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Drei Dinge, die Xenonauts besser macht als XCOM...

... und drei, die froh machen, dass die Serie einen offiziellen Nachfolger bekam.

Nach fünfjähriger Entwicklungsgeschichte ist Xenonauts nun erhältlich. Es ist ein Spiel mit einem seltsamen Werdegang. Als trotzige und vorlagengetreue Antwort auf den XCOM-Shooter erst in aller Munde, verdrängten Firaxis' "echtes" Reboot und eine viel längere Entwicklungszeit als geplant es schließlich aus dem öffentlichen Bewusstsein. Der Umstand, dass es nun einen Nachfolger gibt, der des Markennamens vollumfänglich würdig ist, macht Xenonauts aber nicht zu einem weniger interessanten Titel - eher im Gegenteil.

Neben der Tatsache, dass Xenonauts einfach ein gutes Spiel geworden ist, hilft es nämlich auch bei der Beantwortung der Frage: Wie nah muss - oder darf - man sich am Original entlanghangeln, will man das Erlebnis von 1994 mit unverminderter Wirkung in die Spieleneuzeit übersetzen? Platz für beide Entwürfe ist in jedem Fall genug, deshalb bleibt es letzten Endes eine Frage, die jeder nur für sich selbst beantworten kann. Ich werfe hier einfach mal sechs Dinge in die Waagschale, die für mich den Ausschlag gaben.

Never forget! Was die treue Seele Xenonauts auszeichnet

1. Ganz wie damals

Als Goldhawks Chris England seinerzeit bekundete, ein X-COM so zu machen, wie man es heute heute angehen würde, meinte er das wörtlich. Höhere Auflösung, um Komfortfunktionen ergänzte Steuerung und taktische wie strategische Anpassungen - Mali für Schüsse auf Einheiten hinter Deckung, eine verbesserte finanzielle Komponente - modernisieren eine bekannte Formel und bringen etwas frischen Wind in allzu bekannte Abläufe. Alles andere bleibt beim Alten. Im Fall eines der Lieblingsspiele einer gesamten Generation kann das keine schlechte Sache sein. Veteranen finden sich auf Anhieb zurecht. Sie stellen nur kurz fest, dass nur wenig von seinem angestammten Platz verrückt wurde, und sind dann sofort im X-COM-Modus, dem sie aus eigener Kraft auch nicht so schnell entkommen können. Noch immer verteilt ihr eure Basen und Abfangjäger rund um den Globus, rationiert ihr auf dem Schlachtfeld Zeiteinheiten im Viererpack und lasst eure Forscher auf vertraute Technologien los.

Ihr dürft sogar die Loadouts nach Soldatenklassen speichern - oder sogar neue erstellen.

Gleichzeitig entschlackte man Inventar- und Lagerfummelei, sodass man nicht jedes einzelne Magazin für eine Waffe gesondert besorgen muss. Vielen Dank dafür. Ich bekomme es trotzdem noch regelmäßig hin, meinen Leuten die falsche Munition zuzustecken und das erst zu merken, wenn ich mit leerer Waffe vorm letzten Alien stehe. Dass der Titel 1979 spielt - das Original begann 1998 -, merkt man kaum und in späteren Spielstufen vermisst man lediglich den Blaster-Launcher und die Psi-Kräfte, bei denen Goldhawk der Meinung war, die Spielbalance hätte unter ihnen zu leiden. Wolltet ihr schon immer mal das Original mit zeitgemäßer Steuerung erleben, seid ihr hier goldrichtig. Wer liebt sie nicht, diese Momente, in denen ein Rookie einen Schuss mit 78 Prozent Trefferwahrscheinlichkeit statt im Schädel des Aliens im Hinterteil eines Kameraden versenkt, der fünf Meter weiter links platziert war?

2. Willkommen am unteren Ende der Nahrungskette

Auch Firaxis' X-COM-Neuauflage geht mit dem Spieler hart ins Gericht, mit den entsprechenden Einstellungen wird es sogar zu einem echten Albtraum. Und doch erzählt das Spiel einem etwas anderes, denn es ist ein echter Motivationskünstler. Mit Zeitlupenkills aus der Schulterperspektive, markigen Voice-overs und kraftvollen Animationen feiert es eure Einsatzkräfte als die kernigen Helden, die sie sind. Parallel dazu pumpt die treibende Musik den Puls in ungeahnte Höhen, während man sich mit perfekter Taktik in einen echten Rausch spielt und sich noch vor dem Ende auf Augenhöhe mit den Invasoren wähnt. Es liegt vielleicht auch an der klassischen isometrischen Perspektive, dass sich in Xenonauts selbst euer gestählter Einsatzleiter mit jedem Zug wie ein potenzielles Opfer anfühlt, klein und schmalschultrig.

Fast in jeder Runde bangt man um das Leben seiner Crew.

Die Atmosphäre ist folglich deutlich drückender, unheimlicher und tatsächlich näher am Original, wenngleich die etwas nüchterne Art-Direction bisweilen etwas gelangweilt anmutet. Hier ist niemand sicher; eine Feststellung, die zum Teil auch bei Firaxis gilt, aber hier noch überzeugender vermittelt wird. Selbst, wenn man alles richtig gemacht hat, muss man mit Verlusten rechnen. Als ich einmal meinen Helikopter voller Soldaten zu einem abgeschossenen UFO schickte, wurde das Landungsfahrzeug von einem Jagdflieger der Außerirdischen pulverisiert. Nur vier meiner Leute konnten gerettet werden. Eine Woche später dann der Angriff auf mein Hauptquartier - es ist ein hartherziges und nicht immer faires Spiel. Aber hier passt es zur Prämisse eines Krieges, der eigentlich auf verlorenem Posten ausgefochten wird.

3. Über den Wolken… ist jetzt endlich etwas Freiheit da

X-COM lebte immer von seiner globalen Strategieebene und der Taktik zu Lande. Schon immer kam dabei das eigentliche Abfangen der UFOs zu kurz, wurde gar im Firaxis-Spiel noch ein bisschen mehr marginalisiert als in der Vorlage. Goldhawk Interactive bekommt es nun tatsächlich hin, mit dem Krieg um die Kontrolle über den Luftraum dem erprobten Spielablauf eine interessante zusätzliche Facette zu verleihen. In der Globusansicht erscheinen rund um die Welt Nachrichten über UFO-Sichtungen, Atmosphärenanomalien oder angegriffene Einkaufszentrum nach Art eines Telegrammtickers. Diese verleihen Aufschluss über extraterrestrische Aktivitäten, häufig bevor die eigentlichen UFOs überhaupt eurem Radar nahekommen. Das vermittelt ebenfalls ein Gefühl der Unterlegenheit und verrät euch womöglich, wohin ihr eure Expansion als Nächstes vorantreiben solltet. Man wähnt sich tatsächlich wie im Krieg, belagert und unterlegen.

"Man wähnt sich tatsächlich wie im Krieg, belagert und unterlegen."

Spielt sich überraschend fesselnd: der neue Luftkampf.

Das eigentliche Abfangen eines UFOs hat nun ebenfalls endlich eine taktische Komponente erhalten. Auf einer Radaransicht setzt ihr Wegpunkte für bis zu drei eurer Jäger, die sich bis zu drei Feindfliegern stellen. Ihr habt Kontrolle darüber, welche Waffen eingesetzt werden sollen, Nachbrenner und Ausweichrolle, und ersinnt schnell eigene Taktiken. So lasst ihr etwa einen Piloten eures Geschwaders den Lockvogel spielen, während sich ein anderer Flieger für einen gefahrlosen Abschuss an das Heck des geköderten Aliens hängt. Man kann dieses Minispiel auch automatisch von der KI abschließen lassen, aber gut die Hälfte der Zeit macht man es doch selbst. Eine sehr schöne Ergänzung, die sich nahtlos in das gewohnte Konzept einfügt.

Drei für den Neubau - wo Firaxis' XCOM Recht behält

1. Jung, schön, dynamisch

Goldhawk Interactive hat zweifellos in Sachen Komplexität die Nase vorn, das Plus an taktischer und strategischer Spieltiefe gegenüber der Firaxis-Konkurrenz hält sich aber in Grenzen. Oder besser gesagt: Ich bin mir nicht sicher, ob die höhere Komplexität die Verluste in Sachen Tempo wert ist. Durch das größere Mikromanagement und die ausladenderen Karten verliert Xenonauts einiges von dem Schwung, den XCOM mit Bravour aufs Parkett legt. Das Original hatte mit diesem Problem in noch viel größerem Umfang zu kämpfen, so viel ist klar. Aber hat man erst einmal ein paar Dutzend Stunden mit der offiziellen Neuauflage zugebracht, will man die unwiderstehlich selbstbewusste Art, ein tiefschürfendes Taktikspiel auf seine Essenz runterzukochen, irgendwie nicht mehr missen.

Das beste zweiter Welten: harte Taktik mit Actionspiel-Ästhetik.

Im direkten Vergleich wirkt das Aufklären der riesigen, je nach Tageszeit auch mal in Nacht gehüllten Karten mit kurzen Sichtweiten und Aliens, die oft ebenso beliebig platziert wirken wie die Deckung, häufig zäh und träge. Eine Karte hatte in meinem Fall nur oben links eine kleine Öffnung, durch die ich in den nächsten Bereich gelangen konnte, in dem natürlich auch das UFO gelandet war. Die Mauer hielt ich zuerst für das Ende des Levels. Viel Erkundung lief hier folglich ins Leere, organisiertes Vorgehen war erst möglich, nachdem ich eine Reihe Leute ins Ungewisse geschickt hatte. Das kann einem mit jeder Map aufs Neue passieren. Es ist eine vollkommen valide Art, seine Taktikebene aufzubauen, und genügte vor zwanzig Jahren für einige der aufregendsten Stunden meiner Spielerlaufbahn. Bei Firaxis ist es aber letzten Endes eleganter, dynamischer und ohne jeden Leerlauf irgendwie befriedigender gelöst.

2. Was, wieso, weshalb?

"Die Sandsteiquader des Wüstenszenarios als Deckung zu nutzen oder an ihnen vorbei auf ein Alien zu schießen, das ist zuweilen eine Qual."

Im Sack der Tugenden, die Xenonauts von 1994 nach 2014 rüberschleppte, verstecken sich auch ein paar alte Probleme: Die Art und Weise wie Sichtlinien funktionieren, ist nicht immer ganz klar. Mal schießt ein an der Ecke eines Hauses postierter Soldat problemlos auf das Echsenmonster, das mittig auf der Straße steht. Sein Kollege an der gegenüberliegenden Wohnblockecke hat aber angeblich 0 Prozent Trefferchancen. Auch ob und wie man durch die Fenster eines Hauses eine theoretisch bestehende Sichtlinie findet, ist in der isometrischen Ansicht nicht immer klar. Was auf urbanen Karten noch verhältnismäßig selten passiert, treibt einen auf Maps in freier Wildbahn teilweise zur Verzweiflung. In einem Wüstenszenario bilden beispielsweise Sandsteinquader natürliche Hindernisse. Diese als Deckung zu nutzen oder an ihnen vorbei auf ein Alien zu schießen, das jeder meiner Leute sehen können müsste, ist zuweilen eine Qual.

Das Spiel kommuniziert einfach nicht immer nachvollziehbar, welche Felder für Mensch oder Projektile passierbar sind und welche nicht. Das wird beim Einnehmen von UFOS zum Problem und in anderen Innenräumen, wo manches Mal Gegenstände, die den Fortschritt verhindern, von Wänden oder ähnlichem verdeckt sind. Überhaupt hat man häufig das Gefühl, die Kamera drehen zu wollen, was die 2D-Engine aber nicht erlaubt.

3. Zu viel Vertraulichkeit schadet nur

Es ist ein bisschen wie mit einem Paar liebgewonnener alter Schuhe. Sie fühlen sich an wie die zweite Haut, die man eigentlich von Natur aus haben sollte, haben einen vor ungezählten Hundehaufen bewahrt. Man weiß genau, wo man sie anpacken und leicht ziehen muss, damit der Fuß fast wie von alleine reinschlüpft, und fühlen sich einfach super an, egal, was der Orthopäde sagt. Aber sie riechen auch schon ein bisschen streng und man weiß, dass man sie eigentlich mal gegen ein neueres Modell austauschen müsste. So sehr man sich in Xenonauts auch direkt zu Hause fühlt, so sehr wird man doch das Gefühl nicht los, das alles genau in der Form schon Hunderte Stunden gemacht zu haben. Man liest nicht einmal mehr die gut geschriebenen Einträge der Xenopedia, weil man jede einzelne Technologie, jedes Alien und jedes Fahrzeug schnell als die Entsprechungen zu ihrem zwanzig Jahre alten Gegenstück erkennt.

… heißen 'drüben' Caesarianer.

Letzten Endes ist es ein Spiel, das nichts macht, was nicht das Original schon getan hätte - abzüglich der Luftkampfebene, aber die ist schwerlich Brot und Butter dieses Spiels. Wenn man diese Erkenntnis erreicht hat, muss die Frage erlaubt sein, warum man dann nicht gleich den Klassiker hervorholt, der vor allem in Sachen Gegnerdesign und Musik deutlich Ikonischeres leistete.

Fazit:

Unterm Strich ist Goldhawks Werk ein mit viel Herzblut designter Klon (ein Begriff, der zur Abwechslung mal wertfrei gemeint ist), der zu Recht viele Freunde finden dürfte. Aber er hat dem vielleicht besten Spiel aller Zeiten wenig hinzuzufügen und tut sich in seiner sklavischen Ergebenheit der Vorlage gegenüber schwer, in irgendeiner Form zu überraschen. Das Indie-Team um Chris England hat gewissermaßen den einfacheren Weg gewählt als Firaxis. Sid Meiers Leute befassten sich mehr damit, den Geist des Klassikers einzufangen, als eine moderne Spiegelung seiner Inhalte zu erstellen, und erschufen so ein Taktikspiel, auf das sich Spieler aller Genres und Plattformen einigen konnten.

Xenonauts ist das X-COM, das man sich bis tief in die 2000er hinein immer gewünscht hat. Aber es ist nicht so gut wie jenes, das wir 2012 dann bekamen.

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