, was wiederum dafür sorgt, dass man seine Gegner gezielt zu Fall bringen kann. Theoretisch befördert man so unliebsame Großgegner sogar eine Klippe hinunter. Mir ist das bisher nicht gelungen, aber weil ich zumindest Zyklopen und Trolle mittlerweile zuverlässig in die Horizontale bekomme, und ich Gegner mehrfach durch Stürze ihr Ende finden sah, bin ich sicher, dass das für einige eine legitime Art zu kämpfen wird.
Viele Grenzen legt euch das Spiel jedenfalls auch in diesem Punkt nicht auf. Zu Beginn wählt ihr eine von vier Laufbahnen und wer es traditionell mag, der sollte mit dem Krieger beginnen, denn der kann sowohl blocken als auch später parieren. Der Dieb verlässt sich bei der Defensive lieber auf einen Ausweich-Move, während sich Zauberern und Bogenschützen diese klassischen Kampfspieloptionen nicht bieten. Wer neu in der Welt von Dragon’s Dogma ist, sollte sich deshalb an eine der beiden erstgenannten halten. Schon diese vier Standard-Klassen integrieren sich schnell auf interessante Weise in Welt und Regelwerk, sodass bald ein cooles Zusammenspiel mit den anderen Klassen möglich wird.
Egal, wofür man sich auch entscheidet, jede Klasse ist mit so viel Umsicht und Willen zur Coolness gestrickt, dass sie zu absoluten Spektakeltaten in der Lage ist. Sei es nun der Kämpfer, der bei Stürzen in der irrsinnig in die Vertikale gestreckten Welt seinen Schild als Landekissen benutzen darf, oder die absoluten Legolas-Moves, die sowohl der normale als auch der magische Bogenschütze draufhaben. Exotischere Klassen wie der Illusionist oder die “Magische Klinge” verschieben komplett eure Art zu spielen, wenn ersterer zwar selbst so gut wie keinen Schaden anrichtet, aber kinoreife Trugbilder erzeugt, die dafür sorgen, dass der Rest eurer Party an verwirrten Gegnern fast unbehelligt die Haut abziehen kann, dann ist das einfach fantastisch.
So viel zu tun
Ich glaube, dass ich ständig in einem fast schmerzhaften Zwiespalt war, eine Laufbahn bis zum Letzten auszureizen oder eine neue anzufangen, sagt viel darüber aus, wie viel Spaß es macht, diese neuen Spielarten für sich zu ergründen. Zumal ihr diese Entscheidung ja auch nicht für euch allein trefft. Sowohl die Fähigkeiten eures Hauptvasalls, den ihr selbst erstellt, als auch die der Nebenvasallen, die ihr euch von anderen Spielern leiht und die im Gegensatz zu euch und eurer Kreation nicht weiterentwickeln, sollten tunlichst zu eurer Spielweise und euren Fähigkeiten passen. Sonst wird das ohnehin schon nicht ganz einfache Spiel deutlich schwieriger. Sich die perfekte Party zusammenzustellen, ist jedenfalls eine absolute Wonne gewesen und weil in den Kämpfen so viel Cooles passiert, empfand ich auch ohne individuelle, geschriebene Geschichten meiner Begleiter, eine tiefe Bindung zu ihnen.
Und ja, ich wiederhole mich vermutlich, aber es passiert so viel Cooles in diesen Kämpfen. Dass man auf den größeren Gegnern herumkraxelt, soweit die Ausdauer einen trägt, ist euch sicher nicht neu. Auch im zweiten Teil ist das bisweilen etwas fummeliger und desorientierender als es sein müsste. Dann wiederum bin ich froh, dass ich nicht der arme Willi bin, der die Klettersteuerung entwickeln musste. Es funktioniert gut genug, dass ich mich irgendwann wie der große Held fühlte, der ich im Spiel sein sollte. In einer so gigantisch wirkenden Welt mit derart riesigen Monstrositäten ist es jedenfalls genau das Teufelskerl-Feature, das anderen Games irgendwie fehlt.
Eine andere Sache, die mir immer wieder auffiel: Wie unwegsam diese Welt eigentlich wirkt. Wahnsinnig zerklüftet ist der beste Weg zum Ziel – oder zu einem Geheimnis – selten offensichtlich. Dieses Gefühl einer Expedition in ein – abseits ausgetretener Trampelpfade und staubiger Ochsenkarrenwege – weitestgehend ungezähmtes Land weckte Fernweh und Neugierde zu gleichen Teilen. Das bedeutet auch, dass die eine “Nur noch mal eben”-Quest regelmäßig zu einem ganzstündigen Roadtrip ausufert. Mit abschließender Entscheidung, wie viel Bastard man sein möchte. Es ist schön, dass das Spiel so etwas selten auf die Multiple-Choice-Art oder mit klar voneinander abgegrenzten Interaktionspunkten regelt. Niemand hat mir zum Beispiel gesagt, dass ich von dem unersetzlichen Edelstein, den sowohl ein armer Kurier als auch sein skrupelloser Besitzer händeringend suchten, vorher eine Fälschung anfertigen lassen sollte, um gleich bei beiden Auftraggebern abkassiere. Ich wusste vorher nicht mal, dass das geht. Das war meine Idee.
Das Spiel hält viele solcher Zwickmühlen bereit und wenn man ihm etwas vorhalten müsste, dann wäre das zweifelsohne die Tatsache, dass die Geschichte bis zum Endgame für wenig echte Spannung gut ist. Dafür steht dann gegen Ende plötzlich umso mehr auf dem Spiel, was ich wirklich sehr zu schätzen wusste. Auch die Menge an Heilmittelchen und Statuseffekte abmildernden Substanzen, die man craften kann, ist unübersichtlicher als sie sein müsste, zumal ich bis heute nicht herausgefunden habe, wie man einen Verbrauchsgegenstand manuell auf das Steuerkreuz legt. Wege ins Menü sind in schwierigen Kämpfen leider nicht zu vermeiden, was bisweilen den Fluss der Kämpfe stört, was man auch über die Momente sagen könnte, in denen einen die Gegner halten oder anderweitig festsetzen. Aber da auch ich das regelmäßig mit ihnen mache, ist es wohl nur fair. Alles in allem ein hübscher und aufregender Action-RPG-Kampf mit vielen Gesichtern.
Das perfekte Spiel gibt es nicht
Technisch ist leider nicht alles in Butter. Auf den Konsolen sind 30fps alternativlos ausgewiesene und insbesondere in der Nähe von Siedlungen nicht immer gehaltene Ziel. Wenn ich mir anschaue, wie Dragon’s Dogma 2 auf dem PC so skaliert, sehe ich, warum man sich nicht einmal an einem Performance-Modus für PS5 und Xbox Series X versucht hat. Selbst an einem Laptop mit Geforce 4090 und einem Desktop-PC mit 3080 knickt das Spiel in der Hauptstadt und dort speziell bei Regen deutlich unter die 60fps weg.
Über Land läuft es auch in Kämpfen deutlich besser, aber ich habe das Gefühl, die Welt, die ja nicht nur in der Breite, sondern auch in der Höhe extrem detailliert ausgearbeitet ist und vor interaktiven Physikelementen nur so strotzt, stellt Capcoms RE Engine vor Aufgaben, für die sie nicht gemacht war. Dafür sieht es gerade bei Zauber-Moves und mit seinen betörend schönen Lichtstimmungen oft einfach umwerfend lebendig aus und fesselt den Blick mit dramatischen Panoramen. Und kommt ein Greif im Sturzflug runter, wackelt vom Baum bis zum Gras einfach alles. Ein Spiel mit Wucht und Dimension.
Dragon’s Dogma 2 Fazit
Es gibt wenige Fortsetzungen, denen ich so lange entgegengesehnt habe wie einem zweiten Dragon’s Dogma. Der erste Teil war 2012 dem Zeitgeist ein gutes Stück voraus und fand daher noch nicht das Publikum vor, das er eigentlich verdient hatte. Demon’s Souls und Dark Souls hatten gerade erst die Brechstange angesetzt, um die Klappe zum Horizont aufzustemmen, die mit den Jahren gestriegelter Blockbustermentalität der großen Studios zugefallen war.
Heute sieht die Lage anders aus: Soulslikes sind eines der beliebtesten Genres, sogar Zelda hat sich im Laufe der Jahre von seiner Schablone gelöst, die dem Spieler die Initiative und damit das Heldenhafte abnahm. Und obwohl Dragon’s Dogma 2 bei allem Anspruch nicht annähernd so hartherzig ist wie der Output von From Software, will man auch bei Capcom Antrieb und Herzblut vom Spieler sehen, ihm nicht alles haarklein erklären. Ihr sollt euch mit Mut in ein Universum werfen, das nicht den Anschein weckt, allein für euch zu existieren. Kommt rein und findet heraus, was es zu bieten hat. Ihr werdet überrascht sein, so viel ist sicher.
Was ihr da entdeckt, ist jedenfalls ein Spiel, so hin und weg von seiner Welt und seinen Systemen, dass man nicht anders kann, als sich ebenfalls mitreißen zu lassen. Grinsend-ungläubig rutscht man auf der Couch herum, zeigt mit dem Finger auf einen absurden Physikzufall, bevor man sich selbst für seinen Heldenmut auf dem Rücken einer blökenden Chimäre gratuliert. Wie man sich regelmäßig vor Freude fast in die Hose macht, weil eine schräge Idee, die man hatte, wie selbstverständlich von den Mechanismen des Spiels zu einem Ergebnis getragen wird, das erlebt man woanders selten.
Kurz: Es ist der seltene Fall eines Spiels, das immer besser wird, je tiefer man darin vordringt. Nicht nur, weil es Neues zu sehen und zu tun gibt und der Held immer mächtiger wird, sondern weil man auch als Spieler an ihm wächst.
Dragon’s Dogma 2 | |
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