Drakensang: Am Fluss der Zeit
Das neue Manifest und die alte Liebe
Es wurde vor ein paar Jahren mal etwas erdacht, was sich milde hochtrabend das Manifest des Neuen Spielejournalismus nennt. Der Gedanke, der hier ausgedrückt wird, ist sehr einfach. Ein Spiel ist ein Medium, wie Musik oder ein Film. Es wirkt auf jeden anders. Sicher, ein paar Kriterien lassen sich festmachen. Wie gut die Aufnahmequalität der Songs ist, um ein Beispiel zu nennen. Aber selbst das ist kritisch. Man muss eigentlich das Werk in einen kulturellen Gesamtkontext stellen und dann noch seine persönlichen Gedanken einfließen lassen. Intermediale Kreuzreferenzierung ist ausdrücklich erwünscht, genau wie subjektive, wenn auch begründete Eindrücke. Es sollte klar sein, dass es natürlich nicht reicht, "Find ich doof!" zu sagen. Es gehört natürlich immer ein "weil..." hinter das "doof".
Der Spielejournalismus, gerade in Deutschland, ging häufig genug den Ansatz, ein Spiel wie ein Anwendungsprogramm im Sinne von Office zu analysieren. Sind bestimmte Funktionen vorhanden, erfüllen sie ihren Zweck oder was ist umständlich? Das ist bei einem Spiel auch nicht ganz unwichtig. Drastische Mängel in der Steuerung können die besten Intentionen verderben, technische Schlampereien dürfen nicht unerwähnt bleiben und man sollte auch generell erzählen, wie denn das Gameplay funktioniert. Schließlich soll der Leser sich ja ein Bild von der Gesamtlage machen können. Aber das eigentlich Wichtige, der persönliche Eindruck, die Emotionen, die das Spiel auslöst, und wie sie begründet sind, kam (und kommt) oft zu kurz. Ob dann jemand diesen Einschätzungen folgt, bleibt dem geneigten Leser selbst überlassen. Aber der Versuch, ein Spiel wie Drakensang: Am Fluss der Zeit rein und absolut objektiv zu bewerten, fällt mir nicht schwer, es ist fast unmöglich.
Dafür liebe ich einfach die dienstälteste Welt des deutschen Pen&Paper zu sehr. Es war mein Erstkontakt vor über 20 Jahren. Selbst wenn ich mich am Spieltisch schon vor langer Zeit von Aventurien abwandte, haben Havena, Al Anfa oder Der Große Fluss nie ganz den magischen Klang verloren. Es ist kein verlorenes Paradies, mehr ein Ort, an dessen Existenz man nicht glaubt, aber an den man zurückkehren kann, indem man kurz ein paar alte Bücher hervorholt und ein wenig in die Kindheit eintaucht. Mich von diesen Eindrücken zu lösen, während ich das neue Drakensang von Radon Labs spielte, sah ich überhaupt nicht ein. Es war eine sehr persönliche Erfahrung, die ich mit all den anderen DSA-Nerds teile. Und für uns lässt sich schon zum Start sagen: Das ist unser Spiel. Es fängt all das ein, was die Welt von DSA ausmacht, sogar noch ein wenig besser als der Vorgänger es tat.
Das bedeutet aber natürlich auch, dass hier allerfeinstes Fantasy-Biedermeier geboten wird. Das schwarze Auge hatte nie ein Äquivalent für das Dreckige in einem Witcher, nie die völlige Außerweltlichkeit eines Planescape oder den Actionappeal moderner, cineastischer Storyteller-Systeme. Drakensang: Am Fluss der Zeit bleibt den Grundwurzeln des hohen Mittelalters komplett treu. Eine spießigere Welt müsst ihr erstmal finden.
Wirken andere Welten global und gewaltig, entspricht die Gegend um die Kleinstadt Ferdok, die ihr bereist, genau dem: Einer sehr behäbigen Kleinstadt. Eine dieser kleinen Städte in der Rhein-Main-Gegend oder in Bayern, deren Kern vor 600 Jahren von der Zeit vergessen wurde. Eben so, wie sich Amerikaner das Mittelalter vorstellen. Mehr Kostümfestival mit Hexenpfanne vom Spieß, weniger Dreck, Blut, Krankheiten und Tränen.
Dieses Szenario strahlt allerdings etwas aus, was man eigentlich nur eine Art unverwüstliche Unschuld nennen kann. Die Wiesen sind grün, Zwerge graben noch nach Gold, Elfen leben noch in Bäumen - selbst wenn es Frank Gehry-Bäume sind - und der Graf lebt in einem Schloss über der netten Kleinstadt. Stadtmauer, Nachtwache und alle Extras inklusive. Wer von sowas abgeturnt wird, der wird eine harte Zeit haben, denn es macht beim Szenario keineswegs halt. Die Gespräche der Helden untereinander oder mit einer ganzen Masse an NPCs erinnern perfekt an das letzte DSA-Ratstreffen mit Horden von Larp-Nerds, die eine eigene Vorstellung haben, wie in dieser Mittelalterwelt gesprochen wird. Es ist eine eigentümliche Mischung aus scheinbar sperriger Gestelztheit, dem völligen Verzicht auf Kraftausdrücke und fragwürdiger Namensgebungen. Yerodihm Der Heuchler, Silberzahl Jalik, Mandavar Krallentanz, Sanraya Lockenglanz, reicht es fürs Erste?