Dragon's Dogma: Dark Arisen - Test
Noch einmal mit Gewühl.
Gemessen an der Leidenschaft, mit der so viele Leute, die im vergangenen Jahr Dragon's Dogma genossen, ihren Freunden und Bekannten davon berichteten, schlug Capcoms unberechenbares und verschrobenes Biest von einem Action-Rollenspiel vergleichsweise zahme Wellen. Es war eines dieser typischen kultigen Lieblingsspiele, die sicher nicht für jedermann waren, für die, die es mochten, dafür aber umso mehr. Ein komischer Trip, weitab davon, ein nach gängigen Maßstäben fehlerfreies Spiel zu sein. Dafür war es aber mit umso mehr Herz, frischen Einfällen und Abenteuerdrang gesegnet. Eben ganz liebenswürdige Eigenschaften.
Alle, die das aus irgendeinem Grund verpasst haben, sollten vor Genuss dieses Tests dringend noch das Review des Originals lesen, denn das befindet sich in vollem Umfang in dieser knapp 30 Euro günstigen Erweiterung. Wer sich letztes Jahr nicht sicher war, ist diesem durchaus wagemutigen kleinen, eigentlich aber riesig großen Spiel spätestens jetzt eine neue Chance schuldig. Was habt ihr schon zu verlieren?
Hello Darkness, my old friend!
Ich nehm' die Antwort mal vorweg: So gut wie nichts, denn vor allem der Zusatz-Inhalt, die Handlung um den "Dark Arisen", die sich auf der komplett neuen Insel Finstergram abspielt, hat es dermaßen in sich, sie wäre fast schon alleine ein Spiel wert gewesen. Und eigentlich sollte Dark Arisen das ja auch sein, eine Stand-alone-Erweiterung. Nun musste das Spiel aber aus technischen Gründen zusammen mit dem Basis-Erlebnis auf die Disk gepresst werden. Wer nicht einsieht, das Original noch einmal zu kaufen, sollte sich allerdings vor Augen halten, dass Finstergram und seine Geschichte allein gut 20 (netto) bis 30 (der Brutto-Wert, der näher an der Wahrheit liegen dürfte) Stunden Inhalt bereithält und die Investition somit durchaus auch im Alleingang rechtfertigt.
Überhaupt ist die Form der Erweiterung zur Weiterführung dieser Reihe eine gute Wahl. Nach dem Durchspielen der Kampagne des "nackten" Dragon's Dogma ist ein weiterer Ritt mit dem eigenen hochleveligen Charakter und seinem liebevoll hochgezüchteten KI-Vasallen ein sehr attraktives Angebot. Allerdings eines, das weniger optional ist, als Pflicht, was ja in meinem Ersteindruck vom letzten Monat auch schon angeklungen ist. Finstergram ist einfach ein harter Brocken. Wer vor Level 30, auch nur einen Fuß auf dieses Eiland setzt, muss mehr heilenden Grünlattich mit sich führen, als selbst der properste Arisen tragen kann und selbst dann tastet man sich nur millimeterweise vorwärts. Selbst mit einem Level 82 Charakter bekomme ich noch regelmäßig im dicksten Kampfesdickicht auf die Mütze.
Am eigentlichen Ablauf hat sich unterdessen nichts geändert. Mit einem festen und zwei angeheuerten sogenannten "Vasallen", die von der KI gesteuert werden, durchpflügt ihr Finstergram nach Ausrüstung, Werkzeugen, heilenden Gegenständen und Zutaten für das ausladende Crafting-System. Am Ende eurer Reise kommt ihr schließlich hinter das Geheimnis von Olras Geschichte, der mysteriösen Frau, die euch erst auf die sagenumwobene Insel transportierte. Anders als im Hauptspiel geht es hier jedoch nicht über eine offene, sonnige RPG-Welt mit vielen Unterorten und Dungeons, stattdessen ist ganz Finstergram eine einzige Anhäufung immer gemeinerer Kellergewölbe, Höhlen, Zisternen und unterirdischer Kathedralen. Es ist ein finstres Labyrinth voller modriger Ecken, in die nie auch nur ein Strahl Tageslicht fiel.
Capcom weiß, wie Keller aussehen müssen
Hier tut sich eine Stärke von Dark Arisen auf. Auf Anhieb versprüht dieser Ort wieder diesen verlebten und anfassbaren Vibe einer Anlage, die schon bessere Zeiten gesehen hat. Kaputt, dreckig aber irgendwie machbar und authentisch, bei allem althergebrachten Fantasy-Quatsch, der sich in seinen Gemäuern abspielt. Es ist eine sagenhaft dichte Atmosphäre, in ihrem steinernen Bauch jede Kiste in ihre hölzernen Einzelteile zu zerlegen, um sich die Taschen vollzumachen, während die einmal mehr fantastische Beleuchtung der Öllampen die morsche Inneneinrichtung stimmungsvoll in Szene setzt. Diese nach Innen verlagerte Queste geht natürlich auf Kosten des Reise-Feelings des Ur-Spiels, was nicht heißt, dass man nicht lange unterwegs wäre. Es ist nur eine mehr oder weniger von den weniger ereignisreichen Laufwegen befreite Version dessen, was wir im letzten Frühling von Capcom bekommen haben.
Bis ihr einen Gegner "begriffen" habt, passiert es oft genug, dass die Vasallen in Gefahrenzonen rumstehen und deshalb sterben, wenn ihr sie nicht rechtzeitig zu euch ruft.
Der Dungeon selbst bekommt es hin, im Aufbau verwinkelt und klar zugleich zu sein. Oft kann man Gegenden und Vorsprünge erreichen, von denen man zu Beginn gar nicht wusste, dass es sie gibt, und regelmäßig entdeckt man hinter einem Schleier aus Efeu oder einem Stapel Fässern einen geheimen Durchgang. Von Dark Souls schaute man sich unterdessen die Abkürzungen ab, die man nach und nach erschließt, und die einen auf schnellerem Wege aus den Tiefen der Anlage wieder in den Hub-Bereich davor bringen. Etwa, um für Einkäufe oder etwas Tageslicht nach Gransys zurückzureisen oder die neuen, verhexten Finstergram-Ausrüstungsgegenstände von Olra bereinigen zu lassen - und sie damit benutzbar zu machen.
Vor allem aber auch gestalterisch überzeugt dieser Keller fernab von Gransys. Die fehlenden Open-Air-Panoramen gleicht Capcom durch sagenhafte unterirdische Turmgebilde, versunkene Kirchen und allgemein glaubwürdig-spektakuläre Architektur wieder aus. Mehrfach blieb ich stehen, weil mir eine neue Höhle ein wenig den Atem raubte. Allerdings erliegt auch das talentierte Dragon's-Dogma-Team der für Rollenspiele nicht gerade neuen Versuchung, einige Dungeon-Layouts und -Räume mehr als einmal zu benutzen. Das ist oft genug nicht so schlimm oder auffällig und eigentlich auch gar nicht abwegig. Wenn man aber manchmal schon weiß, wo sich ein Geheimgang versteckt und wo der Ausgang ist, weil einem eine markante Raumfolge besonders im Gedächtnis blieb - oder man sich andernorts nicht sicher ist, ob man nun an derselben Stelle von vorhin wieder rausgekommen ist -, stört das kurz die ansonsten so perfekte Illusion einer Burg, die tatsächlich mal ein wahnsinniger Baumeister ins Erdreich zimmerte.
Das Genie überblickt das Chaos
Wie gesagt, oft genug fällt es nicht ins Gewicht und manchmal nicht einmal ins Auge, und bis man das bemerkt, hat man schon eine gute Portion dieser Erweiterung hinter sich. Aber erwähnenswert ist es allemal. Dass man sich nicht zu sehr daran stört, liegt vor allem daran, dass die eigentlichen Stars dieses Spiels ja die Kämpfe sind. Und hier bietet sich erneut das halbwegs kontrollierte Chaos einer derben Action-RPG-Massenkeilerei, wenn zwei eurer Begleiter-Magier Funken stiebende Zauber wirken und euer Bogenschütze einen brennenden Pfeilregen auf einen wütenden, vier Meter großen Höhlentroll abfeuern. Es passiert schon Mal - wie schon im Hauptspiel - dass man zwischen beinahe tödlichen Treffern mehrfach ewig verwundbar darniederliegt und einfach keinen Fuß mehr auf den Boden bekommt. Das gilt für Dark Arisen noch deutlich mehr als für Dragon's Dogma, denn hier gibt es einige Biester, die zu halbstündigen Blutstänzen auffordern und sich erst geschlagen geben, wenn ihr eure Vasallen perfekt im Blick habt und die richtigen Fähigkeiten auf sie loslasst.
Immer wieder begegnet euch wie aus dem Nichts der Tod höchstselbst, bei dem man gut daran tut, den betretenen Bereich direkt wieder zu verlassen. Und gerade, wenn man sich darüber freut, eine der anderen Steroid-geschwängerten Monster-Ausgaben des Originals niedergestreckt zu haben, kann es passieren, dass für eine Sekunde jedes Licht aus dem Raum schwindet, weil eines der noch viel mächtigeren Aasfresser-Ungeheuer auftaucht, um sich an dessen Überresten zu laben - mit euch als Nachtisch. Hier schwingt sich das Spiel beinahe in Dark-Souls-Regionen auf, wenngleich auf weniger methodischere und häufig deutlich kopflosere Weise.
Wer das Hauptspiel mag, kennt das ja. Bis ihr einen Gegner "begriffen" habt, passiert es oft genug, dass die Vasallen in Gefahrenzonen rumstehen und deshalb sterben, wenn ihr sie nicht rechtzeitig zu euch ruft. Genau so regelmäßig lassen sie sich ewig bitten, diesen einen verheerenden Tornadozauber zu wirken, den ihr so liebt und der den Kampf deutlich verkürzen könnte. Aber irgendwo gehört das in diesem Fall einerseits zum Truppenmanagement und andererseits dient es zur Aufrechterhaltung der Balance. Schließlich sollt ihr bei der Schlacht federführend sein und am besten auch noch selbst den letzten Schwinger landen, bevor das Ungetüm seinen letzten, fauligen Atemzug tut.
Zeter und Mordio
Daraus resultieren die je nach gewählter Spielerklasse deutlich unterschiedlich geführten, zermürbenden langen Fights und Gegner-Klettereien, für die man dieses Spiel und seinen Vorgänger einfach lieben muss. Wie oft habe ich den Controller beinahe gegen die Wand geworfen und schlimmere Flüche ausgestoßen als die Nekromanten, mit denen ich es zeitweise zu tun bekam, nur um dann im vierten, fünften Anlauf doch auf einmal die Sollbruchstelle im Verteidigungskorsett des Feindes zu finden und ihn dann relativ souverän abzufrühstücken. Was für Triumphe dieses Spiel doch für einen bereithält.
Was man neben der tollen Gestaltung auf der visuellen Habenseite verbucht, ist ein Effektfeuerwerk sondergleichen.
Technisch ist es wieder einmal Liebe auf den zweiten Blick. Das Tearing der getesteten Xbox-360-Version nervt ein wenig, Geometrie- und Gegner-Fade-Ins kennt man von der Engine schon. Und selbst mit optional installierten HD-Texturen erblickt man noch die eine oder andere Wand und vor allem Gesichter, die aus einem älteren Spiel zu stammen scheinen. Was man aber neben der tollen Gestaltung auf der Habenseite verbucht, ist ein Effektfeuerwerk sondergleichen. Buchstäblicher kann man dieses Wort nicht meinen. Wenn man aus einer flirrenden Lichtkugel voller Lebensenergie einem brennenden Monster dabei zuseht, wie es die Inneneinrichtung physikalisch korrekt zerlegt und dabei über der komplette Szene die gespenstischen Echtzeit-Schatten vier verschiedener Spieler- und NPC-Laternen tanzen, erkennt man dieses Spiel als eines der schönsten dieser Generation.
Dark Arisen also. In Sachen Dungeon-Architektur und Herausforderung die erhoffte Schippe mehr, wenn man das Hauptspiel schon durchhat, und für Neueinsteiger als teuflisch günstiges Ticket in die Welt von Gransys wärmstens zu empfehlen. Diese Erweiterung bewahrt sich den kruden Charme des Originals, ist trotz zusätzlicher Reisesteine und neuer Skills mindestens genau so sperrig zu spielen, wächst dafür jedoch parallel mit dem Engagement, das ihr Gast in sie investiert. Schwitzen, Ärgern, Siegen und oft genug auch Rätseln und Staunen sind in Finstergram die am höchsten gehandelten Devisen, ein Eiland, dass man lange Zeit genau so wenig versteht, wie Gransys vor ihm. Auch wenn nicht hinter jeder Verschrobenheit und jedem Mysterium eine Auflösung mit viel Substanz steckt und einige Systeme nicht komplett zu Ende gedacht scheinen, ist es doch dieser Hauch des Fremden, der so fasziniert, dass man auch nach mittlerweile 200 Stunden nicht wirklich genug davon hat. Und deshalb mache ich jetzt das, was ich vielleicht schon letztes Jahr hätte tun sollen.