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Drakensang: Am Fluss der Zeit

Das neue Manifest und die alte Liebe

Nein, es ist kein leichtes Spiel und es lebt auch davon, wie geschickt ihr mit den völlig frei verteilbaren Punkten umgeht. Eine der guten Eigenschaften des modernen DSA ist die Entkopplung der Steigerungspunkte von der Stufe. Diese legt in Verbindung mit den Attributen die Maximalgrenzen fest. Die Attribute zu steigern ist teuer, Fertigkeiten wie Menschenkenntnis, Taschendiebstahl, Alchemie, Zauber- oder Waffentalente sind gerade in den niedrigen Zahlen preiswert. Daraus ergibt sich das Bild eines recht gefestigten Menschen (oder Elf und Zwerg), der zwar nur wenig seine körperliche Form ausbildet, aber im Laufe der Reise hart an seinem Können arbeitet, was letztlich viel mehr Sinn macht.

An den Komfortfunktionen hätte man aber ruhig mal noch ein wenig schrauben dürfen. Das gilt eigentlich für alle Bereiche des Spiels. Im Kampf dürft ihr zwischen gerade mal zwei verschiedenen Verhaltensweisen wählen: Angriff oder Verteidigung. Letztlich läuft es darauf hinaus, dass der Kampf entweder nicht so schwer ist und ihr könnt die Gruppe laufen lassen, weil sie auch bei suboptimaler Taktik gewinnen werden. Oder ihr nehmt es selbst per Space-Pause in die Hand und koordiniert alles brav selbst. Spezialangriffe und Zauber lassen sich stapeln, nur bringt das wenig, da gerade bei harten Fights immer was dazwischen kommt. Eine automatisierte Inventarverwaltung glänzt durch komplette Abwesenheit, was gerade bei Sammelwütigen für echte Zusatzarbeit sorgen kann.

Hätte ich gewußt, dass dies ein Screenshot wird, hätte ich doch noch schnell aufgeräumt...

Wer Gebrauch von Bogenbau, Schmiedekunst und Alchemie macht - und um Letzteres kommt ihr kaum herum, wenn ihr wenigstens ein paar Tränke haben wollt -, sortiert ständig seine Zutaten hin und her. Warum kann ich nicht einfach auf alle Zutaten in der aktiven Gruppe zugreifen? Warum muss der aktive Held alles in der eigenen Tasche sammeln? Die Fragen gehen noch weiter, schließlich habt ihr einen eigenen Flusskahn, der mit Werkbänken ausgestattet werden kann und eine alles fassende Sammelkiste trägt. Warum kann nicht einfach bei der Benutzung der Werkbank alles angezeigt werden, was sich in der Kiste direkt daneben befindet? Warum muss ich es erst heraussuchen? Komfort ist einer der objektiv bewertbaren Aspekte. Und hier sammelt Am Fluss der Zeit ein paar definitive Abzüge in der B-Note, weil es sich schlicht unnötige Schwächen leistet, die euch Zeit kosten, ohne Mehrwert zu bieten.

Dafür fängt die Optik die Atmosphäre perfekt ein. Am Fluss der Zeit spielt mit Impressionen, die an stellenweise auf eine sehr drollige und liebenswerte Art an kitschige Fantasy-Neo-Romantik erinnern. Sonnenuntergangsstimmung in lichten Wäldern, verschneite Bergdörfer oder Nacht in den Gassen von Disneys Mittelalterattraktion, hier Ferdok genannt. Kleine Mängel finden man auch: Ein wenig Clipping hier, eine schwache Textur da, aber der Gesamteindruck stimmt. So stellte ich mir die Welt von Aventurien vor meinem inneren Auge vor. Und das ist es, was zählt. Für mich wenigstens.

Nur die Kämpfe hätte ich mit cineastischer gewünscht. Es liegt in der Natur des Timings des Systems, dass es behäbig zugeht und alle schon mal für ein paar Sekunden tatenlos umeinander herumstehen, während ihr denkt "NU HAUT SCHON ZU! IHR LUSCHEN!". Auch hätte man Paraden, Ausweichmanöver und überhaupt alle Bewegungen optisch geschliffener aufeinander abstimmen können. Während sich hier alle Geschmäcker einig sein dürften, könnten die Sprecher wieder für Zwiespalt sorgen. Die Stimmen passen bei den Helden und den wichtigen NPCs, kleinere Ausreißer gibt es nur am Rande. Und sie sind perfekt geeignet, um "Nun ist es an der Zeit, meine Freunde! Für den Kaiser und Land!" so zu sprechen, wie es auch an einem Rollenspieltisch bei einer guten Runde - mit guten Sprechern - der Fall gewesen wäre. Diese Stimmen scheinen aus dem Off des Spieltisches zu kommen. Es ist nur ein Gefühl, vielleicht steh ich damit allein da. Irgendwie macht dieser Eindruck aber auch einen Teil des Zaubers von Am Fluss der Zeit aus.

Hmmm, Elfen halt. Baumküsser in freier Wildbahn, was soll man als Zwerg-Fan schon groß dazu sagen.

(Ein kleiner Zusatz: Seitens des Publishers wurde zwar versprochen, dass es in der finalen Version behoben ist, aber man weiß ja nie so genau. In der bosparanischen Ruinen geht eine Tür scheinbar nicht auf, egal was ihr macht. Dahinter findet sich ein wichtiger Gegenstand. Die Tür öffnet sich mit folgendem Trick: Bewegt euren Schlösserknacker-Helden ganz nah per Tastensteuerung an die Tür, legt einen Dietrich oder etwas Vergleichbares auf eine der Schnelltasten und benutzt den Dietrich per entsprechender Taste. Der Held wird jetzt versuchen die Tür zu knacken. Bewegt den Helden nicht, bis er fertig ist. Bei mir öffnete sich jetzt schon die Tür, es kann sein, dass ihr noch ein zweites Mal den Dietrich benutzen müsst. Es war der einzige Bug, der mir beim Durchspielen auffiel.)

Jetzt kommt der schwierige Part. Ich muss eine Wertung unter all das setzen. Und die soll auch noch ein objektiver Ausdruck in Relation zum Rest der Spielewelt sein. Ich kann offensichtlich Drakensang nicht so hoch bewerten wie zuletzt Dragon Age. Was das mit seinen Figuren und Geschichten machte, geht weit über den konservativen Plot und Ansatz von Am Fluss der Zeit hinaus. Ich liebe es aber subjektiv fast genau so sehr und hatte dank meiner nostalgisch verklärten Affinität zum Schwarzen Auge beinahe gleich viel Spaß. 9 Punkte? 8 Punkte? 7 Punkte, wenn ihr die bittere, seelenlose Hülle eines von der Welt enttäuschten Rollenspielers seid? Eines davon. Sucht es Euch aus.

Seid ihr DSA-Fans, dann ist das hier ein Traum. Spielt es, fertig, müssen wir nicht drüber reden. Was sage ich aber normalen RPG-Liebhabern? Das hier ist kein Dragon Age, kein Witcher und auch kein Divinity oder Neverwinter. Es ist anders. Kitschig, ein bisschen umständlich, ein bisschen träge, aber gleichzeitig auch wunderbar komplex, lebendig und wiederum kitschig. Kitschig ist manchmal gut und Drakensang: Am Fluss der Zeit kultiviert das auf die beste Art, die denkbar ist. Es fängt den Geist der Vorlage perfekt ein und lebt darin auf. Es erinnert einen daran, was man mal am Schwarzen Auge mochte, und an alles, was dieses System seit Jahrzehnten so erfolgreich sein lässt. Und muss man immer nur objektiv sein? Kann man es immer? Ist es falsch, mal ein wenig den eigenen Enthusiasmus ob des gerade Erlebten laufen zu lassen?

Ja (leicht genervt). Ist es und man muss. Solange es Wertungen gibt, bleiben diese die Bastion des Versuchs der Objektivität. Es wäre Verrat an der hart erarbeiteten Wertungsphilosophie, wenn hier etwas anderes drunterstehen würde als diese Wertung. Drakensang: Am Fluss der Zeit ist zwar ein Schritt nach vorn gegenüber seinem Vorgänger, aber es bleiben noch genug kleinere Schwächen. Und vor allem ein gesunder Abstand zum überlegenen Storytelling eines Dragon Age. Am Ende ist Drakensang: Am Fluss der Zeit ein wirklich gutes Rollenspiel und ein Geschenk an die Fans des Schwarzen Auges. Sie werden hier glücklich. Ich war glücklich. Ist das auch eine Wertung?

Drakensang: Am Fluss der Zeit ist PC-exklusiv und mit SecuROM gesegnet. Bäh. Erscheinen wird es am 19. Februar. Eine Special Edition gibt es dann natürlich auch.

8 / 10

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