E3 2018: Generation Zero hat anderen Spielen etwas Entscheidendes voraus: Lokalkolorit
"Wir haben unsere Kindheitsfantasien in ein Videospiel gegossen."
Es ist einer der größeren innerhalb einer nie um Widersprüche verlegenen Branche: Obwohl Videospielen im Gegensatz zu anderen Medien die einzigartige Chance innewohnt, eine unbegrenzte Anzahl fiktiver wie realer Welten nicht nur präzise abzubilden, sondern interaktiv erfahrbar zu machen, erschöpfen sich derlei Versuche häufig in einem Stakkato einheitlicher Belanglosigkeiten. Dem schmissigen Modebegriff des "Videospiel-Tourismus" folgend arbeiten sich Games, sofern sie keine Fantasiewelten erschaffen, am liebsten am kleinsten gemeinsamen Nenner der Sehenswürdigkeiten-Hitlisten ab. "Hey, ihr wart noch nie in New York? Dann schiebt doch mal dieses Spiel ins Laufwerk! Oder das da. Oder jenes. Oder…" ihr wisst schon.
Ihr könnt mit einem Stein auf ein beliebiges Triple-A-Spiel werfen und habt derzeit verflucht gute Chancen, eines mit US-Schauplatz zu treffen:
- The Division 2: Washington D.C.
- The Last of Us 2: Seattle
- Fallout 76: West Virgina (auch wenn das zugegebenermaßen nur noch bedingt wiederzuerkennen sein dürfte)
- Days Gone: Oregon
- Spider-Man: Manhattan
- You name it
Dieser US-Fokus ist in einer Nordamerika-zentrierten Welt freilich wenig überraschend und war neben dem hohen Wiedererkennungswert der Städte lange Zeit schlicht dem pragmatischen Umstand der hohen Dichte namhafter Studios in den USA geschuldet. Doch immerhin, dass in der obigen Liste nur einmal New York als Schauplatz aufgelistet ist, wäre zum Open-World-Boom der 360-/PS3-Ära noch unvorstellbar gewesen. Wir gehen also kleinen Schrittes voran, oder besser: im Kreis. Zwar tauschen Entwickler den geradezu absurd fotogenen Big Apple immer häufiger auch gegen andere US-Metropolen ein. Doch obwohl prominente Studios längst nicht mehr ausschließlich auf anderthalb Kontinente verteilt sind, sondern wie ein breiter Gürtel über den gesamten Globus spannen, will der Strom an US-Schauplätzen nicht abreißen. Es wird immer noch das in Pixel gegossen, was die Leute kennen - nicht das, was sich vor den Bürofenstern der jeweiligen Entwickler auftut (von Ausnahmen wie dem charmanten Unravel 2 mal abgesehen).
Aufritt: Generation Zero. Ein Spiel, über das bislang wenig mehr als die abgefahrene Kulisse bekannt ist, in der wildgewordene Roboter metzelnd durch das rurale Schweden des Jahres 1989 ziehen. Falls ihr euch je gefragt habt, wie es zwischen all den heutigen Superlativen und Krachbumm-Pressemitteilungen noch möglich sein soll, mit nur einem Satz für Aufmerksamkeit zu sorgen: bitteschön, Avalanche liefert die Antwort - und einen ungewöhnlichen Entwicklungsansatz gleich dazu.
Als wären die in Stockholm ansässigen Schweden sowie ihre Satellitenstudios in Malmö und New York mit dem Höllenritt namens Rage 2 und der Rückkehr von Rico Rodriguez im jüngst angekündigten Just Cause 4 nicht bereits ausgelastet genug, bürden sie sich hiermit nicht nur eine weitere ressourcenmäßige, sondern vor allein eine finanzielle Belastung auf. Anders als die zwei aktuellen Fortsetzungen schraubt man Generation Zero nämlich nicht über dem Sicherheitsnetz eines gut betuchten Publishers zusammen. Stattdessen wird der Ego-Shooter mit Fokus auf Koop-Gefechten das erste von Avalanche selbst vertriebene Spiel, inklusive aller Risiken, die mit solch einem Vorhaben für gewöhnlich einhergehen.
Es ist vielleicht nicht das beste Zeichen für die Branche, wenn ein Entwickler zugleich als Publisher agieren muss, um sich den kreativen Freiraum nehmen zu können, die Kultur, Mentalität und Landschaft der eigenen Heimat in die Produktionen einfließen zu lassen. Genau diese Merkmale sollen das auf der potenten Apex-Engine fußende "Guerilla-Action-Spiel" - mehr noch als der abgefahrene konzeptionelle Unterbau - von anderen Titeln abheben. "Generation Zero entstand aus unserer Leidenschaft heraus", formuliert es Game-Director Emil Kraftling in einem Blog-Eintrag etwas vage, bevor er präziser wird: "Gewissermaßen replizieren wir hier unsere Kindheitsfantasien, in denen wir Krieg spielend durch die friedvollen Wälder des Schwedens der 80er Jahre tollten."
Aus dank Kraft kindlicher Imagination zu großkalibrigen Wummen umgeformten Stöcken und Ästen mögen gut 30 Jahre später virtuelle Kaliber geworden sein, aus bösen Soldaten derweil KI-gesteuerte Panzer auf zwei Beinen, doch das nostalgische Gemeinschaftsgefühl hat die Zeit überdauert. Wenn ihr unbedingt wollt, könnt ihr euch durchaus allein durchs morsche Unterholz schlagen. Wenn es jedoch nach Avalanche geht, werft ihr euren individuell aus all den stilbildenden Modesünden der 80er geklöppelten Charakter in eine Gruppe mit bis zu drei weiteren Mitspielern und wägt gemeinsam ab, wann ein geordneter Rückzug einem frontalen Angriff vorzuziehen wäre. Wenn alles so abläuft wie geplant, dürften diese Entscheidungen oft ineinander übergehen, da ihr die zum Teil mehrere Meter in die Höhe ragenden Mechs selten mit einem konzentrierten Angriff von den metallenen Beinen holen werdet. Da jeder verursachte Schaden an Gegnern dauerhaft bestehen bleibt, könnte es sinnvoller sein, das Feuer auf einen bestimmten Teil ihrer Panzerung zu konzentrieren, Reißaus zu nehmen und dem Kerl später den Rest zu geben, wenn eure Loot-Tour durch pittoreske Vororte und rustikale Blockhütten ein paar nützliche Gegenstände in euren Rucksack gespült hat.
Vieles hiervon klingt mechanisch weitestgehend bekannt und doch hebt sich Generation Zero auch ohne den üblichen Avalanche-Vertrauensvorschuss angenehm von dem E3-Tsunami ab, der sich gerade über unsere Timelines ergießt. Sicher, im weitesten Sinne ist das hier noch immer eine dystopische "Friss oder stirb"-Vision, von denen wir zuletzt eher zu viel als zu wenig serviert bekamen. Aber wann habt ihr euch schon mal durch eine geballert, die genauso gut den unverschämt talentierten Händen von Simon Stålenhag entsprungen sein könnte und urbane Wolkenkratzer gegen skandinavische Wälder tauscht? Eben.